Nach 29 Monaten ist das Kapitel Lucien Favre bei Borussia Dortmund also beendet. In einer Mitteilung der mächtigen BVB-Bosse sah man die „Saisonziele stark gefährdet“. Nach nur einem Sieg aus den letzten fünf Spielen und dem 1:5-Debakel gegen den VfB Stuttgart waren sich also die Watkzes, Zorcs und Sammers einig, dass der Schweizer Fußball-Lehrer nicht das Zeug habe, das Team zu Meisterehren zu führen. Die Demission des 63-jährigen ist ein Offenbarungseid für einen Verein, der seit Jahren den „wunderbaren Jahren“ mit Jürgen Klopp hinterherrennt und sich immer wieder selbst im Weg steht. Die vergangenen Monaten waren für Lucien Favre nur noch eine Qual und nun ist er erlöst.
Ich kenne diesen sympathischen Mann schon seit mehr als 15 Jahren und durfte mit ihm in meiner Funktion als Pressesprecher beim FC Zürich auf seinem Weg in die internationale Trainerkarriere begleiten. Ich wurde mit ihm Meister. Für den FC Zürich war es damals die erste Meisterschaft seit 25 Jahren und er fand dort die gleichen Bedingungen vor wie vor seinem Einstieg beim BVB. Doch es gab einen großen Unterschied. Favre durfte machen, Favre durfte Spieler sichten, Favre durfte entscheiden und somit prägen. Ähnliche Aufgaben und Voraussetzungen fand er auch bei Hertha BSC Berlin und Borussia Mönchengladbach vor. Beiden Bundesligisten hauchte er neuen Atem ein, machte Talente zu Stars, zu Nationalspielern.
Aber zwischen Jugendwahn, Börsengang und Jürgen Klopp gab es in Dortmund weiterhin keinen Platz für anständige, langfristige Arbeit. Letzteres ist leider überall so. Lucien Favre wird sicherlich erst einmal in Löw-Manier abtauchen, mit seiner Familie zuhause in St. Barthelémy im Schweizer Kanton Waadt Weihnachten feiern und sicherlich mit seinem langjährigen Freund Arséne Wenger telefonieren, mit dem ihn einiges an Charakter und Ehrlichkeit verbindet. Wenn man in Lucien Favre mehr gesehen hätte als nur den Trainer, dann hätte er in Wenger-Manier aus dem BVB einen ernsthaften Meisterkandidaten machen können. Als Trainer und Scout, als Konstrukteur mit einer Strategie, die er in den Verein gebracht hätte. Wenger war der erfolgreichste Ausbilder, Entdecker und Fußball-Lehrer, der mehr als 22 Jahre lang aus dem säbelnden Arsenal Football Club eine Weltmarke machte. Der Grund: Man hatte Geduld und ließ ihn machen. Geduld ist heutzutage leider ein Fremdwort in der Fußballwelt.
Zumindest aber darf Favre wieder Lucien heißen und nicht mehr „Lucienn“, wie man ihn gerne in Dortmund nannte, weil man immer vergaß, ihn zu fragen, wie er denn nun richtig heißen würde.
Es bleibt zu hoffen, dass Borussia Dortmund aus diesen Erfahrungen lernt und sich endlich klar wird, was es will: Ausbildungsverein oder Meisterschaft? Beides geht in 99,9 % der Fälle leider nicht.