Tichys Einblick
Gutachten belegen:

Die Carolabrücke in Dresden war baufällig – doch im Rathaus interessierte das niemanden

Die Carolabrücke von Dresden war baufällig. Das war den Verantwortlichen im Dresdner Rathaus bekannt. Sie hätten sofort handeln müssen. Dies belegen bisher geheim gehaltene Gutachten im Rathaus.

Eingestürzte Carolabrücke, Dresden, 15.10.2024

picture alliance/dpa | Robert Michael

Vor fast sechs Wochen stürzte die Carolabrücke in Dresden ein, die Trümmer ragen noch heute aus den Fluten der Elbe. Bagger und Hydraulikscheren und Hämmern zerkleinern in mühevoller Arbeit die Brückenteile. Jetzt kommt scheibchenweise heraus, wie verrostet das Innenleben der Brücke eigentlich war. Die Carolabrücke von Dresden war baufällig. Das war den Verantwortlichen im Dresdner Rathaus bekannt. Sie hätten sofort handeln müssen. Dies belegen bisher geheim gebliebene Gutachten im Rathaus.

Besonders in der Schusslinie: Bürgermeister für den Geschäftsbereich Stadtentwicklung, Bau, Verkehr und Liegenschaften, Stephan Kühn (Grüne). Der hat irgendwas mit Soziologie gemacht und sich lieber um Blumenkübel und Radwege in der Innenstadt gekümmert als um die Sicherheit der Brücken.

Um zwei Gutachten geht es, über die die Sächsische Zeitung berichtet. Im Oktober 2022 wurde eine „Nachrechnung der Tragfähigkeit vorgelegt“, nach der das Straßen- und Tiefbauamt der Stadt glaubten, dass die Brücke weiter genutzt werden konnte. Allerdings unter der Annahme, dass es keine relevanten Schäden an der Brücke gebe.

In einem weiteren Gutachten vom Mai 2024 wurde allerdings »fortgeschrittene Korrosion an der Bewehrung des Bauwerkes«, also zum Beispiel Lochfraßkorrosion am Bewehrungsstahl, festgestellt. Der festgestellte Rost an der Bewehrung sei als »sehr kritisch« zu betrachten.

Bild berichtet von einem Gutachten vom Oktober 2022 des Architekturbüros Leonhardt, Andrä und Partner, dass für einen 25 Meter langen Abschnitt zwischen den Achsen D und E der Carolabrücke „keine ausreichende Druckspannungsfestigkeit“ nachgewiesen werden konnte.

Das zweite Gutachten vom 15. April 2024 von der Firma Saxotest im Auftrag der Stadt besagt ebenso, dass es relevante Schäden gibt. Es wurde „fortgeschrittene Korrosion an der Bewehrung des Bauwerkes“, also zum Beispiel Lochfraßkorrosion am Bewehrungsstahl, festgestellt. Die Korrosion sei an einigen Stellen bereits so weit fortgeschritten, „dass der Querschnitt der Bewehrungsstähle erheblich reduziert wurde“. Die Spannstähle waren verrostet.

Eigentlich das »Aus« für eine Brücke; die Spannstahl-Stäbe verlaufen durch den Beton der gesamten Brücke und stehen unter einer starken Zugspannung. Dadurch erst hält die Konstruktion der Brücke; der Beton selbst würde ohne die Zugspannung der Stahlseile sofort auseinanderbrechen. Das hat er ja denn auch getan.

Die Brücke von Dresden war also dramatisch baufällig – und im Rathaus interessierte dies offenbar niemanden.

Aus den internen Unterlagen geht zudem laut Bild hervor, dass durch die Hauptuntersuchungen der Brücke, die alle drei Jahre durch das Büro J. Paul GmbH, Berlin, ausgeführt wurden, zunehmende Mängel aufgedeckt wurden.

Empfehlungen zum Beheben der Schäden seien allerdings regelmäßig ignoriert worden. Das wiederum haben zu immer größer werdenden Schäden und immer höheren Instandsetzungskosten geführt – bis die Situation 2014 so kritisch wurde, dass „aufgrund der Vielzahl von Schäden die Wiederherstellung der Dauerhaftigkeit und Verkehrssicherheit des Bauwerkes nur mit einer umfassenden Grundinstandsetzung sinnvoll ist“.

Währenddessen haben Brücken-Experte Professor Steffen Marx und sein Team in den Trümmern der Brücke nach Ursachen für den Einsturz gesucht. Deren Ergebnisse sind ernüchternd und decken das, was die internen Unterlagen enthüllen: Die Stahldrähte, die durch die Brücke führten, waren an etlichen Stellen gerissen. »Lochfraß« stellten sie fest durch Tausalz, das in den Stahl eingedrungen sei und dazu beitrug, dass die Brücke von innen langsam aber sicher verrottete.

Jene Spannglieder sind ummantelte Bündel aus Stahldrähten, die beim Bau in den Beton eingelassen werden und die Brücke stabilisieren. Diese wirken als Spannkräfte den Zugkräften des Stahls der Brücke entgegen. Rund 160 dieser Spannglieder waren in dem Bereich des Hauptpfeilers in der Brücke verbaut. „Etwa 30 bis 40 Prozent davon waren sehr stark beschädigt“, erklärt Marx. „Etwa die Hälfte davon war lange vorgeschädigt, wahrscheinlich bereits beim Bau der Brücke.“

Der eingestürzte Zug C wurde 1968 begonnen zu bauen. Die andere Hälfte der gravierenden Schäden, von denen Marx spricht, ist im Laufe der Zeit durch Chlorid-induzierte Korrosion entstanden. Tausalz, das in den Stahl eingedrungen ist und seitdem immer mehr Rost verursacht hat.

Der spektakuläre Einsturz der Brücke am 11. September nachts um drei Uhr war nur der letzte Schritt. Der grüne Baubürgermeister Stephan Kühn kann nur von Glück reden, dass niemand ums Leben gekommen ist. Die letzte Straßenbahn rumpelte eine Viertelstunde zuvor über die Brücke.

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