Tichys Einblick
Elf Fragen

Wird aus der Causa Faeser eine Staatsaffäre?

Gerade bekanntwerdende Aktenvermerke und Belege aus dem Innenministerium widersprechen Faesers Unschuldsbeteuerungen. Faeser weigerte sich schon zweimal, im Innenausschuss Auskunft zu geben. In einem Rechtsstaat ist nun ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss fällig – und zwar öffentlich und unter Eid. Alles andere wäre nur Vertuschung.

IMAGO/photothek

Die Affäre Faeser hat längst die Dimension erreicht, zur Spiegelaffäre des wiedervereinigten Deutschlands zu werden. Als Resultat der Affäre mussten 1962 zwei Staatssekretäre und der Bundesverteidigungsminister Franz Josef Strauß gehen. Ob in Ampel-Deutschland allerdings noch dieselben rechtlichen und politischen Normen wie unter Konrad Adenauer gelten, werden die nächsten Tage zeigen. So viel lässt sich jetzt schon sagen, für die Mehrzahl der Medien, die diese Affäre totgeschwiegen haben, offenbar nicht. Wieder einmal haben die meisten Medien wie seit 2015 so häufig und in der Coronazeit notorisch versagt.

Gerade bekanntwerdende Aktenvermerke und Belege aus dem Innenministerium widersprechen indes Faesers Unschuldsbeteuerungen. Nach allem, was bis jetzt öffentlich ist, hat Nancy Faeser den ihr aus welchem Grund auch immer missliebigen Beamten Arne Schönbohm gefeuert. Passte ihr sein Parteibuch nicht, soll das Innenministerium zu einer monolithen Verfolgungsbehörde gegen alles, was Faeser als rechts empfindet, so ein klein bisschen Ministerium für Staatssicherheit unter den besonderen Bedingungen der Ampel werden? Oder benötigte sie nur einen Job für die gleichfalls aus Hessen stammende Claudia Plattner, die dann Schönbohms Nachfolgerin wurde – oder war es eine Melange aus allen drei Gründen?

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Aufklärung ist vonnöten, Aufklärung, der sich sowohl Faeser als auch der Ausschussvorsitzende Castellucci verweigert, wie er vorgestern im ZDF demonstrierte und zugleich für alle hör- und sichtbar seine Unparteilichkeit dementierte. Der Mann ist in der Funktion inzwischen untragbar. Fest steht bis jetzt nur, dass Schönbohm ein untadeliger Beamter ist, gegen den nichts, aber auch gar nichts vorliegt, was Faesers Schritt im mindesten rechtfertigt. Den Behauptungen Faesers und des Chefs des Innenausschusses, nämlich Faesers Parteifreund Castellucci, widerspricht die bisher bekannte Chronologie deutlich.

Übrigens im Unterschied zu manchem Politiker lügen Chronologien nicht. Im Bild-Interview hatte Faeser gerade erst behauptet: „Es ging um das Vertrauen in das BSI und seine Leitung. Wir brauchten angesichts der heutigen Bedrohungslagen die größtmögliche Expertise an der Spitze unserer Cybersicherheitsbehörde BSI – und volles Vertrauen. Ich habe das BSI neu aufgestellt und gestärkt.“ Inwieweit es geschwächt war, erklärte Faeser, die groß im Behaupten und schwach im Beweisen ist, nicht, auch kann sie nicht belegen, weshalb Plattners Expertise größer sein soll als die Schönbohms. Doch Beweisen und Belegen entspricht nicht den von Faeser verinnerlichten Regeln des Klassenkampfes.

Vermerke von Beamten des Bundesinnenministeriums werfen jedoch ein anderes Licht als Faesers bengalisches Feuer auf die Vorgänge. Faesers Versuche, Arne Schönbohm loszuwerden, setzten spätestens im Herbst 2022 ein. Denn laut Bild kam eine Anwältin des Ministeriums bereits am 23. November 2022 zu dem Schluss, dass es gegen Schönbohm nur „schwache fachliche Vorwürfe“ gäbe. D.h. Faeser muss vor dem 23. November eine Prüfung in Auftrag gegeben haben. Wann und warum? Das ist die erste Frage.

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Doch das genügte offensichtlich nicht, denn obwohl nichts vorlag, dürfte Faeser die Ermittlungen weitergetrieben haben, so dass Faesers Beamte nach Prüfung im Januar 2023 die Eröffnung disziplinarischer Vorermittlungen aufgrund von Schönbohms Unschuld mit der Formulierung „Billigung der Nichteröffnung“ ablehnten. Spätestens hier hätte Faeser erkennen müssen, dass die anschließend lancierte Räuberpistole angeblicher Russlandnähe ohne Substanz und nach jetzigem Kenntnisstand nur üble Nachrede war. Das ist die zweite Frage: warum beendete sie nicht die Untersuchung?

Auch Faesers Kabinettskollege Robert Habeck hatte in typisch grüner Fairness versucht, den Verfassungsschutz gegen Mitarbeiter in Stellung zu bringen, weil deren Fachkenntnisse seiner Utopie im Wege stand – und war daran gescheitert. Doch in der Ampel – das sieht man an ihrer zerstörerischen Politik – gilt nicht Fachkenntnis, sondern Gesinnung, nicht Loyalität gegenüber Recht und Gesetz, sondern Gehorsam als oberste Pflicht.

Aber auch jetzt gab sich Faeser nicht zufrieden. Sie ließ offenbar weiter ermitteln und zog offenbar den Verfassungsschutz in die Angelegenheit. Das ist die dritte Frage. Denn am 2. März informierte ein Abteilungsleiters im Innenministerium laut eines geheimen Aktenvermerks Faeser darüber, dass die Ermittlungen gegen Schönbohm nichts erbracht hätten. In dem Aktenvermerk hieß es, dass sich die Innenministerin „sichtlich unzufrieden“ mit den Ergebnissen der Anfrage zeigte, die Vorlage nicht unterzeichnete und verlangte, dass noch einmal das Bundesamt für Verfassungsschutz angefragt wird und „ihr diese Unterlage außerhalb des Dienstweges zukommen“ sollte. Warum außerhalb des Dienstweges? Das ist die vierte Frage. Welche Spur wollte Faeser verwischen?

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Fasste sie nun den Plan, gegen Schönbohm nicht mehr auf dienstlichem, auf rechtstaatlichem Weg vorzugehen? Denn dieser Weg erwies sich als totes Rennen, der Mann war und ist unschuldig. Er hatte sich, wie die Ermittlungen ihres Ministeriums ergaben, keines Vergehens schuldig gemacht. Ist es erlaubt, wenn man nicht beweisen kann, zu verleumden? Wollte Faeser die Ergebnisse der Abfrage in wohl dosierter Form bestimmten Medien, und dann noch dem unseriösesten von allen zugänglich machen, einem Pseudo-Satireformat, anstatt einer journalistischen Redaktion? Offensichtlich ließ sich nur außerhalb des Ministeriums ein Grund für die Entlassung schaffen? Laut dieses Vermerkes wurde ein zweites Mal der Verfassungsschutz eingeschaltet oder befragt. Warum also ein zweites Mal und mit welcher konkreten Zielrichtung? Das ist die fünfte Frage.

Weiter in der Chronologie: Am 6. April und am 23. Mai soll laut einer Anfrage der AfD, über die NIUS berichtet, Faesers Staatsekretärin Juliane Seifert mit Böhmermann telefoniert haben. Es heißt, es ging in dem Telefonat um eine Projekt zu „Hass im Netz“, das aus Mitteln des Bundesfamilienministeriums gefördert wurde, also um den politischen Kampf gegen alles, was nicht woke ist, was ideologisch nicht auf woker Linie ist, staatlich zu finanzieren. Dass dieses Projekt die Neutralitätspflicht des Staates verletzt, ist für sich genommen schon ein Skandal, doch steht die Frage im Raum, wieso Seifert zweimal mit dem ZDF-Mann Böhmermann über ein Projekt des Bundesfamilienministeriums telefoniert hat, wo sie doch inzwischen nicht mehr im Bundesfamilienministerium, sondern seit Dezember 2021 im Innenministerium tätig ist? Das ist die sechste Frage – und die richtet sich an Faeser und Seifert. Obwohl zwischen ihrem Wechsel vom Bundesfamilienministerium zum Bundesinnenministerium ein halbes Jahr liegt, telefonierte Seifert noch mit Medienleuten, mit der Kampfstelle gegen die Meinungsfreiheit, als die man Böhmermanns Schmäh- und Verhöhnungssendung auch sehen kann, über ein Projekt eines anderen Ministeriums? Seifert indes ist ein reines SPD-Parteigewächs, sie hat ihre Karriere dem SPD-Parteiapparat zu verdanken.

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Am 7. Oktober behauptete Böhmermanns Magazin Royale, dass Arne Schönbohm Kontakt zu einem Verein unterhalte, der in Verbindung mit den russischen Geheimdienst stünde. Böhmermann fantasierte von einem „Leck in unserer kritischen Infrastruktur“. Böhmermanns verächtliches Menschenbild dokumentiert seine Aussage, dass das größte Sicherheitsrisiko immer noch der Mensch sei. Eine Welt ohne Menschen, eine Welt woker Befehlsempfänger, eine Welt voller Lemminge scheint Böhmermann erstrebenswert zu sein. Böhmermanns Fazit, dass eben „Menschen…auf Posten sitzen, wo sie nicht hingehöre“, könnte O-Ton Faeser sein, vermittelt durch Juliane Seifert. Oder durch Faesers Büroleiter Bastian Fleig, der laut NIUS Kontakte zu der Rapperin Cora E. unterhält, die Teil des Teams von Böhmermann ist? Oder durch beide? Wurde Material durchgestochen? Und wenn ja, war das Material so dünn, dass es nicht einmal für die heute Sendung, nicht einmal für das scheinsatirische heute journal gereicht hatte? Das ist die siebente Frage, die nach dem Komplex Faeser-Böhmermann fragt.

Wie bestellt so geliefert? Aus Anlass von Böhmermanns Diffamierungen beruft Nancy Faeser Arne Schönbohm ab, weil das „notwendige Vertrauen der Öffentlichkeit in die Neutralität und Unparteilichkeit der Amtsführung als Präsident der wichtigsten deutschen Cybersicherheitsbehörde nachhaltig beschädigt“ sei. Ist Jan Böhmermann die Öffentlichkeit? Bestimmt Jan Böhmermann, wer in Deutschland welchen Posten bekleiden darf? Obwohl Faeser inzwischen in Bedrängnis geraten behauptet, dass die Entlassung Schönbohms nichts mit Böhmermanns Sendung zu tun hat, heißt es in dem Bescheid zum Verbot der Dienstgeschäfte an Schönbohm geradezu gegenteilig, wie der Focus zitiert: „Aufgrund der aktuellen Vorwürfe gegen Sie in Ihrer Funktion als Präsident des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik, die nach der Ausstrahlung der ZDF-Sendung „ZDF Magazin Royale“ von 7. Oktober 2022 verbreitet wurden, ist in der Öffentlichkeit das Vertrauen in die Amtsführung nachhaltig beschädigt.“ Welche Version stimmt nun, Frau Ministerin? Das ist die achte Frage. Ist Jan Böhmermann Ihr Personalchef oder die Öffentlichkeit?

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Weiter heißt es: „Unabhängig davon, wie stichhaltig diese sind und ob dieses sich im Ergebnis als zutreffend erweisen, ist in der öffentlichen Meinung ein Vertrauensverlust eingetreten, der eine weitere Amtsführung unmöglich macht und die Aufgabenerfüllung im BSI.“ Wie hieß es doch neulich von der Süddeutschen: Beweise bedarf es nicht mehr. Man muss nichts mehr belegen können. Denunziation reicht. Wer denunziert wird, ist schon durch den Akt der Denunziation schuldig? So agierte übrigens der sowjetische Staatsicherheitsdienst in Ostdeutschland, wie ich in meinem Buch „Der Kurze Sommer der Freiheit. Wie aus der DDR eine Diktatur wurde“ dokumentiert habe. Nicht umsonst hat ein Kenner der Diktaturgeschichte, Hubertus Knabe, Strafanzeige gegen Faeser mit der Begründung gestellt: „Aufgrund meiner langjährigen Beschäftigung mit dem Ministerium für Staatssicherheit der DDR halte ich es für äußerst problematisch, wenn das Bundesamt für Verfassungsschutz von der Bundesinnenministerin dazu benutzt wird, Belastungsmaterial gegen einen ihr unterstellten Mitarbeiter zusammenzutragen. Wenn sie das tat, obwohl die Unschuld des Mitarbeiters bereits erwiesen war, ist dies eine Straftat. Es stellt sich der Eindruck ein, dass so lange weiter ermittelt werden sollte, bis sich doch noch etwas Belastendes findet.“

Haben wir es hier also mit einem Komplott einer Ministerin mit einem von der Öffentlichkeit bezahlten Moderator einer sich für Satire haltenden Sendung zu tun? Wenn es Satire war, wie kann es Faeser dann für bare Münze nehmen? Noch im Monat der Ausstrahlung der Sendung beruft Faeser Schönbohm ab. Das ist die neunte Frage: Aufgrund der ZDF Sendung? Wirklich? Würde Faeser darauf einen Eid leisten? Und die zehnte und die elfte Frage schließen sich an: Wurde Schönbohm aufgrund der ZDF Sendung seines Postens enthoben und das ohne Prüfung der Behauptung Böhmermanns seitens des Ministeriums? Oder musste man die Behauptungen gar nicht mehr überprüfen, weil sie aus dem Bundesinnenministerium selbst stammten?

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Wurde jemals in der Bundesrepublik ein Beamter in der Bundesrepublik entlassen, weil er in einer angeblichen oder in einer wirklichen Satiresendung diffamiert wurde? Man darf darauf gespannt sein, ob Böhmermann seine Behauptungen belegen kann?

Faeser weigerte sich schon zweimal, den Vertretern des Volkes im Innenausschuss Auskunft zu geben, sie weigert sich, dem Bundestag Auskunft zu erteilen, wenn dann frühestens im Dezember, wenn dann da nichts dazwischen kommt, weil noch nicht genügend Gras über die Staatsaffäre gewachsen ist. Denn die Affäre ist trotz Versuche vieler Medien, das Thema totzuschweigen, dennoch zu einer Staatsaffäre der Ampel geworden.

Diese elf Fragen stehen im Raum. Diese müssen Nancy Faeser, Juliane Seifert und Claudia Plattner eidlich beantworten. Es mag alles so nicht stimmen. Es mögen sich böse Zufälle in die Chronologie geschlichen haben, doch ist es die Pflicht der Regierung, sie aufzuklären, und zwar in einem öffentlichen Untersuchungsausschuss. Nach Castelluccis ARD Interview weiß man, dass der Wille Castelluccis zur Aufklärung nicht vorhanden ist und deshalb eine Befragung im Innenausschuss jetzt zur Farce werden würde, weil die Ampel-Mehrheit wie bei der letzten Habeck Befragung ein Verfahren installieren würde, das keine echte Befragung durch die Opposition zuließe. Außerdem hat Faeser zweimal der Befragung eine Absage erteilt.

In einem Rechtsstaat ist nun ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss fällig – und zwar öffentlich und unter Eid. Alles andere wäre nur Vertuschung.

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