Tichys Einblick
Da waren’s nur noch vier

Mehrheit der Bundesländer schließt Erstaufnahmen für Asylbewerber und Ukraine-Flüchtlinge

Diese Nachricht überbrachte die Bundesinnenministerin nicht persönlich: Immer mehr Bundesländer stellen die Aufnahme von illegalen Migranten und Ukraine-Flüchtlingen ein. Nach dem Aufruhr in den Niederlanden zeigen sich auch in Deutschland Grenzen der Aufnahmebereitschaft. Doch die Kommunen sollen es einmal mehr richten.

Symbolbild; immer mehr Erstaufnahmeeinrichtungen auch für Ukraine-Flüchtlinge werden geschlossen

IMAGO / Panama Pictures

Der Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) laufen die Bataillone davon. Erst wollte kaum ein EU-Staat bei ihren Aufnahmeoffensiven mitmachen. Nun sträuben sich im Innern Landesbehörden gegen die weitere Aufnahme von Asylbewerbern und Ukraine-Flüchtlingen. Zwölf von 16 deutschen Bundesländern wollen die Aufnahme von illegalen Migranten und (eventuell echten) Flüchtlingen einstellen, wie das SPD-nahe RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND), auch als Zentralredaktion der Madsack-Gruppe bekannt, vermelden durfte.

Unangenehme Eingeständnisse wie dieses vertraut man im Bundesinnenministerium (BMI) nur ausgesuchten Pressevertretern an, und die Chefin im Ministerium gibt ihr Konterfei sicher nicht für so etwas her. Aber öffentlich wird es so eben doch. Gibt man hier also offen das eigene Scheitern zu? Oder soll ein anklagender Ton in dieser Meldung mitschwingen? Will das BMI die Landesentscheider zur „Raison“ bringen, sie auf einer „Berliner Weg“ drängen, den sie nicht mehr mitgehen wollen?

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„Die Belastung der Bundesländer ergibt sich aus dem Fluchtgeschehen aus der Ukraine und der allgemeinen Migration“, sagte eine Ministeriumssprecherin laut Welt. Grundsätzlich geht es sozusagen um das Nadelöhr, durch das Migranten in das deutsche Asylsystem gelangen. Die Erstaufnahmeeinrichtungen sind die ersten Anlaufstellen für „Ukraine-Flüchtlinge“ und Asylbewerber. In der Realität ist das Nadelöhr schon lange zum Scheunentor geworden. Der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius kündigte an, dass zu den 5.100 Betten, die die niedersächsische Landesaufnahmebehörde unterhält, noch 1.400 als „gewisser Puffer“ hinzukommen sollen. Diese Nachricht liest sich so, dass Niedersachsen jedenfalls zu jenen „größeren Ländern“ gehört, die auch weiterhin Migranten aufnehmen wollen.

Zuletzt gelangten wieder mehr Migranten mit Ukraine-Bezug nach Deutschland. Laut einer Sprecherin des BMI sind seit dem 24. Februar insgesamt 980.000 Menschen aus der Ukraine nach Deutschland gekommen. Dabei halten sich die Zuwanderungen (41.000 in zehn Tagen) und Rückwanderungen (43.000) an den EU-Grenzen zur Ukraine laut Frontex etwa die Waage.

Das Wahlland Niedersachsen ist noch „im Rennen“

Welche Bundesländer den Zuzug einstellen wollen, bleibt dabei im Dunkeln. Laut BMI-Sprecherin ist die „Verteilung nach wie vor möglich, da große Länder auch aktuell weiter aufnehmen“. Vier Länder bleiben also bei der Stange, und dazu noch große. Damit könnte der Faeser-Plan für Deutschland gerettet sein. Unter anderem springt auch der grüne „Landesvater“ Winfried Kretschmann (B’90/Die Grünen) der Bundesministerin bei.

Deutschland im europäischen Trend
Asylbewerberzahlen steigen massiv: „Kein Ende in Sicht“
In Niedersachsen, wo im Oktober ein neuer Landtag gewählt wird, waren es Ende August 1.800 „Ukraine-Flüchtlinge“ in einer Woche – das in einer Zeit, in der der Krieg sich zunehmend auf die südöstlichen Teile des Landes beschränkt und die ukrainische Armee Gegenoffensiven startet. In den Wochen davor waren laut Deutscher Presse-Agentur nur 750 bis 1.300 Ukraine-Migranten in Niedersachsen angekommen. Inzwischen wird ganz offen gefragt, ob vielleicht doch die Sozialleistungen der Grund für die zunehmende Zuwanderung aus der Ukraine sind. Ukrainer und andere Ukraine-Ansässige erhalten in Deutschland sofortigen Flüchtlingsstatus und damit dieselben Sozialleistungen wie deutsche Bürger auch. Laut Frontex sind knapp eine Million Nicht-Ukrainer im Zuge der „Ukraine-Flucht“ in die EU gelangt, gegenüber 8,5 Millionen „echten“ Ukrainern. Wie viele von ihnen auf staatliche Unterbringung angewiesen sind, bleibt unklar.

Daneben steigen auch die Zahlen auf der Balkanroute dieses Jahr steil an: plus 200 Prozent, das ist die Verdreifachung gegenüber dem Vorjahr. Auch im zentralen Mittelmeer stieg die illegale Zuwanderung im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 44 Prozent an. Beide Routen zielen letztlich vor allem auf Deutschland. Die „Asyl-Zuwanderung“ in die EU hatte schon im Juli die 100.000-Marke deutlich überschritten.

SWR: „Bürgermeister“ werden „in die Pflicht genommen“

Deutsche Städte, Gemeinden und Regierungspräsidien suchen mit wachsender Verzweiflung nach Unterbringungsmöglichkeiten. Die „Bürgermeister“ werden „in die Pflicht genommen“, wie der SWR etwas plakativ-propagandistisch in einer Zwischenüberschrift weiß. Es bestehe „dringender Handlungsbedarf“, nicht jedoch an der Balkanroute selbst, die einer der Auslöser der Krise ist, auch nicht bei der Zuweisung von Sozialleistungen an Asylbewerber und „anerkannte“ Ukraine-Flüchtlinge. Stattdessen sieht der SWR die Kommunen und Landkreise in der Pflicht, auch noch die letzten Anstrengungen zu mobilisieren, um die Migranten-Flut aufzunehmen.

Anerkennung 2. Asylanträge:
Leben in Griechenland Flüchtlingen nicht zumutbar – Doppelasyl in Deutschland
Anfang August wurden die Unterkünfte für Zuwanderer in Baden-Württemberg knapp. Mehr als 130.000 illegale Migranten und Ukraine-Flüchtlinge kamen in diesem Jahr in das Südwest-Land, eine kleine Großstadt. Landesjustizministerin Marion Gentges (CDU) sprach von einer „Herkulesaufgabe“, ein Kraftakt sei nötig. Pro Woche kommen bis zu 50 Migranten in den Zollernalbkreis. In Freudenstadt und Sigmaringen suchte man nach privaten Wohnungen, um Migranten unterzubringen.

Auch im August hatte das niederländische Aufnahmezentrum in Ter Apel über die Landesgrenzen hinweg Aufsehen erregt. Hunderte Asylbewerber lagerten auf offener Straße. Die hygienischen Zustände seien „beschämend“ gewesen, so Premierminister Mark Rutte. Diese Worte schafften es auch in deutsche Leitmedien – als bescheidener Hinweis aus einem Nachbarland, dass die Migrationswelle dieses Sommers normale und gewohnte Ausmaße übersteigt. Nimmt man ihn auch im Mutterland der Migrationskrise seit 2015 wahr?

Kretschmann stimmt erneut auf „Zumutungen“ und „Einschränkungen“ ein

Daneben besteht vielerorts der Glaube, dass der neue „Flüchtlingsstrom noch nicht auf seinem Höhepunkt“ angelangt ist. Im Herbst steigen die Zuweisungszahlen erfahrungsgemäß noch einmal an, so eine Sprecherin des Landratsamtes Freudenstadt. Tatsächlich waren die baden-württembergischen Erstaufnahmestellen schon Ende August voll. Ministerpräsident Winfried Kretschmann stimmte sein Landesvolk wieder einmal auf „Zumutungen“ und „Einschränkungen“ ein. Etwas Ähnliches hatte er schon im April von sich gegeben, aus Anlass irgendeiner anderen Krise – ach ja, der Krieg an sich: harte Zeiten und Solidarität mit Geflüchteten. Irgendein gestriges Aroma haben diese Worte dann doch.

Derlei Aufrufe firmieren im post-maoistischen Südwesten daneben auch unter der Überschrift „bleibende Solidarität“, wie die Stuttgarter Nachrichten – durchaus auf Linie – melden. Jene Solidarität soll offenbar den Neuankömmlingen gelten, die allerdings zu einem großen Teil den Nachteil haben, dass sie über keinen wirklichen Flucht- oder Asylgrund verfügen. Das gilt zunehmend auch für die Ukraine-Flüchtlinge. Worin die Solidarität der Bürger mit den Neu-Bürgern genau bestehen und zu welchem Verhalten sie führen soll, bleibt bei diesen rhetorischen Stanzformen meist offen.

Sicher ist, dass Städte und Gemeinden erneut erhebliche Anstrengungen unternehmen, um dem Bedarf gerecht zu werden. Erneut werden leerstehende Großgebäude angemietet, etwa in Mönchengladbach, wo das alte Kreiswehrersatzamt vom Bund angemietet und für 1,9 Millionen Euro zur Unterkunft für Ukraine-Flüchtlinge umgebaut werden soll. Der thüringische Kyffhäuserkreis sucht Unterkünfte für 1.031 Ukraine-Flüchtlinge. Im Herbst werden wohl die Containerdörfer vermehrt wiederkehren: Im Kreis Sigmaringen sind sie laut SWR schon fest eingeplant.

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