Tichys Einblick
EU-Wahl 2024 und CDU/CSU-Ergebnis

Strahlende Sieger sehen anders aus

CDU/CSU betrachten sich als große Sieger der EU-Wahl. Ein strahlender Sieger ist die Union gleichwohl nicht. Die Union konnte die Ströme der erdrutschartigen Verluste der Rot-Grünen nicht auf die eigenen Mühlen lenken.

picture alliance/dpa | Sebastian Gollnow

CDU/CSU betrachten sich als große Sieger der EU-Wahl. 30,0 Prozent hat die Union eingefahren: 23.7 Prozent CDU plus 6.3 Prozent – umgerechnet auf das Bundesgebiet – die CSU. In der Summe ist das ein Plus an 1.1 Prozent gegenüber der Wahl von 2019. Ja, die Union ist der Sieger, zumal sie im Rahmen der EVP die größte Fraktion im EU-Parlament stellen wird.

Ein strahlender Sieger ist die Union gleichwohl nicht. Relativer (!) Sieger ist sie angesichts von in der Summe 25.8 Prozent für die grünen und roten Ampel-isten (SPD 13.9 und Grüne 11,9) und deren Absturz von in der Summe 10.5 Prozent gegenüber 2019 (SPD minus 1.9; Grüne minus 8.6 Prozent).

Die Frage aller Fragen

Warum konnte die Union die Ströme dieser erdrutschartigen Verluste der Rot-Grünen nicht auf die eigenen Mühlen lenken?

Erstens: Die Union wird von vielen Wählern nicht wirklich als knallharte Opposition im Bundestag gesehen. Hier ist zu viel Kompromisslerei im Spiel – und zu viel Schielen auf die Grünen, die man ja vielleicht für eine andere, unionsgeführte Koalition brauchen könnte. Und das nicht nur im Bundestag: Zwei CDU-Landeschefs (Hendrik Wüst in NRW und Daniel Günther in Schleswig-Holstein) werden ohnehin eher als Chefs grün-grün-woker Koalitionen wahrgenommen. Da weiß der Wähler: Wähle ich CDU, dann bekomme ich „grün“. Das aber wollen viele potenzielle Unionswähler nicht. Es reicht ja schon, dass die ergrünte Unionsfrontfrau von der Leyen ein Verbrenner-Aus für 2035 durchziehen und für einen „Green Deal“ Billionen verpulvern will.

Zweitens: CDU/CSU-Spitzenkandidatin Ursula von der Leyen ist für viele Wähler der Inbegriff des Bürokratiemonsters Brüssel und intransparenter Geschäfte, siehe etwa die nicht aufgeklärten Milliardengeschäfte mit Pfizer. Und sie ist Inbegriff des Abbaus nationalstaatlicher Souveränität, die übrigens einzig Garant für Rechtsstaatlichkeit und Sozialstaatlichkeit sein kann. Von der Leyen wird wahrgenommen als Fortsetzung Merkel’scher Politik auf EU-Ebene, und sie ist vielen Wählern als sich selbst gestelzt inszenierende Pseudo-Staatschefin suspekt. Kurz: Von der Leyen war die absolut falsche Spitzenkandidatin. Man konnte sie übrigens nicht wählen und deshalb nicht einmal bewusst nicht wählen. Dass die CSU und die CSU-Spitzen Markus Söder und Manfred Weber das mitgemacht haben, ihr 36 Stunden vor Öffnung der Wahllokale in München beim Wahlkampfabschluss noch eine große Bühne boten, hat Wähler abgeschreckt. Manfred Weber, 2019 bereits Spitzenkandidat und dann von Macron und Merkel abserviert, hat das am 9. Juni 2024 hautnah zu spüren bekommen. Seine CSU verlor in seinem Heimatbezirk Niederbayern gegenüber 2019 ganze 8,2 Prozent (von 53.4 auf 45.2 Prozent).

Drittens: CDU/CSU haben es nicht verstanden, potenzielle AfD-Wähler zu gewinnen. Das hätte nach dem Desaster der AfD mit ihren beiden Spitzenkandidaten Maximilian Krah und Petr Bystron möglich sein müssen. So aber ging die AfD mit 15.9 Prozent und einem Plus von 4.9 Prozent als zweitstärkste Partei durchs Ziel. CDU/CSU verharren damit – von sich selbst inszeniert – eingekerkert in ihrer Brandmauer-Wagenburg, die implizit alle realen oder potenziellen AfD-Wähler wie Nazis betrachtet.

Fazit für die Union?

Erstens: CDU-Chef Merz kann das 30-Prozent-Ergebnis nicht als Riesenvotum für die eigene Kanzlerschaft betrachten. Denn eigentlich ist er bestenfalls mit einem blauen Auge davongekommen. Merke: Es ist ein dürftiges Plus von 1.1 Prozent gegenüber 2019 und dem Ergebnis der damaligen Merkel-Union. Und das – noch einmal – nach dem allseits desaströsen Erscheinungsbild der Ampel seit fast dreißig Monaten. Nun müsste – was immer diese abgegriffene, nichtsagende Vokabel zum Ausdruck bringen soll – endlich auch in der CDU/CSU Aufarbeitung angesagt sein. Nicht als Blabla, sondern als Aufarbeitung im Stil dessen, was Zigtausende vom Hochwasser Geschädigte jetzt tun: Altes Mobiliar raus und das Haus wieder trockenkriegen!

Zweitens: Die Union, wenn sie denn – selbst verschuldet – an Ursula von der Leyen nicht mehr vorbeikommt, muss im EU-Parlament Koalitionen mit EU-Kritikern eingehen können. Auch wenn das einem Macron und einem Scholz nicht schmecken mag. Aber die haben mit den katastrophalen nationalen Ergebnissen ihrer Parteien ohnehin gezeigt bekommen, wo Ende der Fahnenstange ist. An der Wendigkeit und am Ehrgeiz der Ursula von der Leyen dürfte es nicht scheitern.

Drittens: Im Hintergrund lauert nach wie vor ein Kandidat Markus Söder. Die von seiner CSU bzw. Manfred Weber in Bayern eingefahrenen 39.7 Prozent sind allerdings alles andere als berauschend (ein Minus gegen 2019 von 1.0 Prozent). Zum Vergleich: Söders CSU hatte bei der Bundestagswahl 2021 31.7 Prozent und bei der Landtagswahl 2023 37.0 Prozent erzielt. Aber auch die aktuell 39.7 Prozent zeigen, dass die CSU ihr Potenzial nicht ausgeschöpft hat. Siehe allein die Tatsache, dass die Freien Wähler 2023 bei der Landtagswahl auf 15.8 Prozent kamen, jetzt bei der EU-Wahl auf 6.8 Prozent. Die Umlenkung dieser Differenz von 9 Prozent auf CSU-Mühlen ist gescheitert.

Viertens: Die Union ist gut beraten, die Kandidaten-Frage noch vor der Sommerpause zu beantworten. CDU/CSU brauchen jemanden, der ab sofort aus dieser Position heraus auf Fundamentalattacke machen kann. Ohne Rücksicht auf Mitkonkurrenten und ohne Rücksicht auf mögliche Koalitionspartner.

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