Tichys Einblick
So wird das nichts mit der Rüstung

Bundeswehr: Wieder ein halber Schritt nach vorne und einer zurück

Von wegen Zeitenwende. Das Hickhack um das neue Sturmgewehr und jetzt der Aufschub beim künftigen Kampfjet FCAS offenbaren die anhaltende Vernachlässigung des Militärischen. Die Verteidigungsministerin und ihre beiden Vorgängerinnen personifizieren das.

Modell des geplanten FCAS auf der Paris Air Show 2019

IMAGO / ITAR-TASS

Die Bundeswehr ist in aller Munde. Zumindest vorläufig. Der Überfall Russlands auf die Ukraine vom 24. Februar 2022 hat hektische Debatten ausgelöst. Kanzler Scholz kündigt drei Tage danach eine Aufrüstung der Bundeswehr an: Es wurde ein 100-Milliarden-Sondervermögen für die Bundeswehr geschaffen, und Deutschland werde endlich das Nato-Ziel eines Zwei-Prozent-Anteils am Bruttoinlandsprodukt (BIP) für Verteidigung realisieren. All dies sollte von Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) umgesetzt werden, die wie so manche ihrer Vorgängerinnen wohl nie in ihrem Amt ankommen wird. Aber immerhin „weiß“ sie jetzt (so wörtlich vor wenigen Tagen im Bundestag), dass der Flugabwehrkanonenpanzer Gepard kein Panzer sei, aber „mit einem Rohr in die Luft schießt.“ Indes lauern ja noch andere Rüstungsfragen im Hintergrund: das neue Sturmgewehr und der neue Kampfjet.

Kommt das neue Sturmgewehr jetzt doch von Heckler & Koch?

Im April 2012, also vor zehn Jahren, gab es Berichte, nach denen das Sturmgewehr der Bundeswehr G36 nach mehreren hundert Schuss zu heiß werde und darunter die Treffsicherheit leide. Gegen diese Mängelberichte klagte der Hersteller Heckler & Koch beim Landgericht Koblenz. Der Klage wurde im September 2016 stattgegeben. Zu diesem Zeitpunkt freilich hatte eine Verteidigungsministerin von der Leyen (vdL) bereits selbstherrlich entschieden, alle 167.000 G36-Gewehre ausmustern zu lassen. Eine vom damaligen Wehrbeauftragten Hellmut Könighaus (2010–2015) und dem Verteidigungsexperten Winfried Nachtwei (Bündnis 90/Die Grünen) geleitete Befragung unter rund 200 Soldaten wurde ignoriert, obwohl sie zu dem Ergebnis kam, dass Mängel im Einsatz beim G36 nie aufgetreten seien. Im Gegenteil: Die Waffe sei leicht, bedienungsfreundlich und sehr zuverlässig.

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Dennoch entschied vdL am 22. April 2015, dass das G36 in seiner derzeitigen Form ersetzt werden solle. Im April 2017 erfolgte die europaweite Ausschreibung für 120.000 neue Gewehre, deren Wert damals auf etwa netto 245 Millionen Euro geschätzt wurde. Bei ersten „vorvertraglichen Vergleichserprobungen“ konnte aber keines der Bewerbergewehre die Kriterien erfüllen. Dann wurde entschieden, das Sturmgewehr MK 556 von C.G. Haenel aus Suhl zu beschaffen. Haenel gehört übrigens dem arabischen Waffenhersteller Caracal International (Abu Dhabi, VAE).

Dann nahm diese mittlerweile nicht enden wollende Story gerichtlich Fahrt auf. Infolge einer Beschwerde des bisherigen Haus- und Hoflieferanten Heckler & Koch wegen möglicher Patentrechtsverletzungen wurde die Auswahlentscheidung aufgehoben. Nach einer Entscheidung des Verteidigungsministeriums vom März 2021 wurde wiederum Haenel der Auftrag entzogen, er sollte doch an Heckler & Koch gehen. Dagegen ging wiederum Haenel vor Gericht. Dort „schlummerte“ der Streit beim Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf erst einmal vor sich hin.

Nach mehreren Terminverschiebungen hat der OLG-Vergabesenat nun am 22. Juni 2022 in letzter Instanz die Beschwerde der Antragstellerin Haenel zurückgewiesen. Die Frage einer möglichen, vor dem Bundespatentamt anhängigen Patentrechtsverletzung war für das OLG dabei ohne Belang, ebenso nicht von Belang war wegen Ablauf der Ausschlussfrist von drei Jahren, dass Heckler & Koch 2006 bis 2009 mit einer Lieferung von Sturmgewehren nach Mexiko gegen das Außenwirtschaftsgesetz verstoßen hatte. Dazu war ein leitender Heckler & Koch-Mitarbeiter bereits verurteilt worden.

Nun geht es wie folgt weiter: Es beginnen die Vertragsverhandlungen um die Lieferung von 120.000 Sturmgewehren. Endgültig entscheiden muss der Bundestag. Üblicherweise finden vor einer solchen Entscheidung Erprobungen in der Truppe statt. Das HK416A8-Sturmgewehr würde dann umfänglich getestet. Ob der Ukraine-Krieg das Verfahren beschleunigen wird, steht in den Sternen.

Dynamik: Der neue Kampfjet kommt wohl erst in 30 Jahren

Wahrlich in den Sternen freilich steht die Einsatzfähigkeit des geplanten FCAS-Kampfjets (FCAS = Future Combat Air System). Das Projekt wird von Deutschland, Frankreich und Spanien getragen, es ist für die Entwicklung mit 100 Milliarden veranschlagt und Teil des Großprojekts „Next Generation Weapon System“ (NGWS). NGWS heißt: Über den FCAS-Kampfjet sollen zugleich unbemannte autonome Plattformen, sogenannte Remote Carrier („Drohen“) und eine Combat Cloud, mitgesteuert werden. Dadurch wird der Jet vernetzt und zugleich besser vor möglichen feindlichen Angriffen geschützt. Der Bundestag hatte für dieses Riesenprojekt im Juni 2021 grünes Licht gegeben. Perspektive war: Der erste einsatzfähige Kampfjet sollte im Jahr 2040 ausgeliefert werden können. Beteiligte Firmen sind die Rüstungssparte von Airbus (für Deutschland), Dassault Aviation (für Frankreich) und Indra Sistemas (für Spanien). Dassault soll für den Rumpf und das Cockpit des Kampfjets zuständig sein, Airbus für die Drohnen und die Daten-Cloud.

100 Milliarden und 2 Prozent BIP-Anteil
Ein Placebo für die Bundeswehr – wirksam allenfalls bis 2025
Jetzt der Hammer: Zwei der großen am Projekt beteiligten Firmen können sich nicht einigen: Dassault Aviation und Airbus. Dassault geht davon aus, dass das System eher erst in den 2050er Jahren einsatzbereit sein könnte. Grund für diese Verzögerung um mindestens zehn Jahre ist laut Dassault die langwierige Diskussion über die Ausgestaltung der anstehenden Entwicklungsphase 1B. Nach Aussage von Dassault gibt es zwischen beiden Unternehmen Meinungsverschiedenheiten über die Art der Zusammenarbeit. Dassault gab zugleich zu verstehen, dass das Unternehmen einen Plan B habe und nicht um jeden Preis Teil des Projekts bleiben wolle. Klar, es geht hier auch um Patente, Arbeitsplätze und um zukünftige Exporte. Jedenfalls hat Dassault schon mal einen Teil seiner Ingenieure abgezogen.

Mal schauen, wie die Politik diesen Dissens klärt. Ob Frankreichs Staatspräsident Macron, der ja nun schwierige parlamentarische Konstellationen vorfindet, das Projekt durchziehen wird und ob Kanzler Scholz samt Verteidigungsministerin Lambrecht den Knoten zerschlagen werden? Wir rechnen mit einem französischen Alleingang und erinnern an die Jahre 1983/1984: Damals wollten Deutschland, Großbritannien, Italien und Frankreich zusammen den Eurofighter bauen. Weil Dassault Sonderwünsche hatte, die von den anderen drei Ländern nicht mitgetragen wurden, scherte Frankreich aus und baute den Mirage-Nachfolger Rafale.

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