Tichys Einblick
Zukunft der CDU

Die Chance des Carsten Linnemann

Friedrich Merz und seinem neuen Generalsekretär Carsten Linnemann nichts zuzutrauen, das ist einfach. Aber auch kurzsichtig. Entscheidend ist, was die beiden nun langfristig anpacken. Es geht ums Image.

IMAGO / Chris Emil Janßen

Zu den interessantesten politischen Büchern gehört „Höllenritt Wahlkampf“ von Frank Stauss. Der Berater schildert darin die Wahlkämpfe, die er für die SPD organisiert hat. Besonders spannend ist das Kapitel in der überarbeiteten Neuauflage, das er dem Sieg Malu Dreyers 2016 in Rheinland-Pfalz gewidmet hat. Die Ministerpräsidentin lag zwischenzeitlich um zehn Prozentpunkte hinter der CDU zurück – drehte das aber in einem sensationellen Endspurt um.

Wie war Dreyer diese sensationelle Wende gelungen? Mit einer strategischen Entscheidung, die unscheinbarer nicht hätte sein können: Etwa zwei Jahre vor der Wahl entschied sie, sich auf inhaltlich spröde Themen festzulegen. Zum Beispiel die Gesundheitsversorgung. Ein Thema, das im Internet nie gut klickt – das in Zeitungen vor Corona selten vor der fünften Seite behandelt wurde. Dieses Thema sollte Dreyer nun helfen, einen Rückstand von zehn Prozentpunkten aufzuholen. Spoileralarm: Es hat funktioniert.

In der Politik entscheidet das Image

Dreyer und Stauss hatten etwas kapiert, was immer weniger Menschen in der Politlandschaft verstehen. Von der Medienlandschaft gar nicht zu sprechen: In der Politik entscheidet das Image. Und das Image bildet man nicht durch eine möglichst krawallige Geschichte in der Bild oder eine Radikalforderung in der Taz. Image muss sich ein Politiker über Jahre in mühevoller Kleinarbeit erwerben. Und wenn er dafür zwei Jahre lang am Bewusstsein der Bürger vorbei eine bessere Gesundheitsversorgung anmahnt. Entscheidend ist, dass er im Unterbewusstsein des Bürgers sitzt als Politiker, der die wichtigen Themen anpackt – und das ernsthaft.

Die CDU versucht derzeit, 16 Jahre Angela Merkel mit möglichst einer Meldung abzuschütteln: der Vorsitzende Friedrich Merz, der ein Zehnpunktepapier verkündet, mit dem sich die Partei komplett neu aufstellen will. Der neue Generalsekretär Carsten Linnemann, der Nebenjobs von der Steuer befreien will. Oder, besonders kläglich, Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst, der in der Bild eine „Anti Clan Garantie“ abgibt. Solche Versuche des Imagewandels sind zum Scheitern verurteilt. Der Wähler durchschaut sie als das, was sie sind: billige Versuche zu punkten.

Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben
In der CDU ist der Kampf um die Zukunft der Partei ausgebrochen
Julia Klöckner (CDU) lag seinerzeit in Rheinland-Pfalz zehn Prozentpunkte vor Malu Dreyer. Sie analysiert heute noch, dass ihre Niederlage auf Merkels Flüchtlingskrise zurückzuführen sei. Das ist zwar richtig – erfasst aber die Niederlage nicht in der Tiefe. Klöckner hatte sich zuvor auf jedes Thema gesetzt, das aktuell aufpoppte – und es wieder verlassen, wenn sich der Scheinwerfer woanders hindrehte. Dreyer hatte unterdessen auf spröde Themen gesetzt, etwa die Gesundheitsversorgung, aber das dauerhaft. Als die Flüchtlingskrise kam, nahmen die Rheinland-Pfälzer 2016 Dreyer die ernsthafte Politikerin ab, während sie Klöckner vorwarfen, bei dem Thema mit ihren Positionen nur zu taktieren. Von Dreyers Substanz her war das Unsinn. Aber beim Image kommt es nicht auf die Substanz an, sondern auf Stimmigkeit. Und für die hatte ihr Berater Frank Stauss rechtzeitig gesorgt.

Nun schreiben Journalisten, Merz, Linnemann und die CDU seien so tief in der Ära Merkel verhaftet – auch durch eigene Fehler –, dass sie einen Imagewandel nicht hinbekämen. Schon gar keinen langfristigen. Das ist zwar richtig gedacht. Aber halt auch sehr kurzfristig. Mit dem Zehnpunkteplan werden sie es nicht schaffen. Sicher. Auch nicht mit der Berufung Linnemanns allein. Und schon gar nicht mit Auftritten wie denen des grünen Ralf Fücks auf ihrem Grundsatzkonvent. Die CDU braucht ein neues Image. Das muss sie sich langfristig und mühevoll erarbeiten. Das klingt aussichtslos. Ist es aber gar nicht. Dafür gibt es Gegenbeispiele.

Imagewechsel ist ein langer, mühsamer Weg

Die oberste Voraussetzung zum langfristigen Imagewechsel ist die Erkenntnis: Das wird kein geradliniger Weg, sondern eine Rocky-Story. Der Held dieser Geschichte muss sich erstmal durch letztklassige Boxkämpfe, stinkige Trainingshallen, rohe Eier aus dem Glas und einsame Läufe auf den nächtlichen Straßen Philadelphias quälen, bis es nach oben geht. Wer glaubt, es reicht, eine Story in der Bild zu platzieren und alles wird gut, der wird den WM-Titel nicht holen.

Ein Beispiel dafür ist die AfD. Die trat zur Bundestagswahl 2021 mit dem Slogan an: „Deutschland, aber normal“. Der war in der Partei nicht unumstritten. Den Radikalen war das zu wischiwaschi. Dann ging die Wahl mit dem Slogan verloren – und eigentlich ist er seitdem in der Partei verbrannt. Was ungerecht ist. Denn eigentlich verdankt die AfD dieser Ausrichtung ihren Aufstieg mit 20 Prozent in den Umfragen und gewonnenen Kommunalwahlen:

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Wirtschaftsminister, die den Unternehmen raten, möglichst rechtzeitig in die Insolvenz zu gehen. Menschen mit Penissen, denen die Politik per Selbstbestimmungsgesetz den Weg in Frauenhäuser öffnen will. Ein Gesundheitsminister, der vor dem Hitzetod warnt und sich dann beim Feiern in der Glutsonne filmen lässt. Klimaschützer, die Berufspendlern den Weg versperren, um danach selbst nach Bali oder Mexiko zu fliegen. Wenn sich eine beachtliche Menge an Deutschen heutzutage etwas wünscht, dann ist das Normalität. Der Slogan „Deutschland, aber normal“ ist in der AfD verbrannt, wird bewusst nicht mehr eingesetzt – wirkt aber unbewusst umso besser.

Das noch bessere Beispiel für einen unerwarteten Aufstieg durch langfristige Arbeit am Image ist der Bundeskanzler persönlich. 2019 war Olaf Scholz nicht einmal an der Basis der SPD die erste Wahl. Die zog Saskia Esken ihm vor. Zudem diskutierte die Partei über die Frage, ob es 2021 überhaupt noch Sinn machen werde, einen Kanzlerkandidaten aufzustellen – oder ob sich die Sozialdemokraten diese Peinlichkeit nicht lieber ersparen sollten.

Das Beispiel Scholz

Nun lassen sich Images nur langsam und schwer wandeln. Die Umstände werden aber mitunter deutlich schneller günstig. So wie für Olaf Scholz im Wahlkampf von 2021. Er startete als Drittplatzierter. Aber seine Gegner waren Armin Laschet (CDU), dem der Ruf eines Luftikus anhaftete, und Annalena Baerbock (Grüne), die zu der Zeit wie eine frisch ertappte Schwindlerin wirkte. Wer gewonnen hat, ist bekannt.

Scholz hatte genau das richtige Image zur richtigen Zeit: ein vielleicht etwas dröger Sacharbeiter. Sicherlich kein Showman. Aber dafür ein Sachbearbeiter, der sich um die wichtigen Themen wie Wirtschaft und Finanzen kümmert. Kompetent. Nun werden manche Kollegen im Kopf schon den Gegenartikel schreiben, in dem sie in einer Fleißarbeit aufzählen, warum dieses Image inhaltlich nicht begründet ist. Danke für die Arbeit, ist nicht nötig, ist bekannt. Andererseits: Ein Text mehr schadet auch nie – gerade am Wochenende.

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Aber es kommt eben nicht drauf an, ob Scholz wirklich ein zuverlässiger Experte für Wirtschaft und Finanzen ist oder war. Entscheidend ist, dass ihm eine ausreichende Menge dieses Image abkaufte und ihn in der Folge zum neunten Bundeskanzler der Republik machte. Es mag vielleicht nie so leicht gewesen sein wie 2021, den Kanzler zu stellen. Aber Scholz war der richtige Mann mit dem richtigen Konzept und dem richtigen Image zur richtigen Zeit. Steht die Sonne tief, wirft ein Zwerg auch lange Schatten.

Die Sonne steht weiter tief. Sie wird mutmaßlich noch weiter sinken. Das ist die Chance für Merz und Linnemann. Gerade für Linnemann. Er hat sich gegen Merkel positioniert, als es wehtat. Er ist anders als Merz in der Arena geblieben. Und wenn es noch einen in der CDU gibt, der glaubwürdig Wirtschaftsthemen vertreten kann, dann ist es der Mann aus Paderborn. Das ist schon mal ein guter Start.

Gegen Merkel und wirtschaftskompetent: eine gute Grundlage

Seine innerparteilichen Gegner werden die schnellen Schlagzeilen setzen. Sie bedienen die grünen Erzählungen, die gefragt sind. In der ARD, dem ZDF, der Süddeutschen Zeitung, der Taz, der FAZ, T-Online, dem Spiegel, der Zeit, dem Hamburger Magazin mit den Hitler-Tagebüchern oder der Morgenpost. Nur die schnelle Forderung nach noch einem grünen Projekt wirkt nicht so aufs Image, wie es die handelnden Personen à la Wüst oder Daniel Günther wünschen. Sie kommen nicht wie die Vertreter der jeweiligen grünen Position rüber, sondern wie austauschbare Mitläufer des Zeitgeists, die in einem Umfeld mit einem ausgemusterten Kurzzeitpolitiker wie Ruprecht Polenz auftauchen, der historisch zu den größten Versagern der Partei gehört.

Linnemann hat die Chance, an seinem Image langfristig zu arbeiten. Zur Not am öffentlichen Bewusstsein vorbei. Und wenn’s sein muss, entgegen den Unkenrufen von Journalisten und Kolumnisten, die nur bis zur nächsten Story denken. Seine Ausgangssituation ist besser als die jedes anderen in der Partei: gegen Merkel gemeutert und ein Wirtschaftsfachmann. Das sind Alleinstellungsmerkmale. Daran muss er jetzt arbeiten. Hart, langfristig und zwischenzeitliche Niederlagen in Kauf nehmend. Dann hat Linnemann die Chance, der richtige Mann zu sein, wenn die Umstände für die Partei günstiger werden. Der WM-Sieg nimmt in Rocky-Filmen immer nur die letzten zwei Minuten ein – der Rest ist ein mühevoller Weg durch die Straßen von Philadelphia. Wahlkämpfe sind erst recht Höllenritte.

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