Tichys Einblick
Bürgergipfel 2024

Auftakt zu freiheitlicher Graswurzelbewegung gegen grün-rote Transformation

In Stuttgart haben sich die Protagonisten und Anhänger einer liberalen Graswurzelbewegung zusammengefunden, die sich dem grün-roten Projekt einer großen Transformation durch gelenkte Demokratie entgegenstellen. Ihren Einfluss auf die Politik in Deutschland wollen sie gezielt ausbauen.

Screenprint via Twitter / Mathias K.-N.

Graswurzelbewegungen sind laut Wikipedia politische oder gesellschaftliche Initiativen, „die aus der Basis der Bevölkerung entstehen“. Ihr Ziel ist es, „gesellschaftliche Alternativen zum Bestehenden aufzubauen, bis hin zum revolutionären Anspruch, grundsätzliche Systemveränderungen zu bewirken.“ In der Bundesrepublik sind auf diesem Wege unter anderem die Friedensbewegung, die Frauenbewegung, die Umweltbewegung und die Antiatomkraftbewegung entstanden, die vor mehr als vierzig Jahren in die Gründung einer alternativen grünen Partei mündeten. Ihr ist es seitdem nicht nur gelungen, mit ihrem ideologischen Cocktail aus Technikkritik, Pazifismus, Lebensreform, Esoterik, Antikapitalismus und Kosmopolitismus den polit-medialen Zeitgeist zu prägen, sondern auch wichtige Schaltstellen der Macht in Politik, Verbänden, Kirchen und Wirtschaft zu besetzen. Der grüne Zeitgeist beherrscht so mittlerweile nicht nur die grüne Partei, sondern beeinflusst auch vermehrt alle anderen Alt-Parteien.

Ist die grüne Partei somit einst aus einer Graswurzelbewegung gegen die herrschenden Verhältnisse und die sie repräsentierenden Eliten entstanden, ist die mittlerweile selbst Teil eines neuen Herrschaftssystems, gegen die sich mittlerweile eine neue, liberal und entsprechend herrschaftskritisch gesonnene Graswurzelbewegung formiert. Hinter ihr versammeln sich vorwiegend all jene gesellschaftlichen Kräfte, die das grün-rote Projekt einer gleichermaßen Gesellschaft und Wirtschaft erfassenden großen Transformation durch Massenzuwanderung, Multikulturalismus, planwirtschaftlichen Dirigismus und gelenkter Demokratie ebenso ablehnen wie das von einigen Vordenkern der Alternative für Deutschland (AfD) propagierte Konzept einer antiliberalen Politik von rechts gegen die grün-rote Transformation.

Ein öffentliches Gesicht gezeigt und ihre Positionen vorgestellt hat eine der neuen liberalen Bewegungen auf einem ersten „Bürgergipfel“ mit knapp eintausend Teilnehmern am 7. September in Stuttgart, veranstaltet von dem Unternehmer Oliver Gorus. Ziel des Treffens war es, wie er sagt, die liberalen Gegner von Kollektivismus und Dirigismus „miteinander zu vernetzen, eine Aufbruchstimmung zu erzeugen und einen gordischen Knoten zu durchschlagen“. Dieser gründet seiner Meinung nach hauptsächlich darin, dass Liberale größtenteils Individualisten sind, die sich mit Parteien, deren Machtrangeleien und Ränkespielen schwertun. Daher auch ihre Distanz zur Parteipolitik. Diese gelte es mit „anderen, zwangloseren und passenderen Lösungen“ der politischen Einflussnahme und Zusammenarbeit jedoch zu überwinden, es soll wieder „mehr Vernunft, mehr Verantwortung, mehr Freiheit“ das öffentliche Leben bestimmen. Dazu bedarf es seiner Meinung nach allerdings auch einer neuen Partei, die willens und dazu in der Lage ist, den etablierten Parteien „die Herrschaft zu entwinden und dem Volk zurückzugeben“, nachdem die Freien Demokraten (FDP) inzwischen weitgehend ins grün-rote Transformationslager übergelaufen sind.

Unter dem Obertitel Freiheit und moderiert von Carlos A. Gebauer referierten den TE-Lesern bestens bekannte Autoren wie Fritz Vahrenholt, Klaus-Rüdiger Mai, Ulrich Vosgerau, Norbert Bolz und Markus Krall über so unterschiedliche Themen wie Energiewende, Liberalismus, Medien, Demokratie, Transformation, Verfassung und Verfassungsschutz. Dazu kamen Autoren wie Horst Lüning, der frühere tschechische Regierungschef Vaclav Klaus und die frühere AfD-Vorsitzende Frauke Petry.

In der TE-Runde unter der Moderation von Wolfgang Herles diskutierten Cora Stephan, Roland Tichy und Alexander Wendt die aktuelle politische Lage in Deutschland sowie die Frage, wie einflussreich die neue, liberale Graswurzelbewegung heute schon ist und welche Aussichten bestehen, dass sie den Zug in Richtung einer grün-roten Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft mittels gelenkter Demokratie zu stoppen vermag.

Insgesamt herrschte bei ihnen allen weitgehend Einigkeit, dass nicht nur der Höhepunkt des grün-roten Zeitgeistes in Deutschland inzwischen überschritten ist, sondern auch die Widerstände gegen die damit einhergehende Transformationspolitik immer breiter und stärker werden. Plausibel dargelegt wurde dies unter anderem von dem Verfassungsrechtler Ulrich Vosgerau, der am Beispiel der Medien unter Bezug auf Niklas Luhmanns Systemtheorie zum einen betonte, welche Bedeutung ihnen bei der ideologischen Verbreitung und politischen Durchsetzung grün-roter Transformationspolitik zukommt, zum anderen aber auch aufzeigte, wie wirkungsvoll der Widerstand non-konformistischer, alternativer Medien in diesem Zusammenhang inzwischen ist. Ihre Berichterstattung über und Kommentierung von Politik kann von den überwiegend konformistischen Mainstreammedien inzwischen nicht mehr schlicht ignoriert und totgeschwiegen werden.

Alexander Wendt diagnostizierte in diesem Zusammenhang gar einen neuen Strukturwandel der Öffentlichkeit; ein Begriff, mit dem in den frühen 1960er Jahren Jürgen Habermas den Übergang vom antiken über das feudale hin zum modernen Konzept von Öffentlichkeit beschrieb, das sich nun, ausgelöst durch das Internet und das Erstarken eines höchst einseitigen Haltungsjournalismus in den Mainstreammedien, laut Wendt selbst wieder in einer tiefen Krise befindet. Sie äußert sich unter anderem in einem immensen Vertrauensverlust vieler Bürger gegenüber den Mainstreammedien, der sie wiederum dazu veranlasst, sich zunehmend alternativer Medien zu bedienen, um ohne grün-roten, moralischen Zeigefinger umfassend und sachgerecht informiert zu werden.

Roland Tichy zeigte anhand von Zahlen, wie breit mittlerweile die Leserschaft beispielsweise von Tichys Einblick mit Internet-Magazin, Monatszeitschrift, Podcast und Videoberichterstattung ist. Die liberal-konservative Graswurzelbewegung besitzt längst eine breite eigene Gegenöffentlichkeit.

Auch der Medienwissenschaftler Norbert Bolz ist sich sicher, dass der von ihm diagnostizierte grün-rote Zangenangriff aus Wokeness und Alarmismus auf tradierte Vorstellungen und Werte von einem normalen bürgerlichen Leben in Gestalt von Transgender, Anti-Rassismus und Postkolonialismus seinen Höhepunkt inzwischen überschritten hat und im Scheitern begriffen ist. Er betont allerdings, dass sich das Scheitern der grün-roten Transformation nicht automatisch vollziehen wird. Es bedarf vielmehr der ebenso couragierten wie tatkräftigen Mithilfe all jener Bürger, die verhindern wollen und können, dass die Protagonisten grün-roter Ideologie und Politik angesichts des Widerstandes, der ihnen aus weiten Teilen des Volkes entgegenschlägt, das Land noch mehr als bislang schon in eine gelenkte Demokratie mit staatlichem Erziehungsauftrag verwandeln, um ihrem Transformationsvorhaben doch noch zum Durchbruch zu verhelfen.

Das wiederum setzt freilich voraus, dass die Graswurzelbewegung an Einfluss gewinnt. Es müssen auch Parteien im Bundestag vertreten sein, die mehrheitsfähige Koalitionen unter Ausschluss der Grünen, der SPD bilden wollen und können. Hinzu kommt neuerdings das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). Diese neue Partei lehnt zwar den antiliberalen grün-roten Wokismus und grenzenlosen Kosmopolitismus ab, steht aber für einen weitreichenden ökonomischen Interventionismus und Dirigismus sozialistischer Herkunft und kommt deswegen für die Bildung einer der gesellschaftlichen wie wirtschaftlichen Freiheit verpflichteten Regierungskoalition auch nicht in Frage.

Die Anhänger der neuen Graswurzelbewegung stehen allerdings vor dem Problem, Teil einer überaus dynamischen, liberalen Graswurzelbewegung zu sein, die parteipolitisch allerdings noch heimatlos und dementsprechend parlamentarisch einflusslos ist. Es wäre aber mit Blick auf das Nachkriegsdeutschland in West wie Ost nicht das erste Mal, dass eine dynamische außerparlamentarische Graswurzelbewegung dermaßen stark wird, dass sie sich entweder ihre eigene parlamentarische Repräsentanz selbst schafft oder bestehende Parteien dazu bringt, sich ihre politischen Ansichten und Anliegen so sehr zu eigen zu machen, dass es für deren Wirksamkeit der Neugründung einer neuen Partei gar nicht bedarf.

Sollte dies ausbleiben, dann droht Deutschland erneut ein politischer Zustand, vor dem der große Vordenker des Liberalismus, Friedrich A. von Hayek, schon in den 1940er Jahren in seinem Buch „Der Weg zur Knechtschaft“ mit den Worten gewarnt hat: „Demokratie ist nur um den Preis zu haben, dass allein solche Gebiete einer bewußten Lenkung unterworfen werden können, auf denen eine wirkliche Übereinstimmung über die Ziele besteht, während man andere Bereiche sich selbst überlassen muß.“ Wo dies nicht geschieht, ist es seiner Meinung nach zwingend, „dem Volk den Willen einer kleinen Minderheit aufzuzwingen, weil diese Minderheit das Maximum von Leuten darstellt, die sich über die betreffenden Fragen einigen können“.


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