Das 100 Milliarden Euro schwere „Sondervermögen“ für die Bundeswehr konnte nach einigem gewissen Hin und Her die legislativen Hürden passieren. Der Bundestag hat einer entsprechenden Ergänzung des Grundgesetzes (neu: Artikel 87a) mit satter Zwei-Drittel-Mehrheit am 3. Juni 2022 zugestimmt, der Bundesrat folgte mit einer entsprechenden Entscheidung am 10. Juni. Ab sofort geht es nun um die praktischen Folgen, vor allem um das Beschaffungswesen der Bundeswehr.
Es ist dies das heute in Koblenz ansässige „Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr“ (BAAINBw) als der maßgebliche „Einkäufer“ der Bundeswehr. Das BAAINBw ist verantwortlich für die Ausstattung der Bundeswehr mit Technik, Gerätschaften und Ausrüstungsartikeln – sozusagen vom Klopapier bis zum Kampfjet.
Aus dem BAAINBw ist über die Jahre hinweg eine Monsterbehörde geworden. Geleitet wird sie von einer „zivilen“ Präsidentin, von einer „zivilen“ Vizepräsidentin und einem Militär-Vizepräsidenten im Range eines Generalmajors. 10 Stabsstellen und 10 Abteilungen gibt es. 11.000 Beschäftigte hat das BAAINBw insgesamt – an 116 Dienstorten. Ins Gerede kam die Behörde vor allem in den Jahren 2018/2019 im Zuge der „Berateraffäre“. Weil viele Aufträge nicht mehr rechtzeitig erledigt wurden, hatte die damalige Verteidigungsministerin von der Leyen (CDU) sogar einfachere Aufträge an externe Berater wie Accenture und McKinsey ausgelagert. Gesamtkosten für diese externe Beratung: rund 200 Millionen Euro.
Die Kritik am BAAINBw reißt jedenfalls nicht ab – trotz aller Neu- und Umstrukturierungen. Das scheint auch bei Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) angekommen zu sein. Im Januar 2022 versprach sie: „Ich werde das Beschaffungswesen gründlich modernisieren.“ Das war noch vor der „Zeitenwende“ durch den Überfall Russlands auf die Ukraine.
Nun ein „Bundeswehrbeschaffungsbeschleunigungsgesetz“
Am 7. Juli wurde ein „Bundeswehrbeschaffungsbeschleunigungsgesetz“ (BwBBG) beschlossen. Damit können Vergabeverfahren für Militärausrüstung nun schneller und effizienter abgeschlossen werden. Das Gesetz ist zunächst bis 31. Dezember 2026 befristet. Mit dem BwBBG werden Vergabeprozesse für Militärausrüstung erleichtert. Außerdem sollen europäische Rüstungskooperationen vereinfacht und deutsche Sicherheitsinteressen bei Vergabeverfahren noch stärker berücksichtigt werden als bisher.
Konkret sieht das Gesetz vor: Projekte müssen für die Vergabe nicht mehr zersplittert werden. Gerichtliche Verfahren werden beschleunigt, damit Projekte nicht durch langwierige Klagen aufgehalten werden. Von vorneherein wird der Sicherheit Deutschlands ein höheres Gewicht verliehen. Für europäische Beschaffungen wird die Kooperation erleichtert. Dass Finanzminister Christian Lindner (FDP) noch einige Tage zuvor – und vor seiner quasi-royalen Hochzeit auf Sylt – in einem Brief an Verteidigungsministerin Lambrecht und Bundeskanzler Olaf Scholz „tiefgreifende und schnelle Reformen“ beim Einkauf von Rüstungsgütern angemahnt hatte, mag Fußnote sein. Ein Ampel-interner Affront war es schon.
Außerdem wird es Änderungen im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) geben. Zum Beispiel werden Unternehmen aus Drittstaaten keine Anträge auf Nachprüfung des Vergabeverfahrens mehr stellen können. Und es werden die Wartefristen bei der Vergabe aufgehoben; der unterlegene Anbieter hat dann keine 15 Tage mehr Zeit zu intervenieren. Am 18. Mai hat das Bundeskabinett dazu bereits beraten. Der Entwurf dazu enthält unter anderem folgende Absichten: Das Nachprüfverfahren wird beschleunigt; das bedeutet, dass die bei einer Vergabe unterlegenen Firmen weniger leicht auf die Entscheidung über den Auftragnehmer einwirken können. Die oft langen Gerichtswege können damit vermieden werden. Zudem soll es bei der Beschaffung weniger um neuentwickelte Produkte, sondern um marktverfügbare Produkte gehen. Und die Inspekteure der Teilstreitkräfte werden stärker eingebunden.
Kritik am BAAINBw hin oder her: Zu dessen Ehrenrettung muss man aber auch sagen, dass es die Politik und die Truppe selbst dem Amt nicht immer leicht machen. Denn kaum ist ein Auftrag einmal erteilt, werden immer neue Anforderungen nachgeschoben, wie ein Hubschrauber, Schiff oder Flugzeug ausgestattet und gestaltet sein muss (Stichwort: „Goldrandlösungen“). Selbst bei Einkäufen im Ausland, etwa in den USA, will man ein bestimmtes Produkt „germanisiert“ haben. Das heißt: Das Fähigkeitsspektrum eines Waffensystems soll erst einmal ausgeweitet werden.
Das war wohl auch der Grund, warum die Entscheidung über die Anschaffung eines neuen Transporthubschraubers so lange auf sich warten ließ. Nun wissen wir seit Anfang Juni 2022, dass es 60 Stück des luftbetankungsfähigen CH-47F Chinook II von Boeing werden sollen. Gesamtpreis: 5 Milliarden Euro, Einzelpreis ca. 83 Millionen Euro. Ab 2026 soll der große Hubschrauber mit einer jährlichen Lieferung von zwölf Maschinen einsatzfähig sein. Das heißt: Die Bundeswehr wird frühestens im Jahr 2031 über alle bestellten 60 CH-47F-Hubschrauber verfügen.
Beispiel: Das Hickhack um das Sturmgewehr G36
Als anderes Beispiel dafür, wie schwerfällig Neuanschaffungen aufgrund problematischer politischer Vorgaben und aufgrund langwieriger Gerichtsverfahren vonstattengehen, mag die Anschaffung eines neuen Sturmgewehrs herhalten. Das bisherige Sturmgewehr G36 ist seit Ende der 1990er-Jahre Nachfolger des G3. Hersteller ist das Rüstungsunternehmen Heckler & Koch mit Sitz in Oberndorf am Neckar. Im April 2012 wurden Berichte veröffentlicht, nach denen das G36 in Afghanistan nach mehreren hundert Schuss zu heiß werde und die Treffsicherheit leide. Gegen die Mängelbehauptung klagte Heckler & Koch beim Landgericht Koblenz. Der Klage wurde im September 2016 stattgegeben.
Die damalige Verteidigungsministerin von der Leyen hatte zuvor bereits selbstherrlich entschieden, 167.000 G36-Gewehre auszumustern und durch 120.000 Sturmgewehre eines neuen Modells zu ersetzen. Eine vom damaligen Wehrbeauftragten Hellmut Könighaus (2010–2015) und dem Verteidigungsexperten Winfried Nachtwei (Bündnis 90/Die Grünen) geleitete Befragung unter 200 Soldaten im Einsatz wurde ignoriert, obwohl sie zu dem Ergebnis kam, dass beim G36 keine Mängel aufgetreten waren. Im Gegenteil: Die Waffe sei leicht, bedienungsfreundlich und sehr zuverlässig.
Es liegt nicht an der Rüstungsindustrie
Auch die deutsche Rüstungsindustrie ist in der Regel nicht schuld, wenn es oft genug zu gigantischen Verzögerungen kommt. Das war beispielsweise beim Kampfhubschrauber Tiger und beim Schützenpanzer Puma so. Wenn solche Systeme am Ende oft doppelt so teuer wie geplant werden, dann ist das in der Regel nicht die Schuld der Rüstungsindustrie. Nicht in erster Linie die Rüstungsindustrie will der Bundeswehr teure Goldrandlösungen andrehen, wie es kürzlich der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil behauptete und damit das Klischee von der bösen deutschen Rüstungsindustrie drosch. Klingbeil drohte gar, man werde für die Bundeswehr zukünftig vermehrt im Ausland einkaufen.
Nein, oft genug ist es die Politik oder auch die Truppe selbst, die mit immer neuen Wünschen und oft auch mit mangelnder Kommunikationsbereitschaft die Beschaffung neuer Waffensysteme verzögert. Im Übrigen zeigt das Beispiel des Transporthubschraubers CH-47F, dass Politik und Bundeswehr auch an Produkten der ausländischen Rüstungsindustrie oft jahrelang herumnörgeln.
Man darf gespannt sein, wie sich das in einem anstehenden Fall darstellen wird: Rheinmetall hat nach Jahren größter Verschwiegenheit vom 13. bis 17. Juni 2022 auf der Rüstungsmesse Eurosatory in Villepinte nördlich von Paris einen Leo-Nachfolge-Panzer mit dem Namen „Panther“ vorgestellt. Mal schauen, wie viel und wie lange Politik, BAAINBw und Truppe am „Panther“ herumdoktern werden. Womöglich ist er längst in anderen Nato-Armeen im Einsatz, bis ein erster „Panther“ für die Bundeswehr fährt.