Der Bundeswehr geht es nicht gut. Sie hat von fast allem zu wenig, es mangelt an Personal, Material und Infrastruktur. „Und sie hat seit dem 24. Februar 2022 noch weniger“, so die Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages bei der Vorstellung ihres Jahresberichtes in Berlin. Im Blick hatte Eva Högl dabei die Unterstützung der Ukraine durch rares Wehrmaterial der Streitkräfte.
Mehr, schneller und besser lautet nun die Devise für Boris Pistorius, der neue Verteidigungsminister legte einen rasanten Start hin. Er stürmte die Hitparade der beliebtesten Politiker, machte sich ein eigenes Bild von der Truppe und kündigte eine Verschlankung des Verteidigungsministeriums an. Laut Medienberichten sollten 160 von 370 Leitungsstellen gestrichen und Stäbe in naher Zukunft aufgelöst werden.
Das hörte sich vielversprechend an: Die Bundeswehr und insbesondere das Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) haben eben keineswegs von allem zu wenig. Hohe Stäbe und Ämter mit zahlreichen gut dotierten Stellen und gedoppelten Zuständigkeiten gibt es reichlich. Die Süddeutsche Zeitung regte eine „Wetten, dass-Wette“ an, die auch Boris Pistorius überfordern dürfte: die Hunderte Kästchen allein im Organigramm des BMVg aufzusagen. Deren Aufgaben zu erläutern, würde selbst alte Hasen überfordern.
Der nicht mehr ganz neue Minister hat nun bei Mitarbeiterversammlungen in Berlin und Bonn seine Pläne zur Reorganisation des Ministeriums vorgestellt. Die Zeitenwende solle schneller und kraftvoller umgesetzt und sichtbar gemacht werden. Als zentrales Element hierzu wird ein neuer Planungs- und Führungsstab eingerichtet, für den auf Stellen aus den Büros der Staatssekretäre, des Generalinspekteurs und des Ministers zurückgegriffen wird. Dieser neue Leitungsstab soll der gemeinsame Arbeitsmuskel aller Leitungsbüros werden. „Die Vorgänge auf der Leitungsebene sollen aus einem Guss sein“ wurde hierzu verkündet. Der neue Stab werde dafür sorgen, dass Entscheidungsvorlagen für die Leitung besser vorbereitet werden. Daneben werden zwei Stäbe in vorhandene Abteilungen überführt. Der organisatorische Umbau habe zum Ziel, die Abläufe zu verbessern und nicht Personal abzubauen wurde mit einer Pressemitteilung verkündet. In Ergänzung dazu soll der Sonderstab Ukraine in ein rund um die Uhr tätiges Lagezentrum überführt werden, um besser und schneller auf aktuelle Krisenlagen reagieren zu können. Von wegen Verschlankung: aus einer zeitweise eingerichteten Organisation zur Unterstützung der Ukraine wird mit neuen Türschildern eine dauerhafte.
Ein von Arroganz strotzendes Beispiel: „Das ist eine Militarisierung des Verteidigungsministeriums“, sagte die Bundesvorsitzende des Verbandes der Beamten und Beschäftigten der Bundeswehr VBB, Imke von Bornstaedt-Küpper, dem Berliner Tagesspiegel. Anlass für deren Kritik ist die Entscheidung, mit Brigadegeneral Christian Freuding als Leiter einen Soldaten einzusetzen. Dieses zentrale Steuerungsorgan des Ministeriums werde künftig „… inhaltlich alle Vorlagen aus dem Haus (filtern), die an den Minister, die Staatssekretäre oder den Generalinspekteur der Bundeswehr gehen“. „Die Machtfülle des neuen, militärisch geführten Stabes empfinden wir als besorgniserregend“ äußerte von Bornstaedt-Küpper. Das Vertrauen des Ministers in die militärische Führung sei „offenbar grenzenlos„. Pistorius riskiere mit dieser Reform „den Zusammenhalt der Belegschaft …“.
Verschlankung des Ministeriums nicht in Sicht
Von der Militarisierung des Ministeriums zu reden, wenn eine Schlüsselaufgabe in militärische Hand gegeben wird, kann nur Gewerkschaftsvertretern einfallen. Für erfahrene Ministeriale ist dies ein altbekanntes Lied, die Schallplatte hat einen Sprung. Zivile Würdenträger verteidigen seit Jahrzehnten mit Klauen und Zähnen ihre Pfründe, nicht Kompetenz und Erfahrung sind aus deren Sicht entscheidend für die Besetzung von Dienstposten, sondern Statusfragen. Soldaten gehören demnach in die Streitkräfte und haben sich verwalten zu lassen. Dafür gebe es im Grundgesetz entsprechende Regelungen. Schließlich sei der Bundeswehr nach Art. 87 a Grundgesetz eine zivile Verwaltung vorgegeben. Dabei hatte es bereits einen auch militärisch geführten Planungsstab gegeben (2012 von Verteidigungsminister De Maizière aufgelöst). Man kann sich unschwer vorstellen, was passieren würde, wenn ein – wie in relevanten Partnerländern üblich – vollständiger Generalstab eingerichtet werden würde.
Unabhängig davon liegt in den erklärten Aufgaben des Planungs- und Führungsstabes eine Menge Zündstoff. „Der neue Stab wird dafür sorgen, dass die Entscheidungsvorlagen für die Leitungsebene besser vorbereitet werden“ heißt es (siehe oben). Die bisherigen Strippenzieher werden sich aber nicht ohne weiteres in die Schuhe schieben lassen, dass die bisherigen Entscheidungsvorlagen nicht gut genug vorbereitet waren. Nach aller Erfahrung werden sich die Büros von Staatssekretären nicht von einem Stab kontrollieren oder gar führen lassen. Das hat es noch nicht gegeben, dass Staatssekretäre auf die Lieferung von Fachbeiträgen reduziert werden, die andernorts für gut befunden oder gar zurückgeschickt werden. Der frühere Planungsstab im Bundesministerium der Verteidigung hatte zwar eine Bewertungsaufgabe, auf andere Leitungsstellen aber keinen Zugriff. Das Ministerium quasi einem Planungs- und Führungsstab im Auftrag des Ministers zu unterstellen, wird nicht funktionieren. Hierzu verfügt der vorgesehene Stab mit 30 Dienstposten auch bei weitem nicht über ausreichend Arbeitskapazität. Es wird daher nicht lange dauern, bis dessen personelle Verstärkung gefordert wird und ein Miniatur-Ministerium im Ministerium entsteht. Wenn diese Konstruktion nicht funktionieren sollte, hätte man aber immerhin einen neuen Sündenbock. Allerdings wäre dieser in bedrohlicher Nähe zum Minister angesiedelt – mit absehbaren Folgen.
Je unnützer einer ist, desto besser wehrt er sich
Wie diese unendliche Geschichte weitergeht, wird sich zeigen. Die Bundeswehr des Jahres 2023 befindet sich jedenfalls nicht in einem Gleichgewicht zwischen Leistungsfähigkeit und vorliegenden Anforderungen. In ihrer heutigen Struktur haben weder Ministerium noch Bundeswehr eine Zukunft. Als Fehlerdiagnose kommt seit dem Wehrbeauftragten Hans-Peter Bartels mit unschöner Regelmäßigkeit: Strukturell aufgeblasene Ämter und Stäbe mit bürokratischer Arbeitsweise, damit nur ja niemand verantwortlich gemacht werden kann. Der bekannte Satz „mehr Generale und Admirale als Kampfpanzer“ karikiert die Probleme hinreichend.
In jedem Fall hat Minister Pistorius mit seinen Absichtserklärungen zur Reorganisation und Verschlankung des BMVg die Messlatte hoch gelegt. Der Bundeswehr ist zu wünschen, dass die angekündigten Maßnahmen nicht erneut versanden und der in Teilen vorliegende Kontrollverlust insbesondere in Rüstungsfragen nicht noch weitergehende Formen annimmt. Eine Planungsunterlage für die „Bundeswehr der Zukunft“ von Ministerin Kramp-Karrenbauer und Generalinspekteur Zorn liegt seit 2021 vor.
Nun gibt es beide nicht mehr und der Apparat fängt wieder von vorn an zu kreisen. „Je unnützer einer ist, desto besser wehrt er sich“ wusste der rumänische Schriftsteller Panait Istrati bereits 1928. Konsequente Schnitte sind gefragt, anstatt die Hängepartie endlos weitergären zu lassen. Im BMVg laufen nun mal eine Reihe Fäden zusammen, die für die äußere Sicherheit unseres Landes entscheidend sind. Es wird aber kein Weiterkommen geben, solange die Bediensteten im Ministerium weiterhin ihre Kraft in Selbstverteidigung vergeuden dürfen und die Tore von innen zuhalten.