„Unglaubwürdige Parteien, von denen die Menschen nichts mehr erwarten, gibt es in unserem Land genug. Die Wut darüber hat nicht zuletzt die AfD stark gemacht. Wir sind nicht angetreten, den vielen politischen Enttäuschungen, die die Menschen in unserem Land schon erfahren haben, eine weitere hinzuzufügen.“
Sowohl inhaltlich wie auch im Ton ist es schweres Geschütz, das der Bundesvorstand vom „Bündnis Sahra Wagenknecht“ (BSW) da auffährt – und zwar gegen den erfolgreichsten eigenen Landesverband: Thüringen.
Dort hatte das BSW bei den Landtagswahlen im September mit 15,8 Prozent sein bislang bestes Ergebnis erzielt. Mit CDU und SPD verhandeln die Landesvorsitzende Katja Wolf und Steffen Schütz nun über eine mögliche Koalition.
Das macht eine Einigung mit CDU und SPD natürlich schwer. Um dennoch in Erfurt ein gemeinsames Bündnis zu erreichen, wollen die drei Parteien ihren Koalitionsvertrag nun – auf ausdrücklichen Wunsch von Sahra Wagenknecht – mit einer Präambel zur Außen- und Sicherheitspolitik einleiten.
Dort ist vom „Willen zum Frieden in Europa“ die Rede. „Im Rahmen der europäischen und bundesstaatlichen Ordnung“ will man alle diplomatischen Initiativen zur Beendigung des Ukraine-Kriegs unterstützen. Über die Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in Deutschland soll eine „breite Debatte“ geführt werden. Auch nicht ausgeräumte Meinungsunterschiede werden festgehalten: „CDU und SPD sehen sich in der Tradition von Westbindung und Ostpolitik. Das BSW steht für einen kompromisslosen Friedenskurs.“
Sahra Wagenknecht geht das nicht annähernd weit genug. Die Formulierungen, auf die der thüringische Landesverband sich mit den anderen Parteien geeinigt hat, nennt sie öffentlich einen „Fehler“. Tatsächlich hat das BSW in seinen Koalitionsverhandlungen mit der SPD in Brandenburg einen schärferen Text ausgehandelt. In Potsdam konnte man unter anderem eine gemeinsame Kritik an der Stationierung von Mittel- und Hyperschallraketen in Deutschland erreichen.
Unbeeindruckt von der Kritik der Parteigründerin hat das BSW in Erfurt aber nun am Dienstag trotzdem offiziell Koalitionsverhandlungen mit CDU und SPD aufgenommen. Die Landesvorsitzende Wolf ließ Wagenknecht ausrichten, hierfür sei eine Zustimmung der Bundesspitze „rein formal nicht vorgesehen“. Frecher kann man der eigenen Bundesvorsitzenden den Fehdehandschuh nicht ins Gesicht werfen.
Das führt in der Wagenknecht-Truppe jetzt zu einem offenen Machtkampf.
In einer per Schaltkonferenz durchgeführten Sondersitzung hat der BSW-Bundesvorstand am Mittwochabend einstimmig einen Antrag beschlossen, der nur als öffentliche Ohrfeige für die Parteifreunde in Erfurt bezeichnet werden kann. (Zuerst hat die „Berliner Zeitung“ darüber berichtet.) Der Bundesvorstand fordert den Landesverband Thüringen auf, in den Koalitionsverhandlungen mit CDU und SPD klarere Formulierungen in der Außen- und Sicherheitspolitik zu verlangen. Falls Wolf und Co. sich damit nicht durchsetzen können, sollen sie bitteschön in die Opposition gehen.
Doch damit nicht genug: Insgesamt kritisiert die Parteizentrale das bisherige Verhandlungsergebnis in Erfurt: „Wir bedauern, dass das Thüringer Sondierungspapier in vielen für uns wichtigen Fragen äußerst vage bleibt.“ Ausdrücklich erwähnt werden der soziale Wohnungsbau, eine bessere Kontrolle des Verfassungsschutzes und der Erhalt der Klinikstandorte im Bundesland. Hier vermisst der Bundesvorstand „verbindliche Festlegungen“.
Ein besonders heikler Punkt: die Corona-Aufarbeitung, „… zu der wir zwar richtigerweise auch in Thüringen einen Untersuchungsausschuss beantragt haben, aber das Ziel eines Corona-Amnestiegesetzes weder im Antrag noch im Sondierungspapier erwähnt wird“.
Katja Wolf und Steffen Schütz werden frontal angegangen: „Wir erwarten, dass unsere Thüringer Verhandlungsführer darauf bestehen, dass im Rahmen dieser Verhandlungen die außenpolitische Positionierung der künftigen Landesregierung konkretisiert wird und auch bei landespolitischen Themen im Koalitionsvertrag weit stärker als im aktuellen Sondierungspapier die Handschrift des BSW zu erkennen ist.“
Falls CDU und SPD nicht bereit seien, „sich in den für uns wichtigen Fragen zu bewegen, sollten wir darauf verzichten, in eine gemeinsame Regierung einzutreten, und unsere Wahlversprechen aus der Opposition voranbringen“.
Die BSW-Führung sieht die eigene Partei bei den Koalitionsverhandlungen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen unter großem Erwartungsdruck. Die Partei müsse ihre Wahlkampfversprechen halten – und dazu gehöre eben auch, sich nur an einer Landesregierung zu beteiligen, die in der „Frage von Krieg und Frieden (…) gegen endlose Waffenlieferungen, für mehr diplomatische Bemühungen zur Beendigung des Ukrainekriegs und gegen die Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in Deutschland“ eintrete.
Auch anderswo im BSW ist man mit den Parteifreunden in Thüringen inzwischen hörbar unzufrieden. Der EU-Abgeordnete Friedrich Pürner etwa fordert mittlerweile den Abbruch der Verhandlungen mit CDU und SPD in Erfurt, weil durch deren Blockadehaltung die Corona-Aufarbeitung gefährdet werde.
In seinem Beschluss zählt der BSW-Bundesvorstand die thüringischen Landesvorsitzenden Wolf und Schütz ebenfalls deutlich an: „Das BSW wurde nicht als letzte Machtreserve für ein Weiter-so gewählt, sondern dafür, die Politik in unserem Land zu verändern.“
Und weiter: „Aber Kompromissfähigkeit und Pragmatismus dürfen nicht der Vorwand sein, um Ministerämter und Staatssekretärsposten auch um den Preis des Bruchs zentraler Wahlversprechen besetzen zu können.“
Das wird ganz sicher noch sehr lustig.