Tichys Einblick
Silvester 2021

Endgültig ausgeböllert?

Private Feuerwerkerei passt nicht in das Weltbild des Ökosozialismus mit seinen Verboten und Geboten. Deswegen soll diese Silvestertradition jetzt beerdigt werden. Corona ist nur das Werkzeug. Von Georg Etscheit

Symbolfoto Böllerverbot

IMAGO / Christian Ohde

Alle Jahre wieder kommt nicht nur das Christuskind, sondern auch die Diskussion über ein „Böllerverbot“ an Silvester. Auf den seit 1981 laufenden Charity-Dauerbrenner „Brot statt Böller“ folgten zuletzt immer heftigere Klagen und Angriffe von Tierschützern und Umweltorganisationen, die sich um traumatisiertes Viehzeug sorgen und die Belastung der Luft und des Klimas durch Feinstaub sowie das bei der Verbrennung von Schwarzpulver freigesetzte Kohlendioxid.

Die Corona-Krise hat der Diskussion um das Für und Wider der privaten Feuerwerkerei eine ungeahnte Wende gegeben. Nach dem von der Bundesregierung Anfang Dezember erneut verfügten Verkaufsverbot für Silvesterfeuerwerk wird nun zum zweiten Mal in Folge der Himmel in der Neujahrsnacht weitgehend dunkel bleiben. Ist dies bei uns der Anfang vom Ende einer in vielen Teilen der Welt, wenn auch oft zu verschiedenen Zeitpunkten und Anlässen, gepflegten Tradition, besondere Tage und Feste mit dem lautstarken und farbenfrohen Abbrennen von Raketen, Vulkanen und bengalischen Lichtern zu begehen?

Silvester ohne Böller?
Die DUH und das Feuerwerksverbot
Die Deutsche Umwelthilfe (DUH), ein dubioser „ökologischer“ Lobbyverein, der sich über Abmahnungen finanziert und seit Jahren mit zunehmender Aggressivität gegen die “archaische Böllerei“ agitiert, will dem deutschen Silvesterbrauchtum jetzt den Todesstoß versetzen und forderte die neue Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) auf, nach dem Verkaufsverbot auch einen „Gebrauchsstopp“ zu verhängen und diesen „zu verstetigen“.

In Zeiten eines sozialistisch angehauchten Öko-Puritanismus sollen die Bürger auf von den Kommunen organisierte zentrale „Licht- und Lasershows oder gar eine Drohnenshow“ verwiesen werden, am besten mit Ökostrom betrieben, steril, lautlos, sicher, gut kontrollierbar und jederzeit problemlos abzusagen. Einlass natürlich unter 2G-Bedingungen, am besten mit Mikrochip im Arm.

Auch in diesem Jahr ist in den Medien immer von einem „Böllerverbot“ die Rede, was begrifflich unscharf ist, handelt es sich doch bei einem Böller streng genommen nur um einen Teil des Feuerwerks-Sortiments, nämlich die sogenannten Knall-Artikel, zu denen Donnerschläge, Knallfrösche und sogenannte Lady-Cracker zählen. Letzteres sind durch Zündschnüre verbundene Knallketten oder -matten, mit denen zündelnde Kinder schon zwischen den Jahren auf sich aufmerksam machen und Passanten, vor allem solche mit Hunden, zur Weißglut bringen.

Politisch korrekt ist der Ausdruck Lady-Cracker nicht, doch er hat sich einstweilen gehalten, wobei die Etymologie unklar bleibt. Heißen sie so, weil man sie Frauen unter den Rock werfen kann oder weil sie (die Knaller) so klein und vergleichsweise schwach sind? In Süddeutschland und Österreich ist noch der Ausdruck „Judenfürze“ bekannt, was evident rassistisch wäre, wenn nicht auch eine Herleitung des Wortes von „Jute“ denkbar erscheint – kubische Kanonenschläge sind traditionell mit Kordeln aus Naturfasern umhüllt, wobei allerdings Hanf, nicht Jute zum Einsatz kommt.

Neben diversen Knall-Artikeln gibt es die Leuchtartikel, etwa Funken sprühende Vulkane, Feuerräder und bengalische Lichter, außerdem Raketen-Sortimente, Jugend-Feuerwerk, Tischfeuerwerk und die seit ein paar Jahren extrem beliebten wie vergleichsweise teuren Batterie-Verbünde. Sie tragen martialische Namen wie „Brutus“, „Barbarossa“ oder „Böse Oma“ und sind so konstruiert, dass mit ihnen jeder Hobby-Pyromane nach einmaligem Anzünden ein veritables Brillantfeuerwerk in den Himmel zaubern kann.

Den meisten Feuerwerksartikeln gemein ist eine mehr oder weniger starke Rauch- und Lärmentwicklung, wobei die Industrie aus Rücksicht auf den Deutschen Tierschutzbund natürlich längst als Haustier freundlich deklariertes „Silent-Feuerwerk“ offeriert, das nicht mehr knallt und schlägt, sondern nur noch ein sanftes Zischen und Ploppen vernehmen lässt. Wobei zu fragen ist, ob solch Flüsterfeuerwerk geeignet ist, böse Geister zu vergrämen, was als ursprünglicher Zweck der Knallerei gilt.

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„Tichys Einblick“ – so kommt das gedruckte Magazin zu Ihnen
Feuerwerk gibt es schon seit mehr als tausend Jahren. Ihren Anfang nahm die Zündelei bei den Chinesen, die das Schwarzpulver erfanden, eine explosive Mischung aus Holzkohle, Schwefel und Salpeter, bis heute Hauptbestandteil pyrotechnischer Erzeugnisse. Mit Hilfe dieses primitiven Explosivstoffes wurden schon im 11. oder 12. Jahrhundert die ersten Raketen gebaut, die als „Feuerpfeile“ Feinde in Angst und Schrecken versetzen sollten. Das Wissen, dass Schwarzpulver für kriegerische Zwecke taugt, gelangte gegen Ende des 13. Jahrhunderts auch nach Europa. Spezialisten, die sich dem Metier des Schießens und Sprengens widmeten, nannte man damals Feuerwerker, wobei sich zur Kriegskunst bald das Freudenfeuerwerk gesellte.

Im Barock entwickelte sich die Feuerwerkerei zur Manie des Adels. Eines der größten und schönsten Feuerwerke aller Zeiten wurde 1770 im Schlosspark von Versailles zur Vermählung König Ludwig XVI. mit der österreichischen Kaisertochter Marie Antoinette abgebrannt – mit 20.000 Raketen, 6000 Feuertöpfen und bis zu 30 Meter großen Feuerrädern. Dann gingen dem Adel das Geld und die Macht aus, und seit der Französischen Revolution wurde Feuerwerk allmählich zur Angelegenheit des ganzen Volkes. In Frankreich sind bis heute die „feux d’artifice“ nicht zu Silvester, sondern am Nationalfeiertag besonders populär, wenngleich meist in Form professioneller Darbietungen.

Wann genau sich der Brauch auf deutschen Straßen, Plätzen und in Vorgärten etablierte, ist ungewiss, doch gab es schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts zahlreiche Feuerwerksfirmen, die sich die Fortschritte der chemischen Industrie zunutze machten und immer prächtigere Feuerwerke produzierten. Zwei Weltkriege vergällten den Menschen das farbenfrohe Bombardement, doch im Wirtschaftswunder nach 1945 wurde Silversterschießen zum Volkssport.

Vor Corona wurden jedes Jahr mehr als 130 Millionen Euro in die Luft gejagt, wobei es an ein Wunder grenzt, dass sich hierzulande gegen die übermächtige chinesische Konkurrenz überhaupt noch eine nennenswerte pyrotechnische Industrie – rund 80 Prozent der Feuerwerksartikel werden importiert – behaupten konnte. 90 Prozent ihres Umsatzes machen die Pyrounternehmen in den wenigen Tagen zwischen Weihnachten und Silvester, in denen Sprengkörper für den Hausgebrauch verkauft werden können.

Nach 323 Jahren das Aus
Jetzt knallt’s aber richtig – in der Feuerwerksbranche
Nun fällt dieses Geschäft zum zweiten Mal in Folge aus, was die letzten deutschen Traditionsunternehmen wie Weco und Nico endgültig in die Insolvenz treiben könnte. Weco mit Sitz im nordrhein-westfälischen Eitorf hat schon entschieden, seinen Produktionsstandort im sächsischen Freiberg zu schließen, was für rund 100 Mitarbeiter die Arbeitslosigkeit bedeutet. Da freuen sich die fernöstliche Konkurrenz und Schwarzmarkthändler, die schon vergangenes Jahr gute Geschäfte machten. Im schlimmsten Fall könnte das Abbrennen illegalen oder selbst gebastelten Feuerwerks sogar mehr Opfer kosten als die bisherige, legale Knallerei.

Tierschützern, Moralisten und Öko-Puritanern war die feurige Sause zum Jahreswechsel freilich schon immer ein Dorn im Auge. Die Gründe, weshalb die Menschen jetzt und künftig vom Abbrennen eines Silvesterfeuerwerks abgehalten werden sollen, sind vielfältig und gehen mit der Zeit. Mutter aller Kampagnen gegen die Silvesterknallerei ist die schon erwähnte Aktion „Brot statt Böller“ des evangelischen Hilfswerks „Brot für die Welt“, im engeren Sinne eine Spendeninitiative mit dem Ziel, die Menschen dazu zu bewegen, zumindest einen Teil des für pyrotechnisches Spielzeug reservierten Budgets zur Bekämpfung des Hungerproblems abzuzweigen.

Das Schöne an der Aktion war ihre Freiwilligkeit. Der Ton wurde rauer, als die Umwelthilfe auf den Plan trat und sich im Zuge ihres Kampfes gegen „Dieselstinker“ im Besonderen und die individuelle Mobilität im Allgemeinen auch das Silvesterfeuerwerk vorknöpfte. Seither führt die deutsche Pyrotechnik-Branche mit rund 3000 Mitarbeitern einen verzweifelten Abwehrkampf gegen den Zeitgeist, obwohl die wissenschaftliche Evidenz für langfristige Gesundheitsschäden durch Feuerwerk (Feinstaub!) extrem mager ist. Und was Krankenhausbesuche in der Silvesternacht anbelangt, sind die wenigsten auf Verletzungen durch Feuerwerkskörper zurückzuführen, sondern vor allem auf die Folgen von Suff und Streit, was die Begründung des abermaligen Feuerwerksverbots, man wolle in Pandemiezeiten eine weitere Belastung des Gesundheitssystems vermeiden, als das erscheinen lässt, was sie ist: reinste Willkür.

50 Jahre UBA sind genug
Neuestes Framing vom Umweltbundesamt: "umweltschädliche Subventionen" abbauen
Laut Umweltbundesamt (UBA) wurden bislang in den ersten Stunden des neuen Jahres gut 4000 Tonnen Feinstaub in die Luft katapultiert und großflächig verteilt. Der Verband der pyrotechnischen Industrie (VPI) kommt in einer eigenen Studie auf weniger als die Hälfte, wobei schon eine etwas stärkere Brise genügt, um die „dicke Luft“ zu vertreiben, wie das Max-Planck-Institut für Bildungsforschung 2017 festgestellt hatte. Fazit der Wissenschaftler: „Auch wenn das private Silvesterfeuerwerk einmal im Jahr zu einer Grenzüberschreitung beiträgt und die Lärm- und Geruchsbelästigung zu Recht nicht jedem gefällt, ist weder das Böllern selbst besonders giftig, noch hat es im Jahresverlauf große Auswirkungen. Der Feinstaubhysterie muss diese Tradition nicht zum Opfer fallen.“

Dieses versöhnliche Fazit trifft wohl auch auf die Frage zu, wie stark die Silvesterknallerei der Tierwelt zusetzt. In einer 2015 erschienen Literaturstudie über die „Auswirkungen von Feuerwerk auf Vögel“ wimmelt es von Gemeinplätzen und Spekulationen. Wissenschaftliche Evidenz für nachhaltige Schäden an bestimmten Vogelpopulationen kann man daraus nicht ableiten, zumal zum Jahreswechsel nach spätestens zwanzig Minuten ohnehin alles schon wieder vorbei ist. Auch Haustiere beruhigen sich meist schnell und ohne dauerhafte Traumata davonzutragen.

2020 kam dann Corona und wurde zum willkommenen Instrument, um dem privaten Feuerwerk ein für alle Mal den Garaus zu machen. Das wilde, anarchische Begrüßungsritual fürs neue Jahr passt nicht in das von Verboten und Geboten umzingelte Weltbild des real existierenden Ökosozialismus, dessen Hohepriester eine neue, saubere Silvestertradition begründen wollen. Bleigießen ist übrigens schon länger verboten und bald kommen Sekt und Champagner an die Reihe. Die „große Transformation“ ist endgültig in den Wohnzimmern angekommen.

Einstweilen lässt sich für Bewohner mancher Grenzregionen das „Böllerverbot“ noch umgehen – Österreich beispielsweise hat bislang kein Verkaufsverbot für Silvesterfeuerwerk verhängt, und auch auf Märkten jenseits der tschechischen und polnischen Grenze dürfte es wieder ein reichliches Angebot geben. So könnte ein Silvesterfeuerwerk 2021 zum Akt gesellschaftlichen Widerstandes werden: jeder Kanonenschlag ein unüberhörbares Bekenntnis bürgerlicher Eigenverantwortung, jede Funken sprühende Fontäne ein schimmerndes Zeugnis der Aufklärung, jede in den nächtlichen Himmel aufsteigende Rakete ein Fanal individueller Freiheit!

In diesem Sinne: Prosit Neujahr!


Georg Etscheit studierte Journalistik, Politik, Geschichte Osteuropas in München, Frankfurt, Moskau. Er war Redakteur und Korrespondent der dpa in Hamburg, Dresden. Seit 2000 ist er freier Autor; 2020 erschien seine Biografie über Enoch zu Guttenberg.

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