Tichys Einblick
Dilemma der Politik

Entgegen aller Versprechen: Wie die Bürokratie tatsächlich wächst

Es gibt Dinge, die können Vertreter der Ampel noch im Schlaf: zum Beispiel, den Abbau von Bürokratie zu versprechen. Doch in der Praxis machen sie das Gegenteil. Mittlerweile schlagen die Arbeitgeber Alarm.

Marco Buschmann (FDP), Bundesminister der Justiz, und Christian Lindner (FDP), Bundesminister der Finanzen, 07.02.2024

picture alliance/dpa | Kay Nietfeld

Die Ampel baut Bürokratie ab. So feiert es zumindest Justizminister Marco Buschmann. Den Kampf gegen die ausufernde Verwaltung will seine Partei, die FDP, nächstes Jahr zum Schlager im Wahlkampf machen. Nur: Das Gegenteil passiert. In den Paketen zum Abbau der Bürokratie setzt die Bundesregierung zwar kleinere Erleichterungen um, Unternehmen dürfen Belege jetzt etwa schon nach acht statt zehn Jahren entsorgen. Doch mit jedem neuen Gesetz sattelt die Ampel Bürokratie drauf.

Das hat nun die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) zu einem Mahnruf ermutigt: Zwar sei das Entlastungsgesetz der Ampel ein Schritt in die richtige Richtung: „Allerdings werden viele Unternehmen das Gesetz nicht als den Befreiungsschlag beim Bürokratieabbau wahrnehmen, den sie sich wünschen. Immerhin habe die Bundesregierung jetzt eingesehen, dass sie es in den letzten Jahren mit bürokratischen Belastungen übertrieben habe. Das gelte auch für die EU, von der ein Großteil der bürokratischen Last stammt.

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Doch bisher gebe es zwar eine Einsicht und Ankündigungen, sich bessern zu wollen, teilt die DIHK mit. Aber gerade aus Brüssel kämen bereits die nächsten zusätzlichen Lasten. Die Kammer bezieht sich dabei auf die EU-Regelungen zur „Nachhaltigkeitsberichterstattung“. Die gängelt nicht nur Firmen mit den politischen Zielen Brüssels, sondern sorgt für einen massiven Aufwuchs der Verwaltung: „Rein rechnerisch kommt sogar allein mit diesem Gesetz mehr Bürokratie als mit dem BEG IV (Entlastungsgesetz) abgebaut wird“, sagt DIHK-Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben.

Die Ampel belastet ihre Wirtschaft ebenfalls mit mehr Bürokratie. In allen Bereichen. Etwa in der Pflege. So beklagt der Arbeitgeberverband Pflege, das „Pflegekompetenzgesetz“ werde „in seiner jetzigen Form dringende Investitionen in die Altenpflege blockieren“. Die Arbeitgeber beziehen sich dabei auf die „Pflegeplanung“. Während in der realen Welt Pflegeheime reihenweise schließen, weil die Politik sie unterfinanziert und gleichzeitig ihre Rechnungen verspätet bezahlt, sollen Kommunen und Krankenkassen nun entscheiden, wo wie viele Heime gebraucht werden.

Das Beispiel zeigt das Bürokratie-Dilemma auf. Experten klären den Bedarf, wo Heime benötigt werden. Hört sich gut an. Doch in der Realität sterben die Heime. Gleichzeitig beruft die Politik hoch bezahlte Experten für Planspiele ab. Das führt dann leicht dazu, dass an einer Stelle die Heime sterben, weil sie unterfinanziert sind – und an der anderen Stelle verschwinden, weil sie nicht Teil der Planung sind. Aus dem Gutgemeinten werden dann katastrophale Ergebnisse.

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Goethes Mephisto wollte stets das Böse, erreichte damit das Gute. Mit der Bürokratie ist es anders herum. So möchte die Ampel Rentner dazu motivieren, länger zu arbeiten. Eine gute Idee. Denn sie werden als echte Fachkräfte an vielen Orten gebraucht. In der Einwanderung hat sich die Ampel zwar mit einer neuen Definition beholfen. Demnach ist jemand auch dann eine Fachkraft, wenn er keinerlei Ausbildung hat oder sogar Analphabet ist. Diese neue Definition mag in der Politik funktionieren oder in der Soziologie – in der Fabrik kann die entsprechende Fachkraft aber immer noch keine komplexe Maschine bedienen.

Die Idee, Rentner zum Weiterarbeiten zu motivieren, ist daher richtig. Der Bedarf hoch. Nun spart ein durchschnittlicher Rentner den Sozialkassen rund 20.000 Euro an Renten, auf deren Auszahlung er verzichtet, da er hauptberuflich weiterarbeitet. Was spräche also dagegen, den Rentner künftig von seinen Steuern ganz oder teilweise zu entlasten? Schließlich spart er schon den Sozialkassen rund 20.000 Euro ein und bringt der Wirtschaft wertvolle Dienste.

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Doch solch eine Idee wäre für die Ampel viel zu effizient und unkompliziert. Stattdessen soll der Rentner, der weiter arbeitet, nach einem Jahr einen Antrag stellen. Dafür muss er Unterlagen dazu einreichen, was er wie lange arbeitet, verdient und auf wie viel Rentenzahlungen er in der Zeit verzichtet hat. Diese Summe zahlt der Staat ihm dann aus. Die Ampel versteht sich als Wohltäter, weil sie dem arbeitenden Rentner ein Geschenk macht – dabei übergibt sie ihm nur das Geld, das er ohnehin bekommen hätte, wenn er nicht weiter gearbeitet hätte. Obendrein überzieht die Ampel das Ganze mit einem enormen bürokratischen Aufwand.

Die Politik kann gar nicht mehr anders, als bürokratisch denken. Zum Beispiel Christian Lindner. Der FDP-Chef und Finanzminister hat einen Vorschlag gemacht, das Investieren in Aktien als Altersvorsorge zu unterstützen. Man könnte die entsprechenden Steuern und Abgaben senken. Zack. Problem erledigt. Doch wer an diese Lösung glaubt, der hat weder Christian Lindner noch das Anti-Mephisto-Prinzip verstanden.

Christian Lindner will stattdessen einen Zuschuss auszahlen. Das klingt – wie immer in Sachen Bürokratie – erstmal gut. Wenn einem der Staat ständig Geld abknüpft, kann er ruhig mal was davon zurückgeben. Doch auch hier geht die wilde Bürokratie-Fahrt wieder los: Die Bürger müssen einen Antrag stellen und dazu Unterlagen zu Gewinnen und allgemeinen Verdiensten zusammentragen. Das alles muss dann wieder einer prüfen. Und das alles für einen Zuschuss von allerhöchstens 600 Euro. Lindner hat sich selbst dafür gerühmt, sein Vorschlag wäre eine Art Zeitenwende für die Altersversorgung – doch es wäre nur ein weiterer Schritt in die massive Bürokratisierung, die von Forderungen nach Entbürokratisierung begleitet wird.

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