Was bei Betrachtung der politischen Zustände im Herbst 2018 am verwunderlichsten erscheint, ist der Umstand, dass sich so viele über die hohen Wahlverluste der einst hoch geschätzten Volksparteien wundern können. Ohne um den heißen Brei herum zu reden sind beide, die Unionsparteien wie die SPD vor allem auch für das Migrationsdesaster abgestraft worden, das sie vor drei Jahren nicht nur den deutschen Bürgern sondern auch den europäischen Nachbarn eingebrockt haben und das von Bundesinnenminister Seehofer zu Recht als „Mutter aller Probleme“ bezeichnet wurde.
Daneben erhalten beide Regierungsparteien eine Quittung für ihr tiefgreifendes Versagen in der Europapolitik. Nicht nur hat die deutsche Asylpolitik zur lähmenden Spaltung Europas (Brexit der Briten, widerständige Nordländer, östliche Viségrad-Gruppe, oppositionelle Südachse) beigetragen. Die Regierung sieht seit Jahren ohne mit der Wimper zu zucken der Ausplünderung der deutschen Sparer seitens der Europäischen Zentralbank zu, sie öffnet durch passive Hinnahme der schleichenden Ersetzung der den Wohlstand bisher sichernden Sozialen Marktwirtschaft Ludwig Erhards durch die von Frankreich inspirierte Planification der Brüsseler EU-Kommission Tür und Tor.
Hinzu kommt ein grandioses Missverständnis in der Kommunikation zwischen den die Regierung tragenden und unterstützenden Parteien und dem Wahlvolk. Seit der Zeitenwende vom September 2015 bestimmen nicht nur in erster Linie Wirtschaftsdaten wie Wachstum, Exporterfolg und Beschäftigung das Wahlverhalten. Entscheidender für das Kreuz auf dem Wahlzettel werden Angebote der Parteien, mit denen sie dem Schutzbedürfnis vieler Menschen vor den vielfältigen Bedrohungen und Gefährdungen begegnen, die sich aus dem Kulturschock der wilden Massenzuwanderung und seinen immer deutlicher zutage tretenden Folgeerscheinungen ergeben.
Ganz offensichtlich fehlt den Groko-Parteien in der Führung das Gespür dafür, was einer kritischen, wahlentscheidenden Zahl von Bürgern wirklich auf den Nägeln brennt:
- die Verstörungen über die immer tiefer gehende Spaltung der Gesellschaft bis in die Familien hinein
- die zunehmende Verwahrlosung des öffentlichen Raumes, die mit überkommenen zivilisierten Verhältnissen, in denen man aufgewachsen ist, kollidiert und von daher ein untergründiges Unbehagen auslöst
- die als Nötigung empfundene Forderung, sich aus der eigenen ethnischen wie kulturellen Identität zu lösen und die heimatliche Geborgenheit als nicht mehr zeitgemäß über Bord zu werfen
- das Gefühl der Schutzlosigkeit gegenüber alltäglich um sich greifender Gewaltkriminalität
- das allgemeine Empfinden schwindender Rechtssicherheit, dessen Verursachung man wegen seines umfassenden Auftretens in erster Linie der Regierung ankreidet.
Auch in diesem Zusammenhang hat ein Unionspolitiker, der Vorsitzende der CDU-Mittelstandsvereinigung Linnemann, ein das Regierungshandeln infrage stellendes Wort zur Sache gefunden: Ein Grund für das Wahldebakel der Volksparteien habe im Versäumnis gelegen, in der „Flüchtlingsfrage” auch eine Debatte um Rechtsstaatlichkeit zu führen, statt sich allein über einen Rechtsruck in der Parteienlandschaft zu ereifern.
Wie schon im klassischen Drama die böse Tat noch Schlimmeres gebiert, führt der vom Rechtsstaat durchweg gebilligte Asylmissbrauch zur Absurdität eines sich selbst nährenden Unrechtsstaus: nicht nur schwillt die Zahl der abgelehnten Asylbewerber in ungeahnte Höhen an, sondern ihre langwierigen und kostenträchtigen Verfahren erweisen sich in der Regel als vergeblich durchgeführt, weil die nach Hunderttausenden zählenden erfolglosen Antragsteller aufgrund staatlicherseits geduldeter Rechtsbeugung nicht abgeschoben werden und die Sozialkassen mit hohen Milliardenbeträgen dauerhaft belasten.
Deutschland hat in den siebzig Jahren seiner Nachkriegsgeschichte stets eine konstruktive und verantwortungsbewusste Haltung bei der Lösung internationaler Probleme an den Tag gelegt. Die Rolle, die die Bundesregierung seit dem Herbst vor drei Jahren in der Migrationspolitik spielt, findet indessen weder bei den Nachbarn in Europa noch – wie sich beim Wahldebakel der Regierungsparteien zeigt – in weiten Teilen der Wahlbevölkerung eine Unterstützung. Es ist daher an der Zeit, der mit historischer deutscher Schuld immer wieder begründeten Bereitschaft zur Übernahme besonderer Lasten in internationalen Krisenfällen im nationalen Interesse einen Riegel vorzuschieben. Dazu gehört auch, der von Vertretern der Bundesregierung übernommenen Forderung aus Kreisen der Vereinten Nationen entgegenzutreten, Deutschland müsse als führende Wirtschaftsmacht Europas zu einem Einwanderungsland werden, quasi als zentrales Auffangbecken für die aus Nahost und Afrika weiterhin zu erwartenden großen Migrationswellen.
Richtig ist, dass das in der Mitte Europas gelegene Deutschland in seiner über tausendjährigen Siedlungsgeschichte naturgemäß stets offen für Zuwanderung aus seiner östlichen wie westlichen und aus seiner südlichen wie nördlichen Nachbarschaft gewesen ist. Daraus ist eine der Hochkulturen des Westens erwachsen, die der Welt dauerhafte Errungenschaften und geistige Anstöße in Philosophie, Musik, Theater, Literatur und Schulwesen, in Medizin und Rechtswissenschaft, vor allem in den Naturwissenschaften, in Chemie und Astrophysik, im Ingenieur- und Verkehrswesen, in der Baukunst und nicht zuletzt in der Industrie, in Finanzwirtschaft und Landwirtschaft sowie im Handwerk geschenkt hat. In dieser langen Geschichte wurde in der Bevölkerungsentwicklung ein gewisser Sättigungsgrad erreicht: mit 232 Einwohnern je Quadratkilometer ist Deutschland, das nach dem Krieg ein Viertel (!) seines Territoriums abtreten und im verkleinerten und weitgehend zerbombten Land zwölf Millionen Landsleute aus den ostdeutschen Vertreibungsgebieten Ostpreußen, Pommern, Schlesien und dem Sudetenland aufnehmen musste, heute das am dichtesten besiedelte Land Kontinentaleuropas. Dagegen kommen die USA und Kanada als klassische Einwanderungsländer, die nur Bruchteile der Migrationsquoten des vergleichsweise beengten Deutschland aufnehmen, auf nur 35 Einwohner (USA) bzw. 4 Einwohner je Quadratkilometer im Falle Kanadas.
Die in Jahrhunderten kluger Entwicklung gewachsene wirtschaftliche und kulturelle Kraft Deutschlands, von der nicht wenige in der Welt ihren Nutzen ziehen, einer dauerhaft unmäßigen Unterschichteneinwanderung aus fremden Kulturen zum Opfer fallen zu lassen, kann nicht der Weisheit letzter Schluss sein.