Für einen Politik-Connaisseur bietet das Stück, das gegenwärtig in Ostdeutschland auf den Brettern, die die Politik bedeuten, aufgeführt wird, einen Heidenspaß. Oder soll man sagen: eine bolschewistische Freude? In Thüringen will der Landesverband des BSW mit der CDU und der melancholischen Verlustmasse der SPD koalieren, doch das will die große Vorsitzende in Silwingen nicht, jedenfalls solange nicht, bis sich die CDU in Thüringen auf die Positionen der SPD in Brandenburg hingerobbt hat, obwohl die Thüringer die Position der Brandenburger SPD im Sondierungspapier bereits mit den Fingerkuppen berühren können.
In Sachsen hingegen wollte die sächsische Verlustmasse der SPD mit dem BSW erstmal nicht weiterverhandeln, weil ein paar Abgeordnete des BSW es gewagt hatten, mit der AfD zu stimmen. Die AfD hatte einen Untersuchungsausschuss zu Corona beantragt. Ob nun die sächsischen Sozialdemokraten besonders darüber empört waren, dass die BSW-Abgeordneten mit der AfD gestimmt haben, obwohl es in dem Antrag um ein demokratisches Anliegen ging, oder ob die sächsischen Sozialdemokraten der beantragte Corona-Untersuchungsausschuss in Panik versetzte, weil die sächsische Spitzensozialdemokratin Petra Köpping als Brandmauermusterdemokratin in Zeiten von Merkels Pandemie-Diktatur all diejenigen, die sich in Sachsen der Anordnung häuslicher Quarantäne verweigerten, in eine psychiatrische Klinik stecken wollte. Zu dieser Lösung, mit Widerspenstigen umzugehen, dürfte sie der sowjetische Musterdemokrat Leonid Iljitsch Breschnew angeregt haben.
In Brandenburg jubelt das BSW, denn Dietmar Woidke hat erstmal Olaf Scholz, Boris Pistorius und eigentlich der ganzen Ampel kräftig vor das Schienbein getreten, hätten die Genossen in Berlin ihm doch beinah den ganzen Wahlkampf verdorben. Scholz, der in Potsdam wohnt, sollte auch nicht in Woidkes Wahlkampf öffentlich auftreten. Recht so, mag Woidke in sich hineingrimmen, denn schließlich sind Scholz, Pistorius, Habeck und Baerbock daran schuld, dass er jetzt mit dem BSW verhandeln muss. Die haben ihm das eingebrockt, sollen die das jetzt auslöffeln. Neben den üblichen Phrasen, die ein Papagei wiedergeben würde, hätte er auch nur einen Tag in der brandenburgischen Staatskanzlei verbracht, stehen aber die Sätze im Sondierungspapier, die jeden Ampelmann und jeder Ampelfrau und jedem Ampeldiversen den Zorn ins Gesicht treiben müssten:
„Wir sind übereingekommen, dass wir uns im Sinne der Charta der Vereinten Nationen und des Budapester Memorandums auf Bundesebene und auf Ebene der Europäischen Union dafür einsetzen, eine diplomatische Lösung des Ukrainekonflikts und den Abbau der damit verbundenen Spannungen innerhalb Europas durch Verhandlungen mit den Konfliktparteien mit dem Ziel von Waffenstillstand und dauerhaftem Frieden voranzutreiben. Wir sehen vor diesem Hintergrund die geplante Stationierung von Mittelstrecken- und Hyperschallraketen auf deutschem Boden kritisch. Es braucht konkrete Angebote, um wieder zu Abrüstung und Rüstungskontrolle zu kommen.“
Woidke hat damit nahezu die Position von Sahra Wagenknecht übernommen. Da er weiß, dass Brandenburg ohnehin nicht Friedensverhandlungen zwischen der Ukraine und Russland vermitteln kann, mag sich Dietmar Woidke sagen, Papier ist geduldig, Hauptsache die Koalition steht – und die Koalition wird in Brandenburg SPD-Politik machen, so wie seit 34 Jahren.
Wenn im Papier steht: „Wir müssen Brandenburg in der Bildung nach vorn bringen und die Qualität in Kita und Schule verbessern“, so ist das zwar richtig, allein man fragt sich, wie das gehen soll. Denn dafür, dass Brandenburg im Bildungsranking eisern den vorletzten Platz hält, tragen die Sozialdemokraten die Verantwortung, die seit 34 Jahren Brandenburgs Politik bestimmen. Was sollten sie morgen plötzlich können, was sie gestern und vorgestern und vorvorgestern noch nicht konnten? Wie Mehltau liegt auf dem armen Brandenburg die Herrschaft der SPD, mal mit der CDU, mal mit den Linken, mal mit den Grünen und der CDU, nun also mit dem BSW. „The same procedure as every year.“
Und Thüringen? Will im Gegensatz zu Sachsen von der Aufarbeitung der Corona-Zeit nicht wirklich etwas wissen, schließlich hatte sich auch Katja Wolf als Oberbürgermeisterin von Eisenach für das Pandemie-Regime engagiert.
In sieben Verhandlungsgruppen sollen nun die Koalitionsverhandlungen beginnen. Während Sahra Wagenknecht das Ergebnis und das Vorgehen der Landesgruppe des BSW in Thüringen scharf kritisiert, werden Wagenknechts Schatzmeister Ralph Suikat und die Parlamentarische Geschäftsführerin des BSW im Bundestag, Jessica Tatti, noch deutlicher. Wenn sich die BSW-Positionen zu Frieden und Corona-Aufarbeitung nicht in der Regierung wiederfinden, müsse „man es sein lassen – und zwar jetzt“, schreiben sie auf t-online. „Wenn die Glaubwürdigkeit auf dem Spiel steht, ist es besser, aus der Opposition heraus gegen die falsche Politik einzustehen, die andere Parteien machen. Das gilt umso mehr für eine so junge Partei. Wer das nicht kapiert, wird vielleicht schnell Ministerin, ist aber in unserer Partei falsch.“ Katja Wolf hält dagegen, dass sie von Wagenknecht der Fokus unterscheidet, sie sei Kommunal- und Landespolitikerin, Wagenknecht Oppositionspolitikerin auf der Bundesebene.
Damit trifft sie Wagenknechts empfindliche Stelle, nämlich, dass die Parteigründerin noch auf keiner Ebene exekutive Verantwortung getragen hat, dass sie weder Bürgermeisterin, wie Wolf, noch Landesminister, noch Ministerpräsident, noch Bundesminister, noch Bundeskanzler war. Wagenknecht wusste es bisher immer besser, hat es aber noch nie besser gemacht. Heftig kritisieren Suikat und Tatti hingegen die „beiden Thüringer Landesparteichefs Katja Wolf und Steffen Schütz“ denn sie seien „auf dem besten Weg, das BSW zu einer Partei zu machen, von der es nicht noch eine braucht“.
Sahra Wagenknecht bedauert heftig und öffentlich, dass sich das Erfurter Sondierungspapier nicht an den Brandenburger Text anlehnt, sondern stattdessen betont, dass dort, wo man sich nicht einig ist, man auch uneins bleiben kann, besonders in Fragen, die auf Landesebene ohnehin nicht zu entscheiden sind, wie die Frage der Stationierung von Mittelstrecken- und Hyperschallraketen. Mario Voigt von der CDU trällert dazu: „Dort, wo Einigkeit besteht, machen wir sie sichtbar. Wir zeigen aber eben auch, dass unterschiedliche Sichtweisen durchaus fortbestehen können und sich gegenseitig befruchten.“ Das liest sich dann so: „CDU und SPD sehen sich in der Tradition der Westbindung und Ostpolitik. Das BSW steht für einen kompromisslosen Friedenskurs.“
Für Wagenknecht ist die Thüringer Position ein Ärgernis, denn in Fragen von Krieg und Frieden bleibt das Thüringer Ergebnis „deutlich“ hinter dem Brandenburger zurück. Vor zehn Tagen hatte ich geschrieben: „Man darf gespannt sein, ob es zur Brombeerkoalition in Erfurt tatsächlich kommt. Über diese Frage entscheidet der Ausgang des Machtkampfes zwischen Sahra Wagenknecht und Katja Wolf.“
Offensichtlich hat Katja Wolf im Machtkampf für ihren Landesverband mit der Gründerin der Partei einen Etappensieg errungen. Während Wolf in Thüringen mitregieren will, richtet sich Wagenknechts Blick auf den Bundestag und die Bundestagswahl. Doch ihren großen Ambitionen könnte am Ende die Realität einen Strich durch die Rechnung machen. Vielleicht bekommt jetzt das BSW wirklich starke Landesverbände und wird dadurch eine richtige Partei, statt das Kommandounternehmen Sahra Wagenknechts zu sein, ein Geschöpf der Berliner Politikblase. Damit wird aber das Bündnis immer weniger zur Projektionsfläche von Sehnsüchten und stattdessen zum Sammelort für Realo-Linke, die in der woken Partei der Linken, in der antisemitische Tendenzen sich verstärken, keinen Platz mehr haben. Eine Art PDS 2.0.
Eins ist sicher: Man darf gespannt bleiben. Wir sind erst im zweiten Akt. Im dritten Akt tritt die Realität des Mitregierens in den Raum – und dieser Akt wird die Peripetie bringen. Ob wir es in der Form mit einem Drama oder einer Tragödie oder lediglich mit einer Farce zu tun haben, wird man sehen, nach der Art der eingesetzten Mittel ist es jedenfalls Grand Guignol: Kasperle-Theater. Die Republik ähnelt immer mehr einer Operette, diesmal Offenbachs Sahra in der Unterwelt.