Tichys Einblick
Merz poltert – ohne Konsequenz

Asylgipfel: Macht sich die CDU zum Ampel-Komplizen?

Vor dem Migrationsgipfel am Dienstag hatte die CDU klar gefordert, Migranten an der Grenze abzuweisen – und zwar alle, die aus einem sicheren Drittstaat kommen. Offenbar ist der Leidensdruck ausreichend erhöht, um mit dem Merkel-Kurs zu brechen. Das Problem: Von der Ampel-Regierung ist kein Umdenken zu erwarten.

Andrea Lindholz und Thorsten Frei nach dem Migrationstreffen von Ampel, Union und Bundesländern im Bundesinnenministerium, Berlin, 03.09.2024

picture alliance / Geisler-Fotopress | Bernd Elmenthaler

12. September 2015: In einer Telefonkonferenz vereinbaren unter anderem die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel, Innenminister Thomas de Maizière und SPD-Chef Sigmar Gabriel, Grenzkontrollen einzuführen und Flüchtlinge zurückzuweisen. Es ist der Höhepunkt der damaligen Migrationskrise. Am Ende wird der Beschluss nicht umgesetzt – unter anderem aus Angst vor unangenehmen Bildern. So schildert es der Welt-Journalist Robin Alexander („Die Getriebenen“).

Das Unfassbare: Fast genau neun Jahre, Millionen Migranten und zahlreiche islamistische Anschläge später, steht Deutschland noch immer am exakt gleichen Diskussionspunkt. Denn vor dem Migrationsgipfel mit Vertretern von SPD, Union, Grünen und FDP am Dienstag im Bundesinnenministerium hatte die CDU eine klare Forderung erhoben: Migranten an der Grenze abzuweisen – und zwar alle, die aus einem sicheren Drittstaat zu uns kommen, egal, ob sie dort tatsächlich einen Asylantrag gestellt haben oder dies nur hätten tun können.

Was plötzlich alles geht

Im Klartext läuft das auf eine Schließung der Grenzen für jedwede unkontrollierte Migration hinaus, weil Deutschland von sicheren Drittstaaten umgeben ist. Man muss kein AfD-Mitglied sein, um festzustellen, dass es diese Partei war, die diese Forderung seit 2015 konsequent erhoben hat. Insofern hatte ZDF-Frontfrau Dunja Hayali durchaus recht, als sie am Dienstagabend im Heute Journal giftete, das alles klinge „wie der Sound der AfD“. In ihrem manipulierenden Ton meinte Hayali das natürlich negativ.

Befürworter von Grenzschließungen hatten sich seit 2015 stets anhören müssen, das sei unrealistisch und rechtswidrig. „Wir können die Grenzen nicht schließen“, dekretierte Anfang Oktober 2015 die CDU-Kanzlerin Angela Merkel in einem Anfall radikalster Staats- und Selbstaufgabe. Das Wort der Gottkanzlerin galt von da an als letzte Einsicht ins einzig Gute und Wahre. Vom medialen wie politischen Großstrom wurde es eisern durchgefochten. Die CDU beugte sich und sagte kein Wort.

So lange nicht, bis im Dezember 2021 die Ampel-Regierung das Ruder übernahm und die Christdemokraten fortan aus der Opposition heraus kritisieren konnten. Die Eskalation der Migrationszahlen im vergangenen Jahr, die Erosion der inneren Sicherheit in Deutschland und der AfD-Erdrutsch in Ostdeutschland hat in der CDU offenbar den Leidensdruck ausreichend erhöht, um nun mit dem Merkel-Kurs offener zu brechen.

Kein Umdenken erkennbar

Das Problem: Von der Ampel-Regierung ist kein Umdenken zu erwarten. Durch die Teilnahme an gemeinsamen Gesprächen läuft die Union vielmehr Gefahr, sich zum Komplizen einer weiteren Verschleppungstaktik des linken Regierungsbündnisses zu machen. Auch weil Merz zwar rhetorisch eskaliert, sich in der Praxis offenbar aber einmal mehr scheut, eine klare Linie durchzusetzen und dem Kanzler die Pistole auf die Brust zu setzen.

In seiner Initiative in der vergangenen Woche hatte der CDU-Chef vorgeschlagen, einen Kurswechsel in der Migrationsfrage direkt zwischen einem Vertreter von ihm und einem Vertreter des Kanzlers zu verhandeln. Stattdessen kam es nun zu einer aufgeblasenen Runde, an der neben CDU- und SPD-Vertretern auch FDP- und Grünen-Akteure teilnahmen. Es ist eine Art Selbsthilfegruppe, in der alle Player beteiligt sind, die das Desaster angerichtet haben.

Allein das hätte Merz veranlassen müssen, das Gespräch gar nicht erst aufzunehmen. Denn die Grünen machten im Vorfeld mehr als deutlich, dass sie nicht daran denken, aus ihrer bunt-ideologischen Ecke in der Migrationsfrage herauszutreten. Parteichef Omid Nouripour etwa prügelte im ZDF-Morgenmagazin lieber auf Merz und dessen Generalsekretär Carsten Linnemann ein: „Ich frag’ mich eigentlich, ob die keine Hobbys haben.“

Fraktionschefin Britta Haßelmann verwies derweil bei ntv auf die bereits beschlossenen migrationspolitischen Maßnahmen der Ampel: Die müssten „jetzt Wirkung entfalten“. Botschaft: Mehr ist nicht zu tun. Andere Ampel-Teile klangen nur in Nuancen besser: Ein Sprecher des Innenministeriums von Nancy Faeser etwa erklärt im Vorfeld, man wolle in dem Gespräch das von der Ampel kürzlich beschlossene „Sicherheitspaket vorstellen und diskutieren“. Das ging völlig an der Merz’schen Intention vorbei, über das Grenzregime zu sprechen und die Zahl der Einreisenden signifikant zu drücken. Davon ist im „Sicherheitspaket“ nämlich keine Rede.

Merz poltert – bislang ohne Konsequenz

Zu einer Einigung auf Zurückweisungen kam es denn am Dienstag auch nicht. Auch andere von der Union geforderte Maßnahmen wie etwa die Aussetzung des Familiennachzugs für Aufenthaltsberechtigte mit subsidiärem Schutzstatus wurden nicht verkündet. CDU-Verhandler Thorsten Frei ließ am Abend im ZDF nur verlauten: „Also wir haben uns ausgetauscht zu diesen Themen“. Und Innenministerin Faeser teilte mit, „bestimmte Punkte“ würden nun rechtlich geprüft „und dann weiter beraten“.

Nicht weniger phraseologisch ließ sich die SPD-Innenministerin von Niedersachsen, Daniela Behrens, bei Phoenix ein: Man habe sich verständigt, „dass wir sehr bereit sind, miteinander auch neue Wege zu gehen“. Bedeutet offenbar: Man hat sich darüber verständigt, dass man sich darüber verständigt, ob man sich über etwas verständigt. Beziehungsweise man ist übereingekommen, das zu prüfen, was schon seit einem Jahrzehnt in der Debatte ist. Diagnose: Prokrastination im Endstadium.

Bei einer CDU-Veranstaltung in Osnabrück hatte Merz im Vorfeld des Migrationsgipfels noch gepoltert, wenn es am Dienstag zu keiner Einigung käme, „dann brauchen wir nicht weiter Gespräche zu führen“. Denn Stuhlkreise und therapeutische Sitzungen habe es schon zu Genüge gegeben. In Brandenburg ließ er dann wissen: „Es gibt keine Bereitschaft bei der Ampel über die Zurückweisung an den deutschen Grenzen zu sprechen.“

Stellt sich nur die Frage, warum die Union die Gespräche dann nicht längst abgebrochen hat. Was noch nicht ist, kann natürlich noch werden. Möglich ist allerdings auch, dass sich CDU und CSU am Ende auf einen wachsweichen Kompromiss einlassen, der theoretisch einzelne Zurückweisungen an der Grenze vorsieht, praktisch aber keinerlei Konsequenzen hat. Das sollte sich die Merz-Partei mit Blick auf die kommenden Bundestagswahlen sehr gut überlegen.

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