Selbst mit scholastischem Scharfsinn, der zumindest klären konnte, wie viele Engel auf eine Nadelspitze passen und ob die Kleider, die Jesus bei der Kreuzigung trug, ihm auch gehörten, lässt sich die Frage nicht beantworten, ob sich das deutsche Kabarett in die deutsche Politik oder die deutsche Politik in das deutsche Kabarett verwandelt hat. Wahrscheinlich aber hat der großartige Satiriker Roda Roda recht, der vor hundert Jahren schon feststellte: „In manchen Ländern sind Satiriker überflüssig; die Regierung macht sich selbst lächerlich.“
Noch zum Ende des letzten Jahres entstand für das überraschte Publikum eine funkelnd-satyrische Co-Produktion zwischen Elon Musk und den deutschen Brandmauerparteien, man könnte auch sagen, zwischen Elon Musk und der deutschen Regierung, denn irgendwie gehört die Union zur Rest-Ampel wie der betagte Butler James zur nicht minder betagten Miss Sophie.
Elon Musk hatte in einer satyrischen Anwandlung beschlossen, der Regierung, einschließlich ihren Merzenaten, ein Stöckchen hinzuhalten, über das die Regierung einschließlich ihrer Merzenaten beschloss, gern zu springen, um dann auf dem dünnen Eis aufzukommen, das durch den Aufprall der Brandmauer-Klasse vernehmlich unter ihren Füßen knirschte. Mag das Eis, auf dem die Regierung steht, auch dünn sein, es würde dennoch nicht knirschen, wenn sie nicht brav gesprungen wären mit der Grazie eines Nilpferds beim Seilhüpfen.
Um das Knirschen zu übertönen, stellen die öffentlich-rechtlichen und die voll- und halbprivaten Medien beflissen ein sehr vernehmliches Getöse an. Und der Verein der Freunde des deutschen Verfassungsschutzes bemüht sich krampfhaft, nachdem er sich am Lehnitzsee, den er für den Wannsee halten wollte, verlaufen hatte, unter Aufgabe der Wahrhaftigkeit einen neuen Splattermovie auf den Markt zu bringen, von dem der Verein der Freunde des deutschen Verfassungsschutzes glaubt, es sei eine Horrorgeschichte, wo es doch nur zu einer Verschwörungstheorie für geistig ganz Arme reicht. Man erkennt die Verschwörungstheoretiker vom Verein der Freunde des deutschen Verfassungsschutzes verlässlich daran, dass sie glauben, dass im Innern der Erdkugel eine viel größere Kugel existiere, als außen herum, wie Jaroslav Hasek im „Braven Soldaten Schwejk“ bereits feststellte.
In Auswertung des hübschen Jahresendsatyrspiels registrierte Elon Musk als Impresario der Truppe, wie gut die deutsche Regierung, wie gut ihre Merzenaten, wie gut die Medien, die ihren Horizont eingebrandmauert haben, über sein Stöckchen, das vom Baume X stammt, springen, und welch hohe Aufmerksamkeit und welch hohen Unterhaltungswert die Aufführung besitzt. Deshalb entschloss sich Musk, dem erfolgreichen ersten Stöckchen in der Art eines in der Branche üblichen Spin-offs ein zweites Stöckchen hinzuhalten.
Der User Wall Street Mav forderte über X Elon Musk dazu auf: “You should do a live X Space with Alice Weidel of the AfD. They will lose their minds.“ (Du solltest einen live X Space mit Alice Weidel von der AfD machen. Sie werden den Verstand verlieren.) Und Musk antwortete kurz und bündig: „Ok.“ Inzwischen erklärte Weidels Sprecher: „Über einen X-Space zwischen den beiden sind wir bereits im Austausch“, das heißt, die Teams von Weidel und Musk beraten darüber, wie das Gesprächsformat aussehen könnte.
Ob die Rest-Ampel und ihre folgsamen Medien, ob die Merzenaten der Rest-Ampel erneut sich über Musks Stöckchen hieven, wird man sehen. Für sie wäre es freilich am besten gewesen, wenn sie schon nicht über das erste Stöckchen gesprungen wären und sich an die alte Wiener Weisheit gehalten hätten: „Am besten gar nicht erst ignorieren“. Aber, wie sagte Roda Roda auch: „Es gibt Dummheiten, an die man nicht einmal denken darf, ohne sich ihrer schon halb schuldig gemacht zu haben.“
Stellt sich also zum Schluss die Frage: Weshalb spielen deutsche Politik und deutsche Medien so brav wie tumb und weit besser als dressiert vollkommen erwartbar in Musks Floh-Zirkus mit? Auf diese Frage existieren zwei Antworten.
Die erste Antwort auf objektiver Ebene lautet, dass der Verlust von Wirklichkeit unweigerlich in das Reich der Verschwörungstheorien führt. Eine kühle linguistische und ideengeschichtliche Studie, die mit dem Jahr 2011 einsetzt, mit der Energiewende und der Klimaapokalyptik, würde zeigen, wie die verwendeten Worte und die Resignifikation der Begriffe, kurz: das Lexikon der Brandmauer-Regierungen und ihrer Medien, die Syntax und die Argumentation zunehmend verschwörungstheoretischer, wie Gegner zu Feinden gemacht werden, wie die Unversöhnlichkeit, die Grobheit in deren Sprache zunimmt, wie Sprache sich immer undifferenzierter und stattdessen sich obrigkeitshöriger, militanter und intoleranter gebärdet. Man will ausgrenzen, ausmauern, die Brandmauer dient als grüner Schutzwall vor der Vernunft.
Man könnte sogar drei Kurven erstellen. Die erste würde die steigenden Abgaben und Steuern und Lebenshaltungskosten zeigen, die zweite den wirtschaftlichen Niedergang, die Deindustrialisierung anhand kumulierter Werte wie Insolvenzen, BIP, Geschäftsklima-Index, Geschäftsverlagerungen ins Ausland, Investitionen darstellen, die dritte würde die Radikalisierung des politischen Sprachgebrauchs, der Ausgrenzung, der Spaltung von WIR und IHR, der Resignifikation nachzeichnen. Das Ergebnis lautet, dass alle drei Kurven parallel ansteigen, mit einem Höhepunkt während Merkels-Pandemie-Regime und einem erneuten Anstieg seit Ende 2022, der immer steiler verläuft. Die neue Aristokratie von Neu-Versailles fühlt sich, wie Robert Habeck es einmal ausdrückte, von Wirklichkeit umstellt, nur, dass sie die Wirklichkeit als Verschwörung wahrnimmt, weshalb sie sich von Feinden umringt fühlt.
J.W. Stalin hatte einmal die blutige Theorie, die den stalinistischen Terror rechtfertigen sollte, aufgestellt, dass mit zunehmendem Erfolg des Aufbaus des Sozialismus die Feinde des Sozialismus mehr und aggressiver werden, weshalb „unser Sozialismus“ wehrhaft sein muss, weil er sich gegen die wachsende Brutalität und Infamie des Klassenfeindes, der Sozialismusleugner, zu verteidigen hat. Was von den Brandmauer-Leuten „Desinformation“ genannt wird, hieß bei den Kommunisten noch „ideologische Diversion des Klassenfeindes“ oder des „Imperialismus“ oder des „Faschismus“ oder der „Ewiggestrigen“. Ganz gleich, wie man den Feind nannte und wo man ihn verortete, wichtig war nur, dass er allein deshalb schon der Feind war, weil er sich weigerte, der eigenen Ideologie bedingungslos zu folgen. Herrschaft, die sich nicht mehr auf legalisierte Macht, sondern nur noch auf Gewalt stützen kann, benötigt zur Herrschaftssicherung immer gröbere Mittel, weil sie an Wirklichkeit einbüßt. Die neuen Aristokraten können die Realität ihrer Herrschaft in der Irrealität ihrer Politik nur erhalten (für eine gewisse Zeit), indem sie immer mehr die Erkenntnis der Realität unter Verdikt stellen und indizieren.
Die zweite Antwort ergänzt die erste auf der subjektiven Ebene, denn die verlorene Wirklichkeit muss ersetzt werden durch die Schaffung einer eigenen Wirklichkeit, so wie der Famulus Wagner den Homunkulus erschuf. An die Stelle der Wirklichkeit tritt ein eigenes ideologisches System mit einer eigenen Grammatik, das übrigens geschlossen und gegen Wirklichkeitseinbrüche imprägniert ist. Einfach ausgedrückt: Je weniger sie können, umso mehr müssen sie von sich halten – und die Misserfolge ihrer Politik dürfen nicht als Resultat, sondern als Wirken des bösen und allmächtigen Feindes begriffen werden. Zwischen sich und der Wirklichkeit wird die Brandmauer der Selbstvergottung gezogen. Das Kind steht unter Beobachtung des Verfassungsschutzes, es könnte ja äußern, dass der Kaiser nackt ist. Die Erkenntnis des Kindes, dass der Kaiser nackt ist, wird von allen Höflingen niedergeschrieben und niedergesendet, während die Höflinge die talgige Haut des Königs zur Seide erklären. Beides glänzt bekanntlich. Eitelkeit und Realitätsverlust sind Peitsche und Zügel der deutschen Staatskarosse, die der nackte Kaiser unter dem Beifall der Höflinge mit großer Sicherheit in den Abgrund steuert.
Doch die Freunde des deutschen Humors dürfen gespannt darauf sein, ob und in welcher Art die Diskussion zwischen Elon Musk und Alice Weidel stattfinden wird – und vor allem ob und wie die deutschen Satyriker der Rest-Ampel und ihrer Merzenaten darauf reagieren werden.
Ein Verlierer des Satyrefestivals steht jetzt schon fest: die deutschen Mainstreammedien. Sie haben die Kontrolle über Information und Performation, über Berichterstattung und Framing, auch über die Kandidatenduelle verloren.