Tichys Einblick
Wie hältst du es mit der AfD?

Das historische Versagen der CDU

68 Prozent der ostdeutschen CDU-Mitglieder können sich eine Form der Zusammenarbeit mit der AfD vorstellen. Historisch fällt der CDU die Rolle zu, der bürgerlichen Mehrheit eine Stimme zu geben, indem sie mit der AfD zusammenarbeitet, auch um die AfD zu verbürgerlichen. Doch die CDU wird dabei versagen.

Michael Kretschmer (CDU), Ministerpräsident von Sachsen, und Jörg Urban, Vorsitzender der AfD in Sachsen, Dresden, 08.08.2024

picture alliance/dpa | Robert Michael

Die Umfrage ist eindeutig – in beiderlei Hinsicht, auch wenn sie mit Vorsicht zu sehen ist, denn sie kommt von Forsa. Mehr als die Hälfte der Mitglieder der CDU schließen eine wie auch immer geartete Zusammenarbeit mit der AfD aus. Aber 45 Prozent der Befragten eben nicht.

Schaut man sich die Umfragen näher an, dann verläuft der Riss zwischen einer Pensionärspartei im Westen – die sich aus der Realität verabschiedet hat und die ihre tägliche Parteischulung durch ARD und ZDF erhält, die auch glauben würde, dass auf dem Mond Spargel wächst, wenn es ARD und ZDF sendeten – und einer Partei im Osten, deren Mitglieder nicht vor der Realität die Augen verschließen. 68 Prozent der ostdeutschen Mitglieder können sich eine Form der Zusammenarbeit mit der AfD vorstellen, 57 Prozent der Mitglieder im Westen nicht.

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Soziologisch lässt sich das Phänomen der zwei Parteien (noch) leicht erklären. Die Basis der Partei im Westen besteht zu einem Gutteil aus Leuten, die in ihrem Leben keine größeren Veränderungen erlebt haben, die finanziell abgesichert sind, nicht nur durch eigene Arbeit, sondern auch durch ererbte Vermögen, die sich durch und nach dem sogenannten Wirtschaftswunder gebildet hatten und ungestört wachsen konnten, die sogar in den achtziger und neunziger Jahren vor allem durch die Globalisierung und die Wiedervereinigung einen weiteren Schub bekamen. Diese Mitglieder halten die Bundesrepublik im Grunde für stabil und verschließen die Augen vor der Entwicklung, wobei sie von ARD und ZDF durch betreutes Wahrnehmen unterstützt werden. Sie glauben bis heute die Räuberpistolen, die Correctiv ersonnen und die ARD und ZDF über das angebliche Geheimtreffen verkündet hat.

Anders im Osten: Indoktrination durch Medien lehnt man hier ab, man lässt sich keine Scheinrealität vorgaukeln, man hat schon einmal einen Staat, der für die Ewigkeit errichtet worden war, zusammenbrechen sehen. Für viele wurde die Lebensgrundlage in Frage gestellt, sie konnten auch nicht auf Vermögen zurückgreifen, die über Jahrzehnte gewachsen sind. Es ist kein Geheimnis, aber selbst akademisches Mittel- und Untermaß aus dem Westen bekam die Professuren, während die Ostdeutschen gehen mussten. Die gutdotierten Stellen nahmen Leute ein, die aus dem Westen nach Ostdeutschland gingen, und sich zudem für Ostdeutsche unerschwinglich, für Westdeutsche nicht zu damals kommoden Preisen Immobilien erwerben konnten, die heute einen Millionenwert besitzen.

Vermögen kommt zu Vermögen. Die Wiedervereinigung war für Westdeutschland letztlich ein gutes Geschäft. Das alles wäre im Grunde vergessen, denn den Ostdeutschen ist es gelungen, sich einen gewissen Wohlstand zu erarbeiten, den sie nicht gefährdet sehen wollen, wenn nicht eine westdeutsch-grüne Politik diesen Wohlstand zerstören würde. Die Ostdeutschen wissen, wohin diese ideologiegetriebene Politik hinführt, viele Westdeutsche wollen es nicht wissen oder glauben der Ideologie. Viele Ostdeutsche nehmen den täglich stärker werdenden Abbau der Demokratie wahr, viele Westdeutsche nicht. Für sie dürfte es auch Postdemokratie sein, eben auch ein bisschen Diktatur, wenn ihr privater Ordnungsrahmen nicht angetastet wird und sie sich obendrein noch als gute Menschen fühlen dürfen. Ein bisschen Ablass muss sein.

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Diese sehr unterschiedlichen Erfahrungen stehen hinter dem Votum. Die Ostdeutschen wissen, dass solange die CDU hinter der von den Grünen verordneten Brandmauer kauert, sie grüne Politik machen wird. Zwar können sich 68 Prozent der Befragten vorstellen, im Bund mit der SPD eine Koalition zu bilden, unbeschadet der Tatsache, dass die SPD inzwischen eine grüne Partei mit roten Restbeständen ist, doch 27 Prozent würden sogar mit den Grünen im Bund koalieren.

Mit Blick auf die Situation in Deutschland formuliert sich die historische Aufgabe der CDU ziemlich einfach. Durch die Linksliberalisierung der westlichen Gesellschaften seit 1968 und dem wenig überraschenden Sturz dieser Linksliberalisierung in eine sich totalisierende Postmoderne, hat sich eine Classe Politique gebildet, die in allen Farben grün, das heißt postmodern ist. Von Anfang an war übrigens das 68er Projekt im Kern totalitär. Das postmoderne Politikmodell ist eben postdemokratisch, es lebt von der Selbstermächtigung einer Politiker-Schicht, die in ihrer eigenen Realität lebt, die nichts mehr mit der wirklichen Wirklichkeit, sogar nichts mit der virtuellen Wirklichkeit zu tun hat, sondern nur noch mit der medial abgesicherten Welt eines abgehobenen Milieus, das durch Parteiapparate sozialisiert worden ist und nach der Logik der Apparate handelt.

Man kann in Deutschland in den Brandmauerparteien nicht erfolgreich sein, wenn man nicht nach den Spielregen der Apparate spielt, wenn man nicht selbst Apparatschik ist. Der Politiker wurde in den meisten Fällen durch den Apparatschik ersetzt. Die Befestigung der Parteiapparate in Deutschland wird traditionell durch die allzu feste Organisation der Parteien gefördert, die keinerlei Kreativität mehr zulassen. Denn das Kreative ist zugleich das Unplanbare, was Parteibonzen jeglicher Couleur ein Gräuel ist, und vor allem wird die Herrschaft der Apparate gegen jede Veränderung durch das Verhältniswahlrecht immunisiert, denn die Parteienstimme ist die Apparatestimme.

Würde man wirklich die Demokratie in Deutschland verteidigen, sie zukunftssicher weiterentwickeln wollen, müsste man das einfache Mehrheitswahlrecht einführen, das nur den Direktkandidaten kennt. Es sagt im Grunde alles aus, dass die Parteiapparate alles dafür tun, den Direktkandidaten zu schwächen und den Parteikandidaten, der sein Mandat nicht sich und letztlich auch kaum den Wählern, sondern der Partei verdankt, der folglich abhängig vom Parteiapparat ist, dem seine ganze Loyalität gehört, zu stärken.

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In dieser Zwischenphase, in dieser Zeit der Wirren, in der sich Aufstieg oder Niedergang entscheiden, kommt der CDU eine wirklich historische Aufgabe zu. Und ich gehe mit dem Adjektiv historisch nicht inflationär und politikerlandläufig um, sondern sehr sparsam, geradezu geizig. Die historische Aufgabe der CDU besteht darin, den Postmodernismus zu überwinden und eine von deutschen Interessen geleitete moderne Politik für Deutschland zu machen, die Bewahrung und Veränderung einschließt, mehr noch Veränderung aus der Bewahrung heraus formuliert, die traditionsbewusst, liberal (im Sinne der deutschen Aufklärung) und konservativ ist. Hierfür muss die CDU die Brandmauer niederreißen und sich frei in der Art und Weise sowie in der Wahl der Kooperationen machen. Historisch fällt ihr (noch) die Rolle zu, die bürgerliche Mehrheit zu nutzen, ihre Interessen durchzusetzen, ihr eine Stimme zu geben, indem sie mit der AfD zusammenarbeitet, auch um die AfD zu verbürgerlichen, indem sie die bürgerlichen Kräfte in der AfD stärkt.

Doch die CDU wird historisch versagen, sie wird ihrer Rolle nicht gerecht werden, aus subjektiven und objektiven Gründen. Aus subjektiven Gründen, weil es ihren Kadern wie Daniel Günther und Hendrik Wüst an Weitsicht und Format und politischer Kreativität gebricht, und aus objektiven Gründen, weil sie im Westen einen Teil ihrer Wähler verschrecken würde, die statt in die Welt zu schauen, sich lieber von ARD und ZDF verschaukeln lassen.

43 Prozent der CDU-Mitglieder räumen Wüst die größte Chance als Kanzlerkandidat der Union für die nächste Bundestagswahl ein. Passend dazu hat das RND den Balken von Wüst auch grün koloriert, das ist auch das, was von Nordrhein-Westfalens Meldestellen-Ministerpräsident zu erwarten ist: die Fortsetzung grüner Politik unter anderem Parteinamen, so wie er es jetzt schon in NRW praktiziert. Die guten Werte für Wüst in NRW und in der doch recht verspießerten West-CDU werden einbrechen, wenn die mit Schulden aufgehaltene Wirtschaftskrise in NRW durchschlagen wird. Für den Osten wäre Wüst als Kanzlerkandidat unannehmbar, ein Affront. Damit würde sich die CDU entweder spalten: wenig wahrscheinlich – oder sie würde bei der nächsten Bundestagswahl im Osten krachend gehen: sehr wahrscheinlich. Wüst ist aus mitteldeutscher Sicht ein Funktionär der Diktatur der Postmoderne, oder feiner ausgedrückt der Postdemokratie.

Unhaltbare Wahlversprechen
Die große Show: Sachsens CDU-Regierung will Grenzen selbst sichern. Sagt sie.
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) scheut in seinem verzweifelten Kampf um das politische Überleben auch vor Entgleisungen nicht zurück, wenn er Björn Höcke einen „Neonazi“ nennt, womit substanziell und inhaltlich nichts über Sachsen gesagt ist. Nach einem politischen und gesinnungskonformen Prozess, der rechtlich höchst bedenklich und mehr als fragwürdig bleibt, darf man in Deutschland über den vogelfreien Höcke alles sagen – und man macht es auch. Aber damit ist in und für Sachsen, wenn man den Thüringer AfD-Vorsitzenden einen Neonazi nennt, weder etwas inhaltlich, noch substanziell gesagt. Doch weder die AfD in Sachsen trägt Schuld daran noch Björn Höcke in Thüringen, dass der Bildungssektor in Sachsen aufgrund von Misswirtschaft von Schwarz-Rot-Grün zusammenbricht. Chemnitz verdeutlicht die Situation besonders krass.

In Chemnitz wurde eine Oberschule für 700 Schüler mit Lichthof und Photovoltaikanlage für 36 Millionen Euro gebaut und 2023 eröffnet. Doch weder Lichthof noch Photovoltaik können darüber hinwegtäuschen, dass von 30 Wochenstunden mehr als die Hälfte ausfällt und bei Krankheitsfällen Schüler tagelang keinen Unterricht haben. Schüler müssten teilweise mit nur 13 Wochenstunden Unterricht auskommen. Im Hilferuf des kommissarischen Schulleiters heißt es: „Stellt sich die Absicherung mit moderaten Kürzungen in Fächern wie Deutsch, Mathe oder Englisch noch als vertretbar dar, werden Sie zahlreiche Fächer aktuell gar nicht im Stundenplan finden (unter anderem Geografie, Ethik, teils Sport und Geschichte, Französisch, Biologie, Physik, Technik und Computer.)“ So viel zum Fachkräfte-Problem, das übrigens durch verstärkte Einwanderung verschärft wird.

Chemnitz ist nur ein Beispiel wie Schwarz-Rot und Schwarz-Rot-Grün die Einstellung von Lehrern konsequent verschlafen hat. Solange aber Kretschmer eine bürgerliche Kooperation in Sachsen meidet, er die historische Aufgabe seiner Partei verdrängt, wieder eine bürgerliche Politik zu machen, indem man bürgerliche Mehrheiten nutzt, um aus der Zukunftsblockade durch die postmoderne Reaktion herauszufinden, wird er der Ministerpräsident des Niederganges sein.

Aufstieg oder Niedergang, das ist die Frage für Sachsen, für Thüringen, für Brandenburg, für Ostdeutschland, aber auch für ganz Deutschland – selbst wenn die Frage im Westen noch nicht einmal begriffen worden ist. Wie sagte doch Michail Gorbatschow einst: „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.“


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