Da gab es einmal eine Kanzler-Rede zur „Zeitenwende“ vom 27. Februar 2022 – drei Tage nach Putins Einfall in die Ukraine. Olaf Scholz (SPD) kündigte an, die Bundeswehr qua „Sondervermögen“ (vulgo: Sonderschulden) zur „am besten ausgestatteten Streitkraft in Europa“ zu machen. Wörtlich sagte Scholz: „Der Bundeshaushalt 2022 wird dieses Sondervermögen einmalig mit 100 Milliarden Euro ausstatten.“
Und: „Wir werden von nun an Jahr für Jahr mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in unsere Verteidigung investieren.“ Alle anderen Aufgaben hätten sich der Priorität einer funktionierenden Landes- und Bündnisverteidigung unterzuordnen, erklärte Scholz dann am 15./16. September auf einer Führungskräftetagung in Berlin: „Das ist mein Anspruch als Bundeskanzler. Daran können Sie mich messen.“
Also messen wir den Herrn Bundeskanzler daran. Was ist seit dem 27. Februar 2022 geschehen? Nun, wir haben einen neuen Verteidigungsminister. Viel zu lange hat Scholz der irrlichternden Nicht-Amtsführung von Parteigenossin und Quotenfrau Christine Lambrecht (SPD) zugesehen.
Zwei-Prozent-Ziel in weiter Ferne
Aber was ist aus dem Bundeswehretat geworden? Was ist aus den 100 Milliarden geworden? Was ist aus dem 2-Prozent-Anteil am Bruttoinlandsprodukt (Scholz: „von nun an Jahr für Jahr“) geworden? Ziemlich wenig:
- Der allgemeine Etat der Bundeswehr wurde von 50,4 Milliarden (2022) auf 50,1 Milliarden für 2023 gekürzt. Das entspricht maximal 1,5 Prozent des BIP von 2022.
- 8,4 Milliarden hat der Haushaltsauschuss am 11. November 2022 aus den 100 Milliarden für 2023 freigegeben.
- Großzügig gerechnet, hat sich damit der BIP-Bundeswehr-Anteil für 2023 auf rund 1,7 Prozent erhöht. Also nix mit 2 Prozent „von nun an“.
Zum Nato-Zwei-Prozent-Ziel fehlen jedenfalls jährlich gut 20 Milliarden. Die Lücke kann auf Dauer nicht mit den 100 Milliarden geschlossen werden. Denn diese wären bei Erfüllung des 2-Prozent-Ziels spätestens im Jahr 2025 aufgebraucht. Und dann? Dann sind keine weiteren 100 Sonder-Milliarden in Sicht, und der Bundestag muss für die Bundeswehr ohne Rückgriff auf ein „Sondervermögen“ die für zwei Prozent notwendigen 75 bis 80 Milliarden Jahres-Etat für die Bundeswehr schultern.
Oder aber die „Ampel“ folgt dem Vorschlag der Wehrbeauftragten Eva Högl (SPD), die sich mit einem gewagten, aber ehrlichen Vorschlag wohl aus dem Kreis der Lambrecht-Nachfolger hinauskatapultiert hat. Sie meinte in einem Zeitungsinterview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 15. Januar 2022: „Man bräuchte 300 Milliarden Euro, um in der Bundeswehr signifikant etwas zu verändern. Das scheint mir nicht aus der Luft gegriffen zu sein.“
Was war einmal geplant?
Die folgenden Anschaffungen sollen bzw. sollten ursprünglich erfolgen:
- 20 Milliarden sollten es nach Nato-Vorgabe für Munitionsbevorratung sein. Denn die Bundeswehr hat für einen möglichen Krieg allenfalls für ein paar Tage Munition. Die vorgesehenen Mittel für die Beschaffung von Munition erhöhte der Haushaltsausschuss am 11. November 2022 aber nur von ursprünglich 1,125 auf 1,8 Milliarden für die nächsten drei (!) Jahre.
- Für eine hinreichende Schutzausrüstung (Helme, Westen, Nachtsichtgeräte) sind 10 Milliarden zu veranschlagen. Pläne dafür liegen noch nicht vor.
- Für den nicht unumstrittenen Kauf von 35 Stück des US-Kampfjets F-35A (Stückpreis je rund 100 Millionen) sind 8,5 Milliarden veranschlagt.
- 60 Stück des CH-47 Chinook (CH = Cargo Helicopter; also Transporthubschrauber) sind schon bei Boeing bestellt und werden ab 2026 ausgeliefert. Von einem Kaufpreis von 6 Milliarden Euro war die Rede. Nun stellt sich topaktuell heraus, dass es 12 Milliarden werden.
- 15 atomwaffenfähige Eurofighter sollen neu für ECR (Electronic Combat and Reconnaissance = Bekämpfung von Radarsystemen) angeschafft werden. Auch hier geht es vermutlich um einen 2- bis 3-Milliarden-Betrag.
- Kostspielig ist und bleibt das deutsch-französisch-spanische Kampfjetprojekt FCAS (Future Combat Air System). Die Abgeordneten verabschiedeten dazu nun einige „Maßnahmebeschlüsse“. Da es aber jetzt schon Differenzen zwischen Frankreich und Deutschland gibt und der erste einsatzfähige FCAS-Jet ohnehin erst im Jahr 2040 einsatzbereit sein soll, ist auch ein Scheitern des Projekts nicht ausgeschlossen.
- Die überfällige Digitalisierung der Kommunikationssysteme kostet 3 Milliarden Euro.
Noch keineswegs mitkalkuliert sind die Kosten, die für neue Kasernen (die Bundeswehr soll um 20.000 Mann wachsen) und für die Renovierung von Kasernen zu veranschlagen sind. Auch hier geht es wohl um zweistellige Milliardenbeträge. Ebenfalls einzukalkulieren wäre der bis 2025 geplante Aufwuchs der Bundeswehr von einer Personalstärke von 183.000 auf 203.000. Hier geht es bestimmt auch um 3 Milliarden (jährlich!).
Unbeantwortet bleibt zudem die Frage, wie sich Deutschland zukünftig gegen eine Form von Krieg rüsten will, der längst die herkömmlichen „Kriege zu Land, Wasser und Luft“ überschritten hat. Stichwort: Cyber-Krieg. Nicht eingerechnet ist die laut „Ampel“-Koalitionsvertrag geplante Anschaffung von Drohnen. Und noch gar nicht hochgerechnet sind die Kosten einer Vision von Kanzler Scholz, der Ende August 2022 in Prag die Errichtung eines „European Sky Shield“, also eines Raketen-, Drohnen- und Flugabwehrsystems ankündigte.
Erste Streichlisten
Eine „Arbeitsgruppe Sondervermögen“ hatte am 26. Oktober 2022 schon einmal ein erstes „Streichkonzert“ veranstaltet. Danach soll das Heer vorerst keinen Nachfolger für den Transportpanzer „Fuchs“ bekommen. Verzichten muss vor allem die Marine: Die Option für das fünfte und sechste Schiff der neuen Fregatte F-126 wird vorerst nicht gezogen. Die bisher vorgesehenen 2,4 Milliarden Euro für den Ersatz der Korvette 130 der ersten Generation werden auf null zusammengestrichen.
Das neue Laser-Schutzsystem, mit dem sich U-Boote gegen Bedrohung durch Flugzeuge oder Hubschrauber wehren sollen, wird zwar weiterentwickelt, aber vorerst nicht beschafft. Statt zwölf Flugzeugen sollen nun auch nur noch acht Seefernaufklärer vom Typ P-8 Poseidon gekauft werden. Das Programm wird um 1,9 Milliarden auf 1,2 Milliarden Euro zusammengestrichen. Um auch das bezahlen zu können, wird Geld aus allen Ecken zusammengekratzt. So sollen Einnahmen aus den Bundeswehrkrankenhäusern genutzt werden, um die Schiffe zu bezahlen.
Die Inflation frisst einen erheblichen Teil der 100 Milliarden auf
Vor allem nagt die Inflation an den 100 Milliarden. Nicht nur Lebensmittel und Energie werden teurer, sondern auch Rüstungsgüter. Aktuell liegt die Inflationsrate bei etwa zehn Prozent. Der Forschungsdirektor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), Christian Mölling, sagte dem ARD-Hauptstadtstudio: „Von den ursprünglich 100 Milliarden würden 2027 nur noch 85 Milliarden da sein, ohne dass etwas anderes passiert ist als die Inflation.“ Es kommt hinzu: Einige Anschaffungen werden erst in etlichen Jahren ausgeliefert.
Das heißt: Die Lieferzeiten sind lang, und auf die Auslieferung einiger Panzer und Hubschrauber muss Jahre gewartet werden. Das wiederum bedeutet: Die Inflation macht einige Kalkulationen aus dem Frühjahr 2022 mittlerweile zunichte: Man wird schauen müssen, ob man die Rüstungsprojekte überhaupt zum ursprünglich anvisierten Preis noch bekommt. Die Konsequenz kann nur heißen: rasch bestellen – freilich gut durchdacht! Die Zeit drängt jedenfalls – nicht nur wegen Russland. Der „Neue“ im Bendler-Block Boris Pistorius (SPD) hat hier einiges vor sich.
Noch nicht einmal berücksichtigt ist dabei, was die Bundesregierung der Ukraine noch an Waffen zu liefern bereit ist. Die Mittel für die Ertüchtigungsinitiative der ukrainischen Armee belaufen sich auf insgesamt 2,2 Milliarden Euro für das Jahr 2023 (nach 2 Milliarden Euro im Jahr 2022). Darin enthalten ist noch nicht eine mögliche Lieferung von Marder-Schützenpanzern und Leo-Kampfpanzern an die Ukraine.