Tichys Einblick
Wahlkampf mit Etikettenschwindel

Die CDU inszeniert sich als Programmpartei mit Reformversprechen

Armin Laschet und Ralph Brinkhaus präsentieren die CDU neuerdings als eine programmatische Reformpartei – was sie seit Merkel weniger denn je ist. So sollen enttäuschte Stammwähler ruhig gestellt werden. Was am Ende umgesetzt wird, ist in der Merkel-Partei, völlig offen.

Armin Laschet beim digitalen Politischen Aschermittwoch am 17. Februar in Düsseldorf

IMAGO / Ralph Sondermann

Nachdem Armin Laschet während des Kampfes um den CDU-Vorsitz gegen Friedrich Merz und Norbert Röttgen in einem gemeinsam mit Jens Spahn verfassten Impulspapier für die Parteitagsdelegierten angekündigt hat, unter seiner Führung in Deutschland ein „Modernisierungsjahrzehnt“ in Gang setzen zu wollen, verspricht der derzeitige Fraktionsvorsitzende der CDU im Bundestag, Ralph Brinkhaus, den Wählern inzwischen sogar eine „Jahrhundertreform – vielleicht sogar eine Revolution“ mit Blick auf die föderale Struktur der Bundesrepublik. Anders als bei der vom Fraktionsvorsitzenden der CSU, Alexander Dobrindt, vor der letzten Landtagswahl in Bayern angekündigten, danach aber schnell wieder eingemotteten „konservativen Revolution“ im Land, geht es bei den jüngsten Ankündigungen aus der Führungsspitze der Union vor allem um das Thema Digitalisierung und staatliche Verwaltung. 

Das gilt insbesondere für Brinkhaus, der unter Verweis auf die mangelnde Effektivität und Effizienz der Corona-Politik im Zusammenspiel von Bund und Ländern für eine Zentralisierung von Kompetenzen auf Bundesebene plädiert. Gleichzeitig will er die öffentlichen Verwaltungsprozesse stärker digitalisieren, automatisieren und vereinheitlichen, um so die länderübergreifende Zusammenarbeit etwa im Bereich der Bildung zu verbessern. Dass Brinkhaus ein solches Reorganisations- und Optimierungsvorhaben, das in (Groß-)Unternehmen schon lange mehr oder weniger zum Tagesgeschäft gehört, als „eine Jahrhundertreform“ oder gar als „eine Revolution“ bezeichnet, wirft freilich die Frage auf, warum sich die öffentlichen Verwaltungsstrukturen und -prozesse nach fast sechzehn Jahren ununterbrochener CDU-Kanzlerschaft im Bund in einem derart miserablen Zustand befinden, dass sie einer radikalen Reformierung bedürfen.

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Fordert der CDU-Fraktionsvorsitzende Brinkhaus also eine Maßnahme, deren Erfordernis seine Partei unter Merkels Führung selbst erzeugt hat? Und warum sollte ausgerechnet Armin Laschet, der bei jeder Gelegenheit betont, wie erfolgreich Merkels Politik durchweg gewesen sei, derjenige sein, der als ihr Nachfolger im Kanzleramt (so er denn Kanzler wird) Brinkhaus‘ Reorganisationsvorhaben in der öffentlichen Verwaltung in die Tat umsetzt? In Laschets Papier mit seinen zehn Impulsen ist von radikalen Reformvorhaben jedenfalls nichts zu finden, weder mit Blick auf die öffentliche Verwaltung noch mit Blick auf andere Politikfelder. Zum Impuls „Digitalisierung durchstarten“ ist dort unter anderem zu lesen: „Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung: Once-Only-Prinzip und One-Stop-Government“. Zum Impuls „Mehr Mut zu Europa und mehr Selbstbewußtsein in der Welt entfachen“ findet man: „Entscheidungsfähigkeit der EU stärken: mehr Mehrheitsentscheidungen, verschiedene Geschwindigkeiten, deutsch-französischer Motor“ und zum Impuls „Zusammenhalt stiften“ steht geschrieben: „Eintreten für einen weltoffenen Patriotismus“. 

Mit derlei Allgemeinplätzen und Worthülsen spiegelt Laschets Impulspapier wohl nicht nur seine eigene, sondern ebenso die politische Sichtweise und Stimmungslage all derjenigen Funktionäre der CDU wieder, die ihn auf dem Parteitag zu ihrem Vorsitzenden gewählt haben. Sie ist von keinem Geist des Aufbruchs und schon gar nicht von einem grundlegenden Reformwillen auf einem der zehn genannten Themenfelder geprägt. Sondern von der Absicht, die eigene Programmatik so allgemein, diffus und unspezifisch zu gestalten, dass die tatsächliche Politik dem jeweiligen Zeitgeist und den koalitionären Opportunitäten flexibel angepasst werden kann. Laschets CDU steht, wie schon Merkels CDU, nicht für die Umsetzung ehrgeiziger programmatischer Ziele oder die Durchsetzung schwieriger, manchmal auch unpopulärer politischer Reformen wie etwa Schröders Agenda 2010, sondern für eine Politik des Fahrens auf Sicht, bei der jederzeit überraschende, manchmal auch radikale Richtungswechsel möglich sind. 

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Diese unter Merkel zur DNA gewordene Flexibilität in der politischen Ausrichtung hat der CDU seit 2005 das Kanzleramt nur deswegen durchgehend gesichert, weil die SPD sich nach der Bundestagswahl 2013 weigerte, mit der Linken eine (rechnerisch mögliche) rot-rot-grüne Koalition einzugehen. Inzwischen gehen aber nicht nur der SPD, sondern auch der CDU immer mehr ihrer bisherigen (Stamm-)Wähler verloren. Sie wissen nicht mehr, wofür die CDU tatsächlich steht, mit welchen Parteien sie koalieren und welche Politik sie mit ihnen betreiben wird. Ihre mit der Corona-Krise wieder gestiegenen Umfragewerte sind daher alles andere als nachhaltig. Sie können sich bis zur Bundestagswahl wieder nach unten entwickeln, wenn sich die wirtschaftliche Lage im Land aufgrund anhaltender Lockdowns noch weiter verschlechtern sollte und immer mehr Bürger wie schon 2017 mit einer erneuten Protestwahl gegen die mit ihnen einhergehenden, teils verfassungswidrigen Grundrechtseinschränkungen opponieren. Die Union könnte dann wie schon in manchen Ländern auch im Bund gegebenenfalls nur noch mit zwei (oder gar drei) Koalitionspartnern eine Regierung bilden, sollte sie erneut unter die 30-Prozent-Marke fallen. 

Das wissen auch Laschet und Brinkhaus. Sie versuchen daher, mit Schlagworten wie „Modernisierungsjahrzehnt“ oder „Jahrhundertreform“ die christdemokratischen (Stamm-)Wähler zu mobilisieren, indem sie die CDU als eine wegweisende Programm-Partei etikettieren, die sie seit Merkel freilich weniger denn je ist. Was sich hinter solchen Etiketten mit Blick auf die Bundestagswahl verbirgt, werden wir erst wissen, wenn das Wahlprogramm der CDU vorliegt. Es ist allerdings zu befürchten, dass auch anhand dieses Programms die Wähler nicht sicher sein können, dass sie mit einem Kreuz bei der CDU gegen grüne „Modernisierungsansätze“ wie die Aufhebung der Schuldenbremse, Eurobonds, die Öffnung des Asyl- und Aufenthaltsrechts für „Klimaflüchtline“, den Ausbau von Frauenquoten, die Einführung von Migrantenquoten, die Verschärfung von Klimazielen, das Verbot von Familienhäusern und des Fleischkonsums und die Zentralisierung der EU gestimmt haben. 

Anders als sein Amtskollege Markus Söder von der CSU bestreitet Laschet inzwischen zwar, eine „spannende“ Projekt-Koalition mit den Grünen anzustreben, um Ökonomie und Ökologie miteinander zu versöhnen. Er weist aber gleichzeitig darauf hin, dass er eine Koalition mit den Grünen jederzeit eingehen würde, sollte das Wahlergebnis dies rechnerisch ermöglichen und nahelegen. Angesichts solcher Perspektiven wäre es für die Wähler schon von Interesse, aus dem Wahlprogramm der CDU unter anderem zu erfahren, wo ihre roten Linien gegen den weiteren Ausbau der schon laufenden grünen „Modernisierung“ des Landes konkret verlaufen. Möglicherweise wird es diese Linien im Wahlprogramm von Armin Laschet aus Gründen der politischen Flexibilität aber auch gar nicht geben. Das wäre für die Wähler dann auch eine aufschlussreiche Information.

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