Die Konservativen stecken in Deutschland in dem gleichen Dilemma, in dem die Linken bis tief hinein in die Merkel-Jahre steckten: Der kategorische Ausschluss einer Partei aus dem eigenen Lager führt dazu, dass es nur noch schwer möglich ist, eine eigene Mehrheit zu bilden. Was in den 90er Jahren die PDS war – vorher SED genannt, später Linke –, ist heute die AfD. Ihre fehlende Anschlussfähigkeit führt dazu, dass im Bund und in den meisten Ländern keine Koalition mehr möglich ist, an der nicht die Grünen oder die SPD beteiligt ist. Dieser Umstand verleiht diesen beiden linken Parteien eine Macht, die weit über die eigentliche Stärke ihrer eigenen Wählerbasis hinausgeht.
Diesen Weg will das Bündnis Deutschland gehen. Im November ist die Partei noch mit Schwung gestartet. Doch nun erlebt sie die Mühen der Ebene. Das lässt sich schon an äußeren Details einer Pressekonferenz sehen, die sie im Berliner Maritim-Hotel gibt: Das Buffet ist kleiner als beim ersten Mal. Statt einer gepolsterten Pressemappe im Edel-Look gibt es einen einfachen Papiereinstecker. Und was am wichtigsten ist: Der kleine Saal ist nicht mehr überfüllt mit Journalisten, nur noch ein halbes Dutzend sind gekommen, um zu hören, wo die Partei zwei Monate nach ihrer Gründung steht.
Der Parteivorsitzende Steffen Große präsentiert drei Neuzugänge, die dem Bündnis zu ersten Mandaten verhelfen: Einer davon kommt von der FDP, zwei waren bis vor Kurzem noch AfD-Mitglieder: Der bisherige LKR-Europaabgeordnete Lars Patrick Berg (2021 von der AfD übergetreten) und der bisherige AfD-Fraktionsvorsitzende im bayrischen Landtag Markus Plenk verschaffen als Abgeordnete der jungen Partei eine erste Relevanz. In fünf Prozent der deutschen Städte und Kreise sei das Bündnis jetzt vertreten, freut sich Generalsekretär Niklas Stadelmann. 400 Städte und Kreise gibt es in Deutschland – zehn Prozent entsprechen demnach acht Kreisen. Auf einer Landkarte sind es 16 Flecken, mit denen das Bündnis bundesweit vertreten ist. Die meisten davon in Nordrhein-Westfalen, keiner in Niedersachsen.
In der ersten Pressekonferenz hatte der Vorsitzende Große noch betont, sich von der AfD abgrenzen zu wollen. Neue Mitglieder sollten sich eigens Vorstellungsgesprächen unterziehen, bevor sie sich als wert genug für eine Aufnahme in das Bündnis Deutschland erweisen. Nun präsentiert Große zwei Neuzugänge, die direkt oder auf dem Umweg über die LKR aus den Reihen der AfD kommen: „Ich habe etwas dagegen, die AfD permanent als Spiegelfläche zu benutzen“, sagt der Bündnis-Chef heute. Aber dagegen, die Mitglieder aufzunehmen, habe er nichts. Auch nicht die Funktionäre und Mandatsträger. Ohnehin sagt Uwe Große-Wortmann: „Das Thema AfD wird viel zu hoch gehängt.“ Große-Wortmann wurde für die FDP in den Kreistag Potsdam-Mittelmark gewählt und ist nun zum Bündnis gewechselt.
Damit unterwerfen sich CDU-Vertreter wie Czaja der Tabuisierung, mit der grün-woke Politiker und Journalisten die Themen behandeln, die ihnen unangenehm sind. So unterwerfen sie jeden, der es trotzdem anspricht, der Gefahr, gesellschaftlich stigmatisiert und wirtschaftlich ruiniert zu werden. Damit bleiben ihre grün-woken Themen übrig und die Handlungsfähigkeit der Konservativen wird weiter eingeschränkt. Weil die AfD diesen Kreis durchbrochen und heikle Themen besetzt hat, ist sie je nach Bundesland für 6 bis 30 Prozent der Menschen wählbar. So gesehen hat Große-Wortmann recht: Die AfD darf für das Bündnis Deutschland kein großes Thema sein. Wenn das Bündnis sich als eine vernünftige konservative Partei etablieren will, wird es nicht daran vorbeikommen, Wähler von der AfD zu gewinnen. Oder Funktionäre. Oder Mandatsträger.
Andererseits ist die AfD ein großes Thema. Denn hinter diesen drei Buchstaben steht eine Frage, die das konservative Lager klären muss, wenn es wieder ohne SPD und Grüne mehrheitsfähig werden will: Wie schaffen es die Konservativen, Wähler und Funktionäre zu bündeln, ohne es mit dem Ausschließen von größeren Gruppen zu übertreiben, aber auch ohne sich mit Radikalen gemeinsam zu machen – etwa welchen, die sich rassistisch, antisemitisch oder antidemokratisch äußern oder Gewaltbereitschaft signalisieren? Als das Bündnis im November erklärte, sich stark von der AfD abgrenzen zu wollen, haben in den sozialen Netzwerken viele konservative Nutzer mit der Aussage reagiert, so werde das nichts mit der neuen Partei. Die Neuzugänge Berg und Plenk scheinen ihnen schon nach zwei Monaten recht zu geben.
Bei der Wiederholungswahl in Berlin darf die neue Partei aus rechtlichen Gründen nicht antreten. So wird Bremen zum ersten richtigen Test, ob das Bündnis eine Chance hat. Aus eigener Kraft wohl nicht, wie der Vorsitzende Große offensichtlich eingesehen hat. Für die Wahl am 14. Mai in Bremen sei das Bündnis „in guten Gesprächen“ mit der Gruppe „Bürger in Wut“. Das ist eine Absplitterung der Hamburger „Partei Rechtsstaatliche Offensive“, die der einstige Richter und „Big Brother“-Teilnehmer Ronald Schill ins Leben gerufen hat. Die „Bürger in Wut“ holen in Bremerhaven konstant über 5 Prozent, was aufgrund einer Sonderregel im Bremer Wahlrecht für einen Einzug in die Bürgerschaft genügt.
Gelänge dem Bündnis Deutschland eine gemeinsame Kandidatur und dann ein gemeinsamer Einzug mit den „Bürgern in Wut“ in die Bürgerschaft, hätten sie den Kick, den sie brauchen, um ins öffentliche Bewusstsein vorzudringen. Nur haben die „Bürger in Wut“ rund 100 Mitglieder. Das wirft Fragen auf: Kommt es zu einer Fusion? Unter welchem Namen? Und wenn auf einen Schlag 100 Mitglieder in eine 550-Mitglieder-Partei eintreten, müssen die dann alle zum Bewerbungsgespräch mit dem Bündnis-Vorstand? Das sei noch nicht geklärt, sagt Stadelmann. Die Mühen der Ebene. Sie können sich ziehen. Und das Problem der Konservativen: Durch den Ausschluss einer Partei, die bis zu 30 Prozent der Wähler erreicht, bleiben sie weiter ohne SPD und Grüne kaum regierungsfähig.
In einer früheren Version dieses Artikels blieb unerwähnt, dass Lars-Patrick Berg nicht mehr für die AfD, sondern seit 2021 für die LKR im Europäischen Parlament saß.