Tichys Einblick
CDU dient sich an

Die Grünen können sich voll auf uns verlassen!

Hessens Ministerpräsident Boris Rhein wörtlich: „Die Grünen können sich voll auf mich verlassen.“ Na bitte, Klassenauftrag erfüllt. Über genügend Erfahrung als Blockpartei verfügt die CDU ja.

IMAGO / Political-Moments

Das Wort zur Stunde sprach Hessens Ministerpräsident Boris Rhein, Nachfolger von Volker Bouffier, im Interview mit der FAZ aus, dass die CDU zu allen „demokratischen Parteien anschlussfähig bleiben“ muss, was im Klartext die Linie der CDU von Hendrik Wüst über Daniel Günther bis Friedrich Merz ausdrückt, sich den Grünen so vollständig anzuschließen, dass man von einer Unterwerfung sprechen muss. Jedenfalls gibt sich die CDU derzeit alle Mühe, den Grünen den Eindruck zu vermitteln, dass sie sich in der Verwirklichung der entwickelten klimaneutralen Gesellschaft „voll“ auf die CDU „verlassen können“. Rhein hierzu wörtlich: „Die Grünen können sich voll auf mich verlassen.“ Na bitte, Klassenauftrag erfüllt. Über genügend Erfahrung als Blockpartei verfügt die CDU ja.

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Eigentlich sollte Politik so stattfinden, dass die Parteien für ihre Positionen um Mehrheiten kämpfen. Bei der CDU ist es jedoch umgekehrt, sie sucht für Mehrheiten nach Positionen. Deshalb spielen Wahlforscher und Demoskopen für sie eine weitaus größere Rolle als Philosophen, Politikwissenschaftler, Soziologen, Ökonomen, Historiker und Naturwissenschaftler. Nicht um Inhalte geht es ihr, sondern vor allem um Posten. Das ist auch inzwischen bei den Wählern der Union angekommen. In einer Umfrage der Konrad-Adenauer-Stiftung unter dem Titel „Wieso, weshalb, warum? Wahlmotive bei der Bundestagswahl 2021“ meinen 68 Prozent der Wähler, die nicht mehr die CDU gewählt haben: „Die CDU/CSU ist nicht auf der Höhe der Zeit“.

Das bringt die Süddeutsche Zeitung in einem Artikel dazu, die CDU in ihrem kurzen Marsch nach links in die Nationale Front für die Klimaneutralität Deutschlands noch anzufeuern. Beifall von der Süddeutschen ist für die CDU das, was die Linksliberalen gern „Beifall von der falschen Seite“ nennen, oder gediegener: „quidquid id est, timeo Danaos et dona ferentes (Was immer es sei, ich fürchte die Danaer, auch wenn sie Geschenke bringen), wie es in Vergils Aeneis heißt. Genüsslich zitiert die Süddeutsche die Feststellung: „Lediglich 41 Prozent sind der Auffassung, dass die Union nicht mehr an ihren konservativen Tugenden und Werten“ festhalte, soll heißen, dass die Union nur Erfolg hat, wenn sie sich vollständig von den konservativen Restbeständen trennt, das Erbe Ludwig Erhards und die Soziale Marktwirtschaft verleugnet, denn „91 Prozent der früheren Unionswähler, die im September für die Grünen gestimmt haben, sagen, das habe am mangelnden Klimaschutz der Union gelegen.“ Wieso eigentlich nicht 100 Prozent oder gar 150 Prozent?

Hier beginnt bereits das Framing der Süddeutschen, das Wüst und Günther sicher dankbar ihrer Partei vorhalten werden, denn es sind eben nicht 91 Prozent der Wähler, die sich von der Union abwandten, die dafür als Grund die mangelnden Klimaschutzanstrengungen der Union ins Feld führten, sondern nur 91 Prozent derjenigen, die schließlich die Grünen wählten, ansonsten führten das nur insgesamt die Hälfte, nämlich insgesamt 53 Prozent der früheren CDU-Wähler an. Für die Süddeutsche steht dennoch fest: „Schon diese Zahlen zeigen, dass die Wahlniederlage der Union keinesfalls daran lag, dass sie nicht rechts genug aufgetreten ist.“

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Dieses Fazit dürften sich Günther, Wüst, womöglich auch Rhein, auf alle Fälle Friedrich Merz, der zu recht abstreitet, ein Konservativer zu sein, und der notorische Linksblinker Norbert Röttgen zu eigen machen, auch wenn selbst diese Zahlen das mitnichten belegen. Aber natürlich steht es der CDU frei, künftig mit den Grünen über die schönere Form des Rotorblattes oder darüber, ob es nicht doch noch ein Meter weniger Mindestabstand zu einem Windpark sein darf, heftig zu streiten. Die Union vertritt inzwischen die Gesellschaftsutopie der Grünen, hat sich längst von ihren Wählern abgewandt und das Narrenschiff bestiegen, vor dem einst Franz-Josef Strauß gewarnt hatte. Alles andere würde ja bedeuten, weiter „rechts“ aufzutreten. Das aber bedeutet für nicht wenige deutsche Medien, aus der Reihe zu tanzen. Und das zählte in Deutschland von jeher als das schlimmste Vergehen – da könnte ja jeder kommen.

Frühere Erhebungen in der CDU hatten jedenfalls ergeben, dass die Parteibasis viel konservativer dächte, als ihre Merkel-Führung. Das scheint im Widerspruch zur Umfrage zu stehen, doch weist es in Wahrheit nur auf einen fundamentalen Mangel der Umfrage selbst hin, die das Ergebnis, wenn schon nicht verzerrt, so doch erheblichen Missdeutungen Vorschub leistet. Die Studie lässt außen vor, dass in der Bundestagswahl 2017 die Union knapp eine Million Wähler (980.000) an die AfD verloren hatte. Die Union hatte also bereits zuvor viele konservative Wähler an die AfD und übrigens auch an die Nichtwähler verloren. Viele konservative CDU-Wähler haben 2021 zudem die FDP als vermeintliche konservative Alternative zur AfD gewählt. In der letzten Wahl in NRW verlor die CDU viele Wähler an die Gruppe der Nichtwähler.

Der Skandal, an dem die Union einen großen Anteil hat, lautet, dass ein immer größer werdender Kreis von Bürgern keine Partei mehr findet, denen sie ihre Stimme geben, die sie wählen würden, die ihre Interessen vertreten. Die CDU verdankt ihren Wahlsieg in NRW vor allem der FDP, die 260.000 Wähler an die Union abgegeben hat. 190.000 Wähler der CDU entschieden sich, nicht zu wählen. Heißt, dass die CDU viele Wähler verloren hat und nur durch Wähler, die mit der FDP unzufrieden waren, gerettet wurde. Diese Bürger goutieren den grünen Kurs der FDP in der Bundes-Ampel nicht und flüchteten in die vermeintlich bürgerliche CDU, deren konservativere Wählerschicht sich aber auch von der CDU enttäuscht zeigte.

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260.000 ehemalige Wähler der FDP, die zur CDU gingen, und 130.000, die statt für die FDP, und 190.000, die statt für die CDU zu stimmen, zu Hause blieben, bedeutet das insgesamt 580.000 Wähler in NRW den Kuschelkurs mit den Grünen ablehnen. Fast die Hälfte der Wähler in NRW zeigte sich mit dem politischen Angebot der Parteien unzufrieden. Die Studie – und darin liegt ein zweiter großer Mangel – blendet die größer werdende Gruppe der Nichtwähler einfach aus und verzerrt damit ihr Ergebnis.

Und hier gibt die Studie in der Tat erhellende Auskünfte, wenn man sie genau liest. So heißt es: „Von den insgesamt 1.643 Befragten, die früher schon einmal die Unionsparteien gewählt haben, gaben 37 Prozent an, auch bei der Bundestagswahl 2021 CDU oder CSU gewählt zu haben. 11 Prozent gaben keine Partei an und wurden folglich nicht nach ihren Wahlmotiven befragt. Nach Ausschluss dieser beiden Gruppen basieren die nachfolgenden Analysen auf 830 ehemaligen Unionswählerinnen und -wählern, von denen nach eigener Auskunft 33 Prozent die SPD gewählt haben. 20 Prozent gaben an, für die Grünen gestimmt zu haben, 27 Prozent für die FDP, 3 Prozent für die Linke und 9 Prozent für die AfD.“

Insgesamt wurden 4.000 Wähler befragt, davon blieben also 1.643 über, die unter weiteren Ausschlusskriterien noch einmal auf 830 reduziert wurden. Die Datenbasis beruht also auf 830 ehemaligen Unionswählern. Die meisten von ihnen entschieden sich laut Umfrage für die SPD und die FDP – und nicht wie es die Reihenfolge der Aufzählung im Text der Studie insinuiert für die Grünen. Auch hier – in der Umfrage – werden die Grünen hochgeschrieben, scheint die „Wahlanalyse“ Schwarz-Grün argumentativ stützen zu sollen. Doch die eigenen Zahlen geben das nicht her.

Generell schätzt die Studie ein: „Knapp die Hälfte der Wählerinnen und Wähler gibt an, inhaltliche Positionen seien ihnen ganz wichtig gewesen, weiteren 37 Prozent waren sie eher wichtig. Auf Platz zwei folgt die Fähigkeit, die zukünftigen Probleme zu lösen, die für 45 Prozent der Wählerinnen und Wähler ganz wichtig und für weitere 38 Prozent eher wichtig war. Knapp dahinter liegt die Fähigkeit, gut zu regieren. Für 37 Prozent war die Regierungsfähigkeit ganz wichtig bei ihrer Wahlentscheidung und für 40 Prozent eher wichtig.“

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Als Grund, nicht mehr die CDU zu wählen, geben die ehemaligen Unionswähler die Problemlösungskompetenz der Partei an, und zwar 85 Prozent von denjenigen, die die AfD, und 83 Prozent von denjenigen, die die Grünen gewählt haben. Das überrascht nicht, hat die CDU doch einen Teil der Probleme erst geschaffen, die sie dann auch noch unfähig war zu lösen, und sie deshalb lediglich moderierte bzw. in einer Art anging, die noch größerer Probleme schuf. Es wird noch interessanter, denn für 82 Prozent der ehemaligen Unionswähler, die 2021 der SPD ihre Stimme gaben, lag ihr Vertrauensentzug an der Zerstrittenheit von CDU und CSU.

„Überdurchschnittlich häufig trifft die fehlende Vertretung der eigenen politischen Überzeugung auf Wählerinnen und Wähler der AfD (88 Prozent), der Grünen (80 Prozent) und der SPD (73 Prozent) zu.“ Über die Hälfte der ehemaligen Unionswähler gaben an, dass sie nicht mehr wissen würden, wofür CDU und CSU stünden: „Diese Einstellung findet sich überdurchschnittlich häufig bei ehemaligen Wählerinnen und Wählern der Union, die 2021 ihr Kreuz bei der AfD (70 Prozent) oder der SPD (64 Prozent) gemacht haben.“ Von nicht wenigen ehemaligen Wählern wurde beklagt, dass die CDU sich nicht mehr um die Belange des „kleinen Mannes“, des Normalbürgers kümmerte. Stimmt, die CDU bettelt geradezu um Aufmerksamkeit bei den woken Schichten.

Tief blicken lässt ein Motiv der Wählerwanderung zur SPD und zu den Grünen: 77 Prozent derjenigen, die SPD, und 76 Prozent derjenigen, die Grüne wählten, gaben an, dass sie die Union gewählt hätten, wenn es in der Union mehr Politiker wie Angela Merkel gäbe. Ergo: Die Merkel-Fans in der Union haben sich dem Original, den Roten bzw. den Grünen zugewandt. Das ist eine Folge von Merkels famoser asymmetrischer Destabilisierung, denn wenn man lange genug die Positionen des politischen Gegners übernimmt, wird man irgendwann wie er und besitzt keine eigenen Positionen mehr. Insofern ist es nicht verwunderlich, wenn die zweitgrößte Gruppe der verlorenen Wähler meinte, dass sie nicht mehr wissen, wofür die Union steht.

Sätze aus der neuen Grundwertecharta der CDU wie diese:
„Dieses Versprechen geht allerdings noch nicht für alle Menschen in Erfüllung, da sie aufgrund ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Orientierung, ihrer ethnischen oder sozialen Herkunft, wegen ihres Glaubens oder ihres Alters oder wegen anderer Merkmale benachteiligt werden.“

Oder:
„Indem wir Gegensätzliches verbinden und vielfältigste Lebenswelten zusammenführen, ist die CDU Volkspartei der Mitte, Partei der Vielen und nicht Vertreterin einzelner Interessen Weniger.“

Oder:
„Doch unser Leben und unsere Vorstellungen sind bedroht: durch Krieg in Europa, durch Feinde der offenen Gesellschaft und der liberalen Demokratie, durch Klimawandel, Artensterben und Umweltzerstörung.“ würde man im Programm der Grünen vermuten, zumal man „mit konsequentem Klimaschutz den Weg zur Klimaneutralität beschleunigt geht“.

CDU dient sich an
Es ist also nicht verwunderlich, dass viele Unions-Wähler sich von der Union abwenden, weil sie nicht mehr wissen, wofür CDU und CSU stehen. Zweidrittel der früheren Unionswählerschaft gaben an, dass CDU/CSU: „nicht mehr ihre politische Überzeugung“ und eben auch Interessen vertrete, und zwar meinten dies 88 Prozent der Wähler der AfD, 80 Prozent der Wähler der Grünen und 73 Prozent der Wähler der SPD. Dass sich 87 Prozent der Wähler, die sich für die Grünen entschieden als Motiv angaben, dass die Union „nicht mehr auf der Höhe der Zeit sei“, erklärt sich auch damit, dass eine ältere Wählerschicht der Union, deren Glaube an die Objektivität der Öffentlich-Rechtlichen durch keine Fakten erschüttert wird, von ARD und ZDF darin unterrichtet wird, worin die Höhe der Zeit bestünde, nämlich in der grünen Doktrin, in der Großen Transformation, in der so hübsch klingenden Utopie von der klimaneutralen Gesellschaft.

Die auf allen öffentlich-rechtlichen Kanälen frenetisch betriebene Klimaschutzpropaganda zeigt ihre Wirkung. „Wenig überraschend ist das vor allem für die Grünen-Wählerschaft von Bedeutung. 91 Prozent der früheren Unionswählerinnen und -wähler, die 2021 für die Grünen gestimmt haben, sagen, das habe am mangelnden Klimaschutz der Union gelegen.“ Hiermit korrespondiert ein anderer Wert: ein knappes Drittel hat bei der Bundestagswahl nicht Union gewählt, weil CDU/CSU die Wirtschaftskompetenz fehle. Wählerinnen und Wähler der AfD (46 Prozent) und der FDP (40 Prozent) beklagen überdurchschnittlich häufig eine fehlende Wirtschaftskompetenz. Die Wählerschaft der Grünen (21 Prozent) hat sich seltener als der Durchschnitt wegen mangelnder wirtschaftlicher Kompetenz von der Union abgewendet.“ Wirtschaftliche Kompetenz ist bei den Grünen eine Fehlanzeige, denn, wie Habeck einst sagte, es ist ja nur Geld.

Wirtschaftliches Verständnis und Klimaideologie schließen einander aus, wie eben auch die Forderung, die Aufgaben der Gegenwart oder die Aufgaben der Zukunft zu lösen, so wie sich Realismus und Utopismus ausschließen. Wer die Aufgaben der Zukunft lösen will, ist nicht nur blind für die drängenden Probleme der Gegenwart, er schafft im Gegenteil in der Gegenwart immer größere Probleme, die eine gute Zukunft ausschließen.

Zweidrittel der ehemaligen CDU-Wähler sprachen der Union die Kraft ab, weiter zu regieren. Zudem hat die Union ein massives Glaubwürdigkeitsproblem: „Knapp sechs von zehn ehemalige Unionswählerinnen und -wähler geben an, die Union nicht gewählt zu haben, weil man ihr nicht mehr glauben könne, was sie verspricht.“ Das korrespondiert mit der hohen Anzahl von ehemaligen Wählern, die nicht mehr wissen, wofür die CDU steht – dabei ist das doch ganz einfach zu erkennen: Seite an Seite mit den Grünen, worauf die Grünen sich „voll“ verlassen können.

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