Tichys Einblick
Bundesinnenministerium

Frau Faesers Gespür für Rechtsextremismus

Die neue Innenministerin hat den Kampf gegen Rechtsextremismus zum Hauptziel erkoren. Corona-Demonstranten betrachtet sie als kleine Minderheit, auf die "zu viel Rücksicht" genommen werde. Nach außen kommuniziert sie eine humanitäre Willkommenskultur.

IMAGO / Frank Ossenbrink

Robert Habeck, Karl Lauterbach, Annalena Baerbock – sie sind die Dauergäste in der Wiederauflage von „Pleiten, Pech und Pannen“ im Kabinett von Olaf Scholz. Auch Christian Lindner und Marco Buschmann bekommen als liberale Versprechensbrecher immer wieder ihr Fett weg. Doch es gibt eine Ministerin, die bisher unbeachtet blieb. Zu Unrecht. Sie fällt nicht wegen Verstrickungen und Inkompetenz auf. Sondern dadurch, dass sie ihr Ziel konsequent vorantreibt. Die Rede ist von Bundesinnenministerin Nancy Faeser.

Die gebürtige Hessin verkündete schon beim Amtsantritt am 6. Dezember: Ihr wichtigstes Anliegen sei der Kampf gegen den Rechtsextremismus. Der sei derzeit die größte Bedrohung für die freiheitlich-demokratische Grundordnung. Faeser hat Erfahrung mit dem Thema: In Hessen leitete sie den NSU-Untersuchungsausschuss. Aber nur, weil man sich in einem Thema gut auskennt, heißt das nicht zwangsläufig, dass es auch das wichtigste Thema ist. Dazu kommt, dass „Rechtsextremismus“ ein sehr heterogenes Spektrum abbildet. Dazu gehören nicht nur die klassischen Skinheads. Was sind die Grauen Wölfe denn anderes als Rechtsextremisten? Fraglich, ob Frau Faeser sich in dieser Angelegenheit ehrlich macht.

— Nancy Faeser (@NancyFaeser) December 11, 2021

Mit der Meinung, dass der Rechtsextremismus die größte Bedrohung im Lande sei, steht Faeser nicht allein. In seiner Bundestagsrede am 15. Dezember 2021 hatte Kanzler Scholz dasselbe Narrativ betont. Eine Anfrage der NZZ, worauf die Bewertung Faesers basiere, wollte das Innenministerium nicht beantworten. Das ist womöglich der neue Stil der Regierung in den Nationalfarben Malis. Begründungen für die eigenen Aussagen sind offenbar nicht notwendig. Stattdessen stellen Politiker Sprüche in die Öffentlichkeit, in der Erwartung, dass dauernde Wiederholungen zur Wirklichkeit werden. So wartet TE immer noch auf eine Antwort auf eine Anfrage des Bundesgesundheitsministeriums.

Faeser: „Zu sehr Rücksicht auf eine kleine Minderheit genommen“

Kein Tag vergeht, an dem die neue Innenministerin nicht vor Rechtsextremismus warnt. Speiste sich das Wissen über die Sicherheitslage in der Bundesrepublik nur aus Tweets von Faeser, dann müsste man glauben, dass das Vierte Reich an die Türe klopft. Die Abschaltung von Telegram schließt Faeser als „ultima ratio“ nicht mehr aus, sollte es dem BKA nicht gelingen, den Messenger mit Löschbitten und Datenanfragen in die Knie zu zwingen. Natürlich alles der Rechtsextremen wegen, die dort kommunizieren. Der braune Krake hat sich nach Aussagen der Bundesinnenministerin sogar in den Behörden breitgemacht. „Es darf nicht den geringsten Zweifel daran geben, dass öffentlich Beschäftigte für die Demokratie einstehen. Verfassungsfeinde werden wir schneller aus dem Dienst entfernen als bisher“, kündigt die Ministerin an. Kurz: Der Radikalenerlass 2.0 steht bevor.

Aus ihrer Gedenkveranstaltung zum fünften Jahrestag des islamistischen Terroranschlags am Breitscheidplatz folgt in der Öffentlichkeit keine weitere Reflexion, keine Vertiefung. Stattdessen kündigt die Nazijägerin einen Aktionsplan gegen Rechtsextremismus für Ostern an. Kritik an „gewaltvollen Protesten“ sind alltäglich. Hinweise zur Polizeigewalt gegen Demonstranten dagegen nicht vorhanden. Während alte Damen von der Polizei bei Corona-Demonstrationen davongezerrt werden und der UN-Beauftragte für Folter Deutschland rüffelt, kann die Gewalt nur von einer Seite kommen. Sie wird wieder einmal geframed: „Man muss Kritik und andere Meinungen immer ernst nehmen. Das gehört in einer Demokratie dazu. Wenn Menschen radikal werden, dann ist eine Grenze erreicht. Dann muss der Rechtsstaat durchgreifen.“ Deutschland solle ein Land sein, in dem alle Menschen ohne Angst leben. Tatsächlich?

Einige Minderheiten sind gleicher als andere

Auffällig: Die politische Gesinnung fällt nicht darunter. Minderheitenschutz wird nur noch sexuell, ethnisch oder religiös gedacht, aber nicht mehr politisch. Das ist kein Zufall. Im Zeit-Interview brachte Faeser den schönen Satz vor: „In der Gesamtschau wird mir im Moment ein bisschen zu sehr Rücksicht auf eine kleine Minderheit genommen.“ Gemeint sind Corona-Demonstranten. Ein Gedankenspiel: Was wäre in den Medien geschehen, hätte Vorgänger Horst Seehofer Ähnliches über andere Minderheiten gesagt? Offensichtlich sind einige Minderheiten gleicher als andere. Freilich fügte Faeser hinzu, die Maßnahmenkritiker sollten sich von Rechtsextremen und jenen distanzieren, die den Staat bekämpfen wollen. Gilt das nicht für die linksextremen Antifaschisten der Gegendemonstrationen?

Und dann ist da eine bemerkenswerte, neue Definition des Begriffs „Heimat“. Unter Seehofer hatte das Innenministerium diesen in der deutschen Sprache einzigartigen Begriff an seine Ministeriumsbezeichnung gehängt, nicht zuletzt, um ein wohliges Gefühl nach den rauen Wellen der Jahre 2015 und 2016 zu vermitteln. Dass die SPD dieses Wort neu framen muss, ist notwendig. Dürfte die CSU darunter noch Biergarten und Trachten verstanden haben, so gibt das Ministerium nun neue Parolen aus. Sie lauten: „Ich bin auch Ministerin für Heimat. Heimat sind alle Menschen, egal wo sie herkommen. Heimat ist, wo ich mich nicht groß erklären muss. Heimat ist, was zum Beispiel in Sportvereinen jeden Tag an Integration gelebt wird.“

Anti-Rechts nach innen, Willkommenskultur nach außen

Üblicherweise definiert aber nicht die Innenministerin, sondern das Wörterbuch, was ein Wort bedeutet oder nicht. Im Duden steht zum Begriff „Heimat“: Land, Landesteil oder Ort, in dem man [geboren und] aufgewachsen ist oder sich durch ständigen Aufenthalt zu Hause fühlt (oft als gefühlsbetonter Ausdruck enger Verbundenheit gegenüber einer bestimmten Gegend). Das steht im Kontrast zur Beliebigkeit, die die SPD-Politikerin vertritt. Heimat betont nicht das Relativierende, sondern das Verbindende. Die Wörter „Herkunft“ und „Kultur“ stehen als Elefanten im Raum. Wozu überhaupt ein Wort wie Heimat, wenn es ins Absurde verkehrt wird?

Vielleicht sind solche Kapriolen notwendig, wenn man auf den letzten Punkt schaut, den Faeser in ihrer kurzen Amtszeit in Angriff genommen hat. Beim Thema Migration macht sie keine Scherze. Nach innen anti-rechter Kampf bis zum Äußerten, nach außen watteweiche Willkommenskultur. Man sei „auf dem Weg zu einem funktionierenden EU-Asylsystem mit einer Koalition der aufnahmebereiten Mitgliedstaaten voranzugehen“. Das heißt: Koalition der Willigen in der Migrationsfrage.

Die Frage bleibt, wer sich freiwillig zur Aufnahme bereit erklärt. In der Vergangenheit hieß das stets: Deutschland als Auffangbecken, weil sich sonst niemand freiwillig meldet. Nicht profane Überlegungen wie Wirtschaftlichkeit, soziale Verträglichkeit und innere Ordnung spielen eine Rolle – sondern der moralische Zeigefinger. „Humanität“ als Schlagwort der Außenpolitik des Innenministeriums! Dass im einst konservativsten Ministerium der Bundesrepublik nunmehr Wunschdenken, Visionen und Gefühligkeit herrschen, dürfte angesichts der neuen Politik nicht verwundern. Ebenso wenig, dass die angriffsbereite Feindseligkeit diejenigen trifft, die das kritisieren.

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