Der Weg vom Parkplatz zum Friedhof ist matschig. Man hat sich gut angezogen, um den Verstorbenen Respekt zu erweisen, und kommt verdreckt nach Hause. Also muss der Weg aufgeschottert oder mit Holzspänen versehen werden. Das ist banal, aber vielen Bürgern sind ihre sauberen Schuhe wichtiger als die feministische Außenpolitik gegenüber Katar oder das Zeichen, das Innenministerinnen setzen, wenn sie sich gemeinsam mit Radikalen oder Menschen mit frei baumelnden Geschlechtsteilen auf Kundgebungen zeigen.
Dieses Ignorieren der „Brandmauer“ sorgte nicht für bundesweite Schlagzeilen. Doch die Allgemeine Zeitung berichtete vor Ort. Thema war weniger die Tempo-30-Zone, sondern das gebrochene Tabu der Zusammenarbeit mit der AfD. Dabei kamen eigentlich alle zu Wort – nur nicht die Vertreter der AfD. Wie so oft, wenn es in deutschen Medien um den „Kampf gegen Rechts“ geht.
Ortsvorsteherin Sabine Flegel (CDU) musste sich für den Tabubruch entschuldigen: „Es ging dabei um ein Sachthema, das inhaltlich berechtigt war.“ Der Fraktionschef der Grünen im Stadtrat, Christian Viering, musste im gleichen Artikel einräumen, dass seine Partei an anderer Stelle schon einmal mit der AfD für eine Tempo-30-Zone gestimmt hatte, geißelte die eigene Entscheidung aber als „großen Fehler“, der im gemeinsamen Koalitionsvertrag mit SPD und FDP für weitere Zeiten ausgeschlossen wurde.
Das Gonsenheimer Beispiel zeigt, wie sich sowohl CDU als auch Ampel mit der Brandmauer selbst den Weg zu pragmatischem Handeln verbauen. Die Mainzer CDU treibt seit 14 Jahren orientierungslos durch das Stadtgeschehen. Bis dahin war sie Teil einer übergroßen Koalition aus SPD, CDU und FDP. Die zerbrach 2009 am geplanten Bau eines Kohlekraftwerks. CDU und Grüne kämpften gemeinsam gegen die Anlage – doch nach der Kommunalwahl gingen die Grünen mit der SPD zusammen. Freundschaften und Geschäftsbeziehungen im Hintergrund waren wichtiger als der gemeinsam gewonnene Kampf gegen das Kohlekraftwerk.
Doch auch die Ton angebenden Parteien Grüne und SPD tun sich schwer, mit der Brandmauer umzugehen. Das zeigt die Berichterstattung um die Tempo-30-Zone. „Wir werden eine Partei wie die AfD mit einer demokratiefeindlichen Grundhaltung niemals mit unserer politischen Zustimmung legitimieren.“ Klingt groß, klingt gut und ist doch so schnell gesagt. Nur: Was kommt danach? Bleiben die Schuhe auf dem Weg zum Friedhof schmutzig, weil saubere Schuhe demokratiefeindlich sind?
Was nach dem Schwur kommt, wird schnell bizarr. Das zeigen die Gedanken, die sich der SPD-Vordenker Jens Carstensen in der AZ zum praktischen Umgang mit der AfD macht. Man könne sich ja bei allen AfD-Vorschlägen enthalten, sagt er. Das habe man in Gonsenheim schon vorgemacht – ging aber nach hinten los. Weil sich alle Demokratiefeindefeinde enthielten, genügte eine AfD-Stimme zur Mehrheit. Eigentor.
Einen anderen Vorschlag machte Ortsvorsteherin Flegel im gleichen Artikel. Man könne sinnvolle Anträge der AfD mit einem Änderungsantrag versehen. Dann seien die Ideen der AfD eine Idee von CDU, SPD, Grünen, FDP oder Linken, die Brandmauer gewahrt, die Demokratie gerettet und die Schuhe auf dem Weg zum Friedhof trotzdem sauber. Zeichen zu setzen, ist manchmal recht abstrakt.
„Die sogenannte Brandmauer ist und bleibt ein Projekt der Berliner CDU-Blase“, macht sich der Mainzer Bundestagsabgeordnete Sebastian Münzenmaier (AfD) über das Treiben lustig. Es sei „selbstverständlich“, dass CDU-Politiker auf kommunaler Ebene immer wieder mit der AfD stimmten: „Und natürlich ist das auch richtig und sinnvoll. Sollen etwa Probleme vor Ort jetzt nicht mehr gelöst werden, weil wir als AfD diese Probleme aufdecken und Vorschläge präsentieren?“ Der jüngste gemeinsam beschlossene Antrag ist der zugunsten sauberer Schuhe auf dem Weg zum Friedhof – mal sehen, ob die in diesem Winter möglich sind oder weiter als demokratiefeindlich gelten.