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Lieber antikolonial als postkolonial

Kunsthistoriker Bredekamp kritisiert »identitären Wahn« im Berliner Humboldt-Forum

Im Dezember wurde der erste Teil des Berliner Humboldt-Forums im neuerbauten Hohenzollern-Schloss eröffnet. Doch nun warnt sein Gründungsintendant Horst Bredekamp die Museumsmacher vor einer Verzeichnung des deutschen und europäischen Umgangs mit fremden Kulturen.

IMAGO / Jürgen Ritter

Im Dezember wurde der erste Teil des Berliner Humboldt-Forums im neuerbauten Hohenzollern-Schloss eröffnet. Horst Bredekamp, der angesehene Kunsthistoriker an der benachbarten Humboldt-Universität und Gründungsintendant des Forums, sah das neu entstehende Museum als Modell einer »historischen Kunstkammer«.

Bei der Vorbereitung der Ausstellungsräume ist ihm vor allem eines an den Sammlungsbestrebungen der Vergangenheit über nicht-europäische Kulturen aufgefallen: Dass sie eben gerade nicht »kolonial« waren, sondern laut ihm sogar »antikolonial«. In einem Gastbeitrag für die FAZ bringt Bredekamp es so auf den Punkt: »Der Postkolonialismus steht dem, was als linke Politik gelten kann, diametral entgegen. Es droht die Zerstörung des Antikolonialismus.« Weder die Nation noch irgendeinen Rassenbegriff sieht Bredekamp im Zentrum der Sammlung des Berliner Völkerkundemuseums, das einen Großteil der Ausstellung im Humboldt-Forum ausmachen soll. Das kann nicht verwundern, da Deutschland ja, wie bewusst sein dürfte, ziemlich lange kein Nationalstaat war.

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Doch die jetzt quasi geschehende Gründung eines nationalen Museums in der Mitte der Hauptstadt – auch wenn es vor allem Gegenstände aus weit entfernten Ländern enthalten soll – ruft natürlich auch hierzulande die hinlänglich bekannten postkolonialen Reflexe hervor. Auch an die Museumsmacher in Berlin gingen Raubkunstvorwürfe, die vor allem einige afrikanische Statuen betraf, die aus dem britischen Nigeria stammten. Wir hätten also die Schuld der »brutish Brits« geerbt (meinte der Tagesspiegel). Auch das noch.

Und dann auch noch diese Bundesregierung mit ihrer Bundeskulturministerin in nuce, Monika Grütters. Da entgegneten unsere Großkopferten der berichtenden Presse doch glatt, dass eine Rückgabe der Benin-Bronzen nur nach Prüfung ihrer wirklichen Provenienz möglich sei. Wie bitte? Prüfen, mit dem Verstand oder sogar Fakten? Unerhörte Anmaßung, dabei handelte es sich ja um eine »Frage der Moral« (wieder der Berliner Tagesspiegel und einige Bundestagsgrünen). In einem könnte man dem Berliner »Postkolonial«-Verein und anderen sogar recht geben: Es handelt sich nicht im engsten Sinne um »preußischen Kulturbesitz«. Was stört, ist nicht die Forderung nach Restitution, die man – falls einmal ein Brief aus Nigeria ankommen sollte – durchaus erörtern könnte, sondern der Debattendruck, der durch solche Aussagen aufgebaut wird und der uns die Gehirne schon vorsorglich plätten soll.

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Noch im Mai hatte die krönende Kuppel, mit Kreuz und Bibelspruch, die Gemüter erhitzt. Darf ein Symbol des preußischen Staates, aber irgendwie ja auch des 1871 geeinten Deutschlands, in heutiger Zeit wieder mit diesen höchsten Ehren geschmückt werden? Es durfte. Großspender wie die Witwe des Versandhändlers Otto haben es ermöglicht. Für den öffentlich-rechtlichen RBB, Haus- und Hofsender der Berliner Schranzenwirtschaft, handelte es sich um eine »ziemlich unerträgliche Kombination aus Inschrift und Kreuz«, die man nun leider nicht mehr »fundamental neu« diskutieren könne. Aufmerken ließ höchstens, dass am Ende sogar Aiman Mazyek vom »Zentralrat der Muslime« das Kreuz für nicht störend erachtete. Könnte dieses Kreuz ein trojanisches Pferd des politischen Islams in Berlins Mitte sein? Das dürfte sich verhindern lassen.

In der FAZ schüttete Andreas Kilb das Kind mit dem Bade aus, glaubte an das Kreuz als reine Machtgeste des Preußenkönigs Friedrich Wilhelm IV. und meinte: »In Zukunft werden es die Postkolonialen noch leichter haben, das Forum als Beutekammer europäischer Räuberstaaten zu brandmarken. Sie müssen sich nur vor den Eingang stellen und nach oben zeigen. Auf das Kreuz Christi, das zur Knute des Königs entstellt ist.« Jeder sucht sich seine Gesellschaft selbst aus. Das Kreuz Christi, das sicher etwas anderes ist als eine Knute, als Unterwerfungssymbol zum Gebrauch der Postkolonialen. So ergeht es inzwischen dem ganzen Schloss und seinen Sammlungen. Nach dem Äußeren kommt nun das Innenleben dran.

Bredekamp: Der postkoloniale Wahn ist nicht links

Bei Bredekamp bekommt man nun tatsächlich den Eindruck, dass die AfD nicht das Schlimmste ist, das Deutschland passieren kann. Denn in dieser Partei – der Bredekamp wohl nicht nahezustehen scheint – erkennt er »eine ständige Herausforderung, die aber zu bewältigen sein dürfte«. Dagegen sei die nicht wirklich linke (jedenfalls nicht liberale, MN) Identitätspolitik ein »Angriff auf die Vernunft« selbst – ein Angriff, dem man deshalb so schwer entgegnen kann, »weil er sich hinter dem Ethos einer linken Befreiungsrhetorik verpanzert« habe.

Das sind keine schöne Bilder, von verpanzerten Kämpfern im Ethos-Gewand. Die Ideologie des Postkolonialismus verwendet laut dem Kunsthistoriker zwar eine »linke Rhetorik«, ist aber den inneren Zielen nach allem Linken – wir sagen wieder zur besseren Verständlichkeit: Liberalen – »diametral« entgegengesetzt. Für Bredekamp sind das eben nur »Floskeln der Selbstbestimmung«, nicht Worte wirklicher Emanzipation. Es handelt sich weit eher um eine mit »Zwangsmitteln« agierende Bewegung, die uns neue Begriffe beibringen will und dabei sowohl Geschichte und Zukunft in Mitleidenschaft zieht. Dem kann man kaum widersprechen.

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Was Bredekamp nun in Ansehung des Berliner Schlosses und des darin zu gründenden Humboldt-Forums besonders ans Herz geht, ist die »Auslöschung einer antikolonialen Tradition«, die er am Ursprung der betreffenden Sammlungen sieht: »Was die Moderne zugrunde richtete, sollte mikrokosmisch bewahrt werden. Hierin eine Befürwortung des Unrechts zu sehen, hat eine verquere Logik, die den damaligen Auseinandersetzungen Hohn spricht.« Man hat eben nicht gesammelt, um fremde Völker auszubeuten, sondern um sie besser zu verstehen. Und vielleicht wollte man so etwas bewahren, das durch die unvermeidliche Begegnung mit der westlichen Kultur ausgelöscht zu werden drohte. Diesen Geist der Konservierung, des Denkmals und seines Schutzes hat vielleicht wirklich nur Europa in dieser Intensität und Konsequenz in die Welt gebracht.

Andernorts, es ist nicht weit weg, werden Gebäude, Denkmäler und vielleicht sogar Kunstwerke als funktional angesehen. Sobald sie niemand mehr in einem offensichtlichen Sinn braucht, können sie weg, und man geht weiter, baut neu und vielleicht besser oder funktionaler für die neue Zeit. Ob das Gegenteil eine spezifisch deutsche Tradition ist, weiß ich nicht zu sagen. Fast ebenso gut scheint es eine italienische, französische und britische Eigenart zu sein. Allerdings sagte man mir einmal in einem fremden, atlantisch-iberischen Land, dass es gerade die Deutschen sind, die Ruinen besonders lieben, weil die Ruinen – vielleicht als einzige unter den Lebenden – so geblieben sind, wie sie waren. Die Deutschen als Liebhaber lebender Fossilien? Es wäre vielleicht nicht der schlechteste Zug ihres Nationalcharakters.

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