Tichys Einblick
CDU-Grundsatzprogramm

Wende nach rechts ohne Machtperspektive

Friedrich Merz mit einem neuen Grundsatzprogramm für eine Mitte-Rechts-Politik in Deutschland, für deren Umsetzung ihm jedoch die Koalitionspartner fehlen. Ob er so genügend AfD-Wähler wieder für die CDU gewinnen kann, ist äußerst ungewiss.

Friedrich Merz, CDU-Parteivorsitzender, Berlin, 14.05.2024

picture alliance / photothek.de | Lorenz Huter

Während seines zunächst erfolglosen, mehrjährigen Kampfes um den CDU-Parteivorsitz versuchte Friedrich Merz zu dessen Beginn, die für die Wahl zuständigen Parteitagsdelegierten unter anderem mit der Ankündigung für sich zu gewinnen, unter seiner Führung werde es der CDU gelingen, einen Großteil der zur AfD abgewanderten einstigen CDU-Wähler zurückzugewinnen. Entsprechend versprach er seiner Partei, das letzte Bundestags-Wahlergebnis der AfD von rund 10 Prozent zu halbieren. Entgegen diesem Versprechen rangiert die AfD nach Merz’ mittlerweile mehr als zweijährigen Amtszeit als Bundesvorsitzender der CDU laut der jüngsten INSA-Sonntagsfrage für die Bundestagswahl mit 17 Prozent an zweiter Stelle hinter der CDU. In den drei ostdeutschen Bundesländern, in denen im September Landtagswahlen stattfinden, steht sie mit teilweise mehr als 30 Prozent derzeit sogar jeweils an Platz eins.

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Um angesichts dieser enttäuschenden Entwicklung die Erfolgsaussichten seines Rückholplans wenigstens mit Blick auf die Bundestagswahlen im kommenden Jahr doch noch zu verbessern, hat der mittlerweile als Bundesvorsitzender bestätigte Merz mit Carsten Linnemann zunächst den Posten des Generalsekretärs seiner Partei neu besetzt. Ihn hat er dann mit der Abfassung eines neuen Grundsatzprogramms beauftragt, das die CDU einen und konservativer ausrichten soll. So soll sie nach sechzehn Jahren Linksdrift unter Angela Merkel und Armin Laschet auch wieder für Wähler rechts der Mitte attraktiver werden. Linnemanns Vorgänger, Mario Czaja, war dies angesichts aller Umfragen offenbar nicht gelungen.

Dieses Manöver gleicht dem Vorgehen eines Kapitäns auf einem Segelschiff. Aufgrund der herrschenden Windverhältnisse muss er mühsam gegen den Wind kreuzen, um gleichsam auf Umwegen an sein Ziel zu kommen. Er fährt deswegen Wenden, durch die er sein Schiff seinem Ziel näherzubringen versucht, das im Falle des Kapitäns Merz das Kanzleramt in Berlin ist. Nachdem sich immer mehr abzeichnete, dass dieses Ziel auf dem bislang eingeschlagenen Linkskurs in immer weitere Ferne rückt, hat der neu eingesetzte Steuermann Linnemann den Kreuzer CDU mit seinem Grundsatzprogramm nun gegen einigen innerparteilichen Gegenwind auf Rechtskurs gebracht, um so Ende des nächsten Jahres wieder im Kanzleramt festmachen zu können.

Helfen soll dabei unter anderem das Versprechen einer deutlich restriktiveren Asyl- und Migrationspolitik sowie das Bekenntnis zu einer deutschen Leitkultur, an die sich Einwanderer anzupassen haben, um deutsche Staatsbürger werden zu können. So soll der von der Union Anfang der 1990er Jahre erkämpfte und von Merkel 2015 endgültig außer Kraft gesetzte Artikel 16a des Grundgesetzes wieder Anwendung finden. Er verwehrt Asylbewerbern, die aus sicheren Drittstaaten innerhalb oder außerhalb der EU nach Deutschland eingereist sind, den Anspruch auf Asyl und wurde von der EU in Gestalt der sogenannten Dublin-Regeln auf alle Mitgliedsländer übertragen. Asyl haben demnach laut geltender Gesetzeslage alle EU-Staaten nur denjenigen Asylbewerbern zu gewähren, die in dem jeweiligen Land erstmals den Boden der EU betreten haben. Diese vor allem in Deutschland nur noch rudimentär praktizierte Regelung will die CDU, gemäß ihrem Grundsatzprogramm, wider Erwarten nun reaktivieren.

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Um dies zu bewerkstelligen, sollen, solange über die Außengrenzen weiterhin illegale Einreisen in die EU stattfinden, Grenzkontrollen an den deutschen Binnengrenzen durchgeführt werden. Diese sollen sogar „prinzipiell mit der Zurückweisung von Personen verbunden werden, die in einem anderen Mitgliedstaat der EU oder des Schengen-Raums bereits Aufnahme gefunden haben oder die einen Asylantrag auch in einem Staat, aus dem sie einreisen wollen, stellen können“. Sogenannte Pushbacks, die nach geltendem EU-Recht zwar verboten sind, von immer mehr EU-Staaten nicht nur an ihren Außen- sondern auch an ihren Binnengrenzen dennoch immer häufiger praktiziert werden.
Zugleich soll jeder, der in der EU Asyl beantragt, „in einen sicheren Drittstaat überführt werden und dort ein Verfahren durchlaufen. Im Fall eines positiven Ausgangs wird der sichere Drittstaat dem Antragsteller vor Ort Schutz gewähren.“

Entsprechende Vereinbarungen sollen außerhalb der EU nur mit solchen Drittstaaten getroffen werden, die die humanitären Verpflichtungen der Genfer Flüchtlingskonvention sowie der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten ausreichend erfüllen. Asyl innerhalb der EU, und damit auch in Deutschland, sollen auf diese Weise nur noch Asylbewerber erhalten, die im Rahmen eines jährlich EU-weit neu vereinbarten Aufnahme-Kontingents in die EU geholt und dort dann auf die einzelnen Mitgliedsländer verteilt werden. Ein Konzept, das auf Vorschlägen beruht, die der niederländischen Migrationsforscher Ruud Koopmans in seinem letzten Buch über die zynische „Asyllotterie“ der europäischen Migrationspolitik beschrieben hat, um dem milliardenschweren Geschäftsmodell der Schleuser den Stecker zu ziehen.

Zusätzlich müssen laut CDU-Grundsatzprogramm alle Einwanderer, egal wie sie nach Deutschland gekommen sind oder noch kommen werden, wenn sie dauerhaft hierbleiben wollen, „unsere Leitkultur ohne Wenn und Aber anerkennen“. Zu ihr gehören „die Achtung der Würde jedes einzelnen Menschen und die daraus folgenden Grund- und Menschenrechte, unser Rechtsstaat, demokratische Grundprinzipien, Respekt und Toleranz, das Bewusstsein von Heimat und Zugehörigkeit, Kenntnis der deutschen Sprache und Geschichte sowie die Anerkennung des Existenzrechts Israels.“ Da einiges davon insbesondere von den auch in Deutschland immer zahlreicher werdenden Repräsentanten und Anhängern eines Politischen Islam offen abgelehnt und bekämpft wird, gehört diese auch in Deutschland größer und stärker werdende Strömung des Islam laut CDU „nicht zu Deutschland“.

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Was mit diesen Muslimen geschehen soll, beantwortet das neue Grundsatzprogramm nicht – vermutlich, um sich angesichts des vollzogenen programmatischen Rechtsrucks nicht allzu offen dem Verdacht auszusetzen, asylpolitische (Remigrations-)Forderungen der AfD übernommen zu haben, die führende CDU-Politiker noch unlängst als menschen- und verfassungsfeindlich abstempelten. Sie haben angesichts der Umfrageerfolge der AfD inzwischen in der Hoffnung Kreide gefressen, durch die Ankündigung einer deutlich restriktiveren Asyl- und Integrationspolitik die Wähler rechts der Mitte, die für die Rückeroberung des Kanzleramts dringend benötigt werden, (wieder) an die CDU binden zu können. Laut Umfragen sind diese Wähler selbst in der jüngeren Generation inzwischen zahlreicher geworden.

Die Hoffnung auf das Kanzleramt könnte aber trügen, geht die Ankündigung doch mit einer programmatischen Wende der CDU nach rechts einher, die angesichts aktueller Umfragen notgedrungen die Frage aufwirft, mit welchem Koalitionspartner Merz sie politisch in die Tat umsetzen will, sollte er wunschgemäß als Sieger aus der nächsten Bundestagswahl hervorgehen. Eine absolute Mehrheit der beiden Unionsparteien kann angesichts aktueller Umfragen ebenso ausgeschlossen werden wie eine Mehrheit für eine Mitte-Rechts-Koalition mit der dahinsiechenden FDP. Aufgrund der Brandmauer gegen die AfD müsste Merz erneut eine Mitte-Links-Koalition entweder mit der SPD oder den Grünen, gegebenenfalls unter Hinzuziehung der FDP, sollte sie im nächsten Bundestag noch vertreten sein. Ersatzweise könnte für eine erneute Mitte-Links-Koalition auch noch das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) eine Rolle spielen. In Frage könnte außerdem noch eine schwarz-rot-grüne Kenia-Koalition aus CDU/CSU, SPD und Grünen kommen.

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All diese Koalitionen müssten mit Parteien geschlossen werden, die, vielleicht mit Ausnahme des BSW, die Wende der CDU nach rechts, die sich keineswegs nur auf die Asyl- und Integrationspolitik beschränkt, kategorisch ablehnen und deswegen im Wahlkampf bis aufs Messer bekämpfen werden. Sollten sie vor diesem Hintergrund überhaupt zustande kommen, dann nur um den Preis, dass nach der Wahl unter der Führung eines CDU-Kanzlers erneut eine Mitte-Links-Politik betrieben wird, obwohl die CDU ihren Wählern eine Mitte-Rechts-Politik versprochen hatte. Um den damit einhergehenden persönlichen Reputationsschaden für sich einigermaßen in Grenzen zu halten, könnte der Wahlgewinner Merz das Kanzleramt zum Beispiel an Hendrik Wüst abtreten, der im Bund ohnehin eine Mitte-Links-Koalition anstrebt.

Mit anderen Worten: Der CDU fehlen die Koalitionspartner und damit die Machtperspektive für eine Umsetzung der von ihr inzwischen propagierten Mitte-Rechts-Politik. Mit der AfD will sie nicht koalieren und mit der SPD und den Grünen dürfte sie nicht koalieren, sofern sie ihr neues Grundsatzprogramm nicht nur ausgearbeitet und veröffentlicht hat, um ihre Chancen auf das Kanzleramt zu verbessern, sondern tatsächlich verhindern will, dass das Land durch die SPD und die Grünen nicht nur in der Asylpolitik weiter gegen die Wand gefahren wird.

Für wen sich die wachsende Anhängerschaft einer Mitte-Rechts-Politik bei den anstehenden Wahlen entscheiden wird, bleibt vor diesem Hintergrund sowie angesichts eines größeren Parteiangebots rechts der Mitte höchst ungewiss. Keineswegs auszuschließen ist daher, dass der von Merz eingeschlagene Kurs für die Bundestagswahl unter erheblichen Druck gerät, sollte es der CDU bei den diesjährigen Landtagswahlen in Ostdeutschland nicht gelingen, stärker als die AfD abzuschneiden. Hendrik Wüst, Daniel Günther und ihre inner- wie außerparteilichen Mitstreiter warten daher derzeit nur ab, ob sich Merz’ Wende nach rechts bei den nächsten Wahlen für die CDU auszahlt oder nicht.

Sollte sie dies nicht tun, werden sie versuchen, den Kreuzer CDU noch vor der Bundestagswahl eine weitere Wende fahren zu lassen, die programmatisch wieder nach links hin zur SPD und den Grünen führt und die Wähler rechts der Mitte, wie zu Merkels Zeiten, der AfD und den Nichtwählern überlässt. Ob sie so den Hafen Kanzleramt eher erreichen werden als auf Merz’ Rechtskurs, ist freilich nicht minder ungewiss wie der Erfolg eines Vorgehens, das diese Wähler nicht abschreiben, sondern wieder für die CDU gewinnen will. Sicher scheint angesichts solcher Unsicherheiten derzeit nur eines zu sein: mit der CDU wird es trotz ihrer programmatischen Wende nach rechts zu keiner Mitte-Rechts-Regierung wie in Italien und Finnland sowie jüngst auch in den Niederlanden kommen.

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