Anfang Juli veranstaltete die Denkfabrik R21 in Berlin eine Podiumsdiskussion zu der Frage, worin aus bürgerlicher Sicht legitime rechte Positionen bestehen. Jetzt veröffentlichte der CDU-nahe, aber nicht von ihr finanzierte Verein R21 unter dem Titel „Strategie statt Empörungspolitik: Die demokratische Rechte zurückgewinnen“ ein Manifest, das die Ergebnisse der Debatte zusammenfasst.
TE dokumentiert im Folgenden den Wortlaut. Zeitpunkt und Hintergrund der Veröffentlichung sind interessant. Zum einen deshalb, weil der gerade von CDU-Parteichef Friedrich Merz geschasste Generalsekretär Mario Czaja zunächst seine Teilnahme an dieser Podiumsdiskussion zu- und dann wieder abgesagt hatte.
Auf der anderen Seite gab es nur einen Spitzenpolitiker der CDU, der in der Vergangenheit eine Veranstaltung von R21 besucht hatte: der gerade ernannte neue Parteigeneral Carsten Linnemann. Er und der Gründer von R21, der Mainzer Historiker Andreas Rödder, unterhalten offenbar einen guten Kontakt. Rödder leitete bis vor kurzem die Programmkommission der Partei; diesen Vorsitz übernahm nach ihm Linnemann. Die Ideen der Denkfabrik könnten unter der Ägide des Neuen an der Seite von Merz möglicherweise in die praktische Parteiarbeit einfließen.
Auch deshalb, weil der Druck auf die Union deutlich steigt, der wachsenden AfD inhaltlich etwas anderes entgegenzusetzen als die ständige Beschwörung einer „Brandmauer nach rechts“, deren Gegenstück auf linker Seite bekanntlich nicht existiert. In der Wahl-Umfrage des Instituts Ipsos vom 12. Juli 2023 erreicht die AfD erstmals 22 Prozent. Werden CDU und CSU getrennt betrachtet, bedeutet das: Die AfD steht auch bundesweit mittlerweile auf Platz eins.
Der Wortlaut der Erklärung von R21:
Strategie statt Empörungspolitik: Die demokratische Rechte zurückgewinnen
AfD ante portas! Kommunale Wahlerfolge und steigende Umfragewerte erhöhen die Nervosität im politischen Berlin: „Die ‚Brandmauer‘ muss stehen!“ Nur: Wo steht sie eigentlich genau? Wen schließt sie ein – und wen schließt sie aus? Das sind zentrale Fragen der demokratischen Öffentlichkeit, die im Zuge einer allgemeinen „Empörungspolitik“ allerdings kaum diskutiert werden. Stattdessen wird kräftig moralisiert, diskreditiert und etikettiert. Dabei wird das Etikett „rechts“ umstandslos mit „konservativ“, „rechtspopulistisch“, „rechtsradikal“ oder „rechtsextrem“ gleichgesetzt und geht fließend in das Verdikt „Nazi“ über.
Dabei sind es immer wieder dieselben Themen, die öffentlich skandalisiert werden:
- Migration und Integration, ethnische Herkunft und Islam;
- Klima und Energie
- Geschlecht und Sexualität –
nicht durch Zufall die Kernthemen einer grünen Agenda, die seit den achtziger Jahren die „kulturelle Hegemonie“ (Antonio Gramsci) gewonnen hat, die den öffentlichen Konsens bestimmt.
Diese „grüne Deutungshoheit“ schließt alles aus, was sie selbst als „rechts“ etikettiert. Je enger die Grenzen, desto deutlicher und lauter fällt freilich die Reaktion in Form einer rechtspopulistischen Gegenbewegung aus. Sie hat in verschiedenen Gesellschaften unterschiedliche Formen angenommen, zeigt aber überall die gleiche Auswirkung: Eine zunehmende Polarisierung innerhalb der westlichen Gesellschaften.
Für den Umgang mit Rechtspopulisten gibt es grundsätzlich drei Optionen:
- Die harte Ausgrenzung, die allerdings zu Verhärtungen und Radikalisierungen der Ausgeschlossenen führt, wie man an der Entwicklung der AfD belegen kann.
- Tendenzen der Anpassung, vor allem auf Seiten von Mitte-Rechts-Parteien, die allerdings schnell in Selbstradikalisierung enden.
- Eine Politik, die jene Themen aufgreift, die Rechtspopulisten und ihre Anhänger umtreiben, die eigenständige Antworten formuliert und die darüber hinaus selbstbewusst und offensiv eine eigene Agenda setzt.
Dass die Optionen zwei und drei in der deutschen Debatte kaum unterschieden, sondern zumeist pauschal in eins gesetzt werden, ist Teil einer undifferenzierten Empörungskultur, die mit hysterischen Begriffen wie der „Brandmauer“ operiert und dadurch Möglichkeiten für einen konstruktiven Umgang verstellt.
Dabei liegt gerade in dieser Option der Schlüssel für einen souveränen und strategischen Umgang mit der rechtspopulistischen Herausforderung. Denn es geht darum, eine für die Zukunft der liberalen Demokratie bedrohliche Repräsentationslücke zu schließen: Die Positionen einer demokratischen rechten Mitte werden im politischen Diskurs der Gegenwart weitgehend übergangen oder diskreditiert und in der Folge ausgegrenzt. Somit besteht die Gefahr, dass zumindest Teile der demokratischen rechten Mitte die Rechtspopulisten als ihr Sprachrohr ansehen, weil ihre Themen und Anliegen sonst nicht ernst genommen werden.
Es ist Aufgabe einer bürgerlichen Politik, diese Repräsentationslücke zu schließen. Konkret bedeutet dies:
- Debatten suchen und heikle Themen ansprechen statt zu moralisieren, zu stigmatisieren und auszugrenzen. Heißt: Die AfD und ihre Repräsentanten inhaltlich stellen, statt sich in symbolische Verweigerungshaltungen hinter der „Brandmauer“ zu flüchten. Und: Themen aufgreifen, die AfD-Anhänger bewegen, eigene Antworten geben und offensiv vertreten.
- Debattenräume zu erweitern, erfordert zugleich, Grenzen zu kennen. Die Grenzen des Sagbaren zieht Art. 1 GG, also die Menschenwürde bzw. das Verbot der Herabwürdigung anderer Menschen, die Grenzen des Vertretbaren setzt die freiheitlich-demokratische Grundordnung. Illegitim sind
♦ Missachtung und Delegitimierung der demokratisch-rechtsstaatlichen Institutionen,
♦ ein Geschichtsrevisionismus, dem es nicht um Argumente, sondern um vorsätzlichen Tabubruch und Grenzüberschreitung geht,
♦ ein Antipluralismus, der z.B. die Möglichkeit ablehnt, dass Zuwanderer deutsche Staatsbürger werden können,
♦ und ein Autoritarismus, der etwa Wladimir Putin als Hüter von traditionellen oder christlichen Werten feiert. - Der Staat ist Garant für Humanität und Ordnung – und muss seine Funktionen erfüllen. Vollzugsdefizite zum Beispiel gegenüber Clanstrukturen und Anmaßungen von Gewalt oder Nötigung jedweder Couleur untergraben das Vertrauen in den Rechtsstaat.
- Die Querfront gegen die AfD verstärkt die Polarisierung der Gesellschaft – Wagenburg schließt sich gegen Wagenburg und verstärkt die Trotzhaltung von AfD-Wählern, die sich sagen: Jetzt erst recht. Gerade in den östlichen Bundesländern reagieren die Menschen besonders sensibel, wenn Politiker versuchen, sie zu bevormunden. Zustimmung in der Demokratie basiert nicht auf Anweisung, sondern auf Überzeugung.
- Die Demokratie braucht deshalb eine eigenständige bürgerliche Politik, und die braucht ein überzeugendes Zukunftsbild und positives Narrativ. Dies wiederum setzt voraus:
♦ Klarheit in der Sache statt taktischer Furcht vor dem Shitstorm;
♦ einen langen Atem, der im Blick hat, dass die grüne Hegemonie Jahrzehnte gebraucht hat, aber dadurch durchschlagend wirksam geworden ist;
♦ Mut zu einer strategisch angelegten und inhaltlich fundierten Politik statt vermeintlich pragmatischer Reaktionen im Kurzfristmodus oder „asymmetrischer Demobilisierung“, die aus taktischen Gründen Konflikte und Debatten vermeidet, letztlich aber intellektuell kapituliert und langfristig zu Verdrossenheit und Frustration geführt hat.“