Tichys Einblick
Weisung zum Traditionserlass in „Zeitenwende“

Jetzt will die Bundeswehr wieder mehr auf militärisches Können schauen

Nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine hat sich im Verteidigungsministerium offenbar die Einsicht durchgesetzt, dass die seltsame Prioritätensetzung und Beschäftigung mit Zeitgeistfragen der letzten Jahre ziemlicher Wahnsinn war.

IMAGO / Political-Moments

„Lebendige Tradition muss gegenwarts- und auftragsbezogen sein“, heißt es im Traditionserlass der Bundeswehr, der 2018 nach heftigen Diskussionen von der damaligen Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen in Kraft gesetzt wurde: „Sie“, also die Tradition, sei „ständig zu überprüfen und fortzuentwickeln. Tradition und Auftrag der Bundeswehr greifen so ineinander.“ Man könnte es zugespitzt formulieren: Tradition und Geschichtsschreibung in der Bundeswehr haben dem aktuellen Auftrag der Armee beziehungsweise den Vorstellungen zu dienen, die die politische Führung für sie proklamiert.

Unter von der Leyen bestand dieses „Dienen“ bekanntermaßen darin, die Bundeswehr politisch korrekt zu zivilisieren und von allem allzu militaristischen zu säubern. Wir erinnern uns an die umbenannten und gesäuberten Kasernen. Der Höhe- oder besser gesagt Tiefpunkt war erreicht, als die Universität der Bundeswehr in Hamburg vorübergehend ein Helmut-Schmidt-Porträt abhängen ließ, das den Ex-Kanzler im Jahr 1940 in Wehrmachtsuniform zeigte.

Von der Leyens erst danach vorgelegter Traditionserlass war schwer darum bemüht, sich so weit wie möglich von der Wehrmacht zu distanzieren, die als solche nicht traditionsstiftend für die Bundeswehr sein könne. Als Ziele der Traditionspflege benannte der Erlass alles Mögliche, wie etwa die Schaffung eines „demokratischen Wertebewusstseins“ und „eines verfassungsorientierten Patriotismus“. Erst an fünfter Stelle tauchte aber auch das auf, von dem man doch eigentlich meinen müsste, es sei die eigentliche Aufgabe einer Armee „Einsatzbereitschaft“ und der „Wille zum Kampf“.

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Diese etwas seltsame Prioritätensetzung war nur möglich vor dem Hintergrund der in vielen Redaktions- und Politikstuben kursierenden Annahme eines ewigen Friedens. Er schien genug Raum zu schaffen, um sich auch in der Bundeswehr vor allem mit zeitgeistigen Fragen zu beschäftigen. Nun, nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine, hat sich im Verteidigungsministerium offenbar die Einsicht durchgesetzt, dass das ziemlicher Wahnsinn war.

Keinen anderen Schluss lässt der Blick in die neuen „ergänzenden Hinweise“ zum Traditionserlass zu, die Kai Rohrschneider, Abteilungsleiter Einsatzbereitschaft und Unterstützung Streitkräfte im Bundesministerium der Verteidigung, Mitte Juli an alle relevanten Stellen in Ministerium und Armee verschickte. Die Weisung hat es in sich, und so wundert es ein wenig, dass sie noch nicht mehr mediale Beachtung erhalten hat.

Denn sie verkündet eine bemerkenswerte Schwerpunktverschiebung im Traditionsverständnis der Bundeswehr der vergangenen Jahre. Konkret heißt es in dem Papier: „In der Traditionspflege muss ein größeres Augenmerk auf Fähigkeit bzw. Können (Militärische Exzellenz) gelegt werden, ohne damit auf andere traditionsstiftende Beispiele wie klassische soldatische Tugenden (Charakter) oder Leistungen für Integration der Streitkräfte in die Gesellschaft zu verzichten.“

Im Umkehrschluss lässt sich dem das Eingeständnis entnehmen, dass bislang Tugenden zu stark betont wurden und militärisches Können dabei hinten runterfiel: „Mit der durch den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine ausgelösten Zeitenwende ist die Bedeutung von Kriegstüchtigkeit von Streitkräften, die sich maßgeblich aus einem hohen Einsatzwert und hoher Kampfkraft ableitet, auch für die Traditionspflege gestiegen“, heißt es im Papier weiter.

Man könnte es so auf den Punkt bringen: Für politisch-korrekt gesäuberte Historie ist jetzt keine Zeit mehr. Der Text erklärt dann, dass für die militärische Exzellenz im Rahmen der Traditionspflege „der Gründergeneration der Bundeswehr eine bedeutende Rolle“ zukomme. Diese habe sich „zu großen Teilen im Gefecht bewährt“ und somit „über Kriegserfahrungen, die beim Aufbau der Bundeswehr unentbehrlich waren“, verfügt. Das Pikante daran: Die Kriegserfahrung hatten diese Bundeswehrgründer natürlich im Rahmen der Wehrmacht gesammelt.

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Das Papier führt dann einige konkrete traditionsstiftende Namen an und betont dabei in bemerkenswerter Offenheit jeweilige Leistungen im Zweiten Weltkrieg. Da ist zum Beispiel Erich Hartmann, ein Offizier, der im Krieg „erfolgreichster Jagdflieger der Militärluftfahrt (352 Luftsiege)“ gewesen sei. Oder Konteradmiral Erich Topp, der „im Zweiten Weltkrieg einer der erfolgreichsten U-Boot-Kommandaten“ gewesen sei. Topp sei nach Hitlers Machtübernahme auch in die NSDAP und die Allgemeine SS eingetreten, habe sich aber nach 1945 sehr kritisch mit seiner Vita auseinandergesetzt.

Bezeichnend für den Ton der neuen Weisung ist auch, was sie zu dem ebenfalls potenziellen Traditionsstifter Brigadegeneral Heinz Karst erwähnt: Karst habe für die Ausrichtung der Bundeswehr „auf Kriegstauglichkeit“ gestanden und „eine Überbetonung des zivilen Anteils an der Inneren Führung“ abgelehnt. Man könnte das auch als indirekte Kritik an der Arbeit der Verteidigungsministerinnen der jüngeren Zeit und deren verfehlten Schwerpunktsetzung bei der Inneren Führung lesen.

Den Verfassern des Papiers ist wichtig zu betonen, dass der Traditionserlass von 2018 gültig und neben dem professionellen Können die Wertbindung von Traditionsstiftern wichtig bleibe: „Entscheidend für die Traditionswürdigkeit von Soldaten der Gründergeneration der Bundeswehr ist das Ergebnis eines sorgfältigen Abwägens zwischen etwaiger persönlicher Schuld und individueller Leistung.. Die nun vorgenommene Schwerpunktverschiebung und die ausgewählten Beispiele aus dem Wehrmachts-Kontext bleiben gleichwohl bemerkenswert.

Unter linken Beobachtern sorgt das denn auch bereits für Aufregung. In der Bundespressekonferenz brachte am Montag der Journalist Tilo Jung das Thema mit der Frage aufs Tapet, ob die neue Weisung „nicht dem Kampf gegen Rechtsextremismus in der Bundeswehr“ schade. Arne Collatz, Sprecher des Verteidigungsministeriums, stellte in dem Zusammenhang klar, dass es bei den potenziell traditionsstiftenden Personen eigentlich um deren Rolle für den Aufbau der Bundeswehr geht. Und dass sie bei der Gründung der Bundeswehr auch von einer Personalkommission auf ihre klare Positionierung zum NS-Regime überprüft worden seien.

Mit Blick auf den im Papier auftauchenden erfolgreichen Jagdflieger Hartmann stellte der Sprecher fest: „Die Leistungen von Hartmann im Zweiten Weltkrieg sind keine traditionsbegründete Tatsache im Sinne des Traditionserlasses.“ In der Ministeriumsweisung werden sie freilich trotzdem prominent benannt. Weil sich ja gerade aus seinem militärischen Können im Rahmen der Wehrmacht auch die spätere Rolle Hartmanns für die Bundeswehr ergab. Es scheint, als fremdle das Ministerium noch ein bisschen mit seiner eigenen neuen Weisung zum Traditionserlass.

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