Tichys Einblick
Gängelband aus dem All

Biobauer klagt gegen EU-Totalkontrolle

Seit die EU alle Ackerflächen per Satellit und künstlicher Intelligenz überwacht, fühlen sich viele Landwirte unter Totalkontrolle. Ein Brandenburger Biobauer klagt dagegen. Von Georg Etscheit

Reinhard Jung, Biobauer in der brandenburgischen Prignitz, einer Niederungslandschaft auf halbem Weg zwischen Hamburg und Berlin, ist gewiss kein Fortschrittsfeind. Natürlich nutzt auch er in seinem Grünlandbetrieb mit Mutterkuhhaltung viele jener Annehmlichkeiten, die die moderne Agrartechnik bietet. Bei den jüngsten Bauernprotesten in ganz Deutschland konnte man sie überall sehen, jene riesigen Traktoren, vollgestopft mit avancierter Technik, die fast Raumschiffen gleichen und vielleicht schon bald führerlos über die Ackerflächen rollen.

Es geht also durchaus nicht um Maschinenstürmerei bei dem, was Jung gerade im Magen liegt. Es geht letztlich darum, noch die Kontrolle zu behalten, Herr zu bleiben über den eigenen Hof, den eigenen Besitz, die eigene Arbeit. “Wir wollen über die Technik selbst gebieten“, sagt der 58-jährige. „Und wir wollen keinen Staat, der uns als Totalkontrolleuer gegenübersteht und uns eigentlich nur noch als potentielle Gesetzesbrecher ansieht.“

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Deshalb hat Jung, der auch als politischer Referent und Pressesprecher für den Verband der „Freien Bauern“, eine Interessenorganisation bäuerlicher Familienbetriebe, arbeitet, gegen eine Foto-App Klage eingelegt, die seit Jahresbeginn 2023 all jene Bauern nutzen müssen, die Agrarbeihilfen der EU beziehen. Im Grunde genommen, sagt Jung, sei Landwirtschaft ohne diese Beihilfen, die oft in die Zehntausende gehen, nicht mehr möglich. Die App stellt ein unsichtbares Band dar, gespannt zwischen Erde und Himmel. In Jungs Augen und nicht nur in den seinen, ein Gängelband.

2017 hatten die ESA, die Weltraumbehörde der EU zwei Satelliten in eine Erdumlaufbahn geschossen. Sie tragen die Namen heißen Sentinel 1 und Sentinel 2, was auf Französisch so viel heißt wie „Wachtposten“, und überfliegen in regelmäßigen Zeitabständen alle bewirtschafteten Flurstücke in Deutschland. Ein weiterer, großer Schritt in Richtung der immer wieder beschworenen Digitalisierung der Landwirtschaft.

Die Bauern melden zunächst den Landwirtschaftsämtern, was sie auf welchen Feldern anbauen oder wie sie sie nutzen wollen. Da geht es um Getreidearten, Fruchtfolgen, die Stilllegung von Flächen etwa aus Gründen des Umweltschutzes, den Zeitpunkt von Mahd, Düngung, den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln und vieles mehr. In vergangenen analogen Zeiten kamen immer wieder Inspektoren in die Höfe, um zu kontrollieren, ob das, was die Bauern draußen machen, mit den Angaben in den Förderanträgen übereinstimmt.

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Heute besorgen das Sentinel 1 und Sentinel 2. Wenn das automatische Flächenmonitoring auf dem Feld aus 700 Kilometern Höhe etwas erkennt, was mit den Angaben in den Anträgen nicht übereinstimmt, schlagen sie Alarm. Der läuft in Form roter „Ampeln“ auf der App des Landwirtes auf. Dann sind die Landwirte gehalten, hinaus auf ihre Felder zu fahren, um dort anhand georeferenzierter Fotos ihre Regelkonformität, man könnte auch sagen Unschuld, zu beweisen.

Leider kommt das häufig vor, weil die Künstliche Intelligenz, die die Angaben in den Anträgen mit den Satellitendaten verknüpft, ihre Macken hat. Sie verwechseln Getreidearten, melden Weizen, wo vielleicht Wintergerste wächst, oder Mais, wo es sich um Klee handelt. Das gilt übrigens auch für einen reinen Grünlandbetrieb mit Mutterkuhhaltung, wie ihn Jung betreibt. „Selbst bei uns kann es Jahreslauf Entscheidungen geben kann, die fachlich richtig sind, aber nicht vereinbar mit den Anforderungen der Düngeverordnung. Diese kann man im Satellitenbild zumindest erahnen, mit dem Foto wären sie offensichtlich.“

Wo mit den Agrarbeamten im Zweifelsfall noch zu verhandeln war, raubt die sture Mechanik der überdies schlecht funktionierenden App den Landwirten jede Freiheit. Außerdem, und das ist der juristische Kernpunkt des von Jung angestrengten Verfahrens, müssten sich die Landwirte möglicherweise selbst belasten, ein Tatbestand, der mit der deutschen Rechtsordnung unvereinbar ist.

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Jung ist mit seiner Ablehnung der App nicht allein. Mit den Worten „Mit mir nicht!“ zitiert der Bayerische Rundfunk (BR) einen Landwirt aus Mönchberg im unterfränkischen Landkreis Miltenberg. Er gebe lieber seinen Meisterbrief zurück und verzichte künftig auf staatliche Flächenprämien, bevor er diesen neuen Schritt Richtung „gläserne Landwirtschaft“ mitmache. Er nehme in Kauf, dass ihm am Jahresende finanzielle Sanktionen drohen. Dem grundsätzlichen Misstrauen gegen seinen Berufsstand wolle er sich widersetzen. Und er wisse von vielen Berufskollegen, dass sie sich ärgerten.

In einer nicht repräsentativen Umfrage der Fachzeitschrift „Agrarheute“ vom November 2023 gaben satte 77 Prozent der teilnehmenden Landwirte an, sie fühlten sich durch die App „überwacht und gegängelt“ und wünschten Jungs Klage Erfolg. Das bayerische Landwirtschaftsministerium hingegen sieht die Anwendung als Entlastung für die Betriebe, weil der oft zeitaufwendige und emotional belastende Besuch von Beamten wegfalle. Überhaupt mache die App die Kommunikation zwischen Behörden und Landwirten flexibler, Landwirte könnten beantragte Angaben korrigieren, ohne Sanktionen fürchten zu müssen.

Das sieht Jung anders. „Unsere angebliche Pflicht, Unstimmigkeiten mithilfe von App und Fotos aufzuklären, ist deshalb die Archillesferse des Systems.“ In einem Rechtsstaat dürfe niemand verpflichtet werden, sich selbst zu belasten, argumentiert Jungs Anwalt Stephan Stiletto in seiner Klageschrift und macht zudem auf schwerwiegende Verstöße gegen den Datenschutz aufmerksam.

Jungs Feststellungsklage vor dem Verwaltungsgericht Potsdam richtet sich zwar gegen den Landkreis Prignitz als die für Jungs Betrieb zuständige Bewilligungsbehörde – da aber von allen Bundesländern vergleichbare Foto-Apps eingeführt wurden, wollen die „Freien Bauern“ diese Art der flächendeckenden Agrarkontrolle grundsätzlich in Frage stellen. Unter Berufung auf das laufende Verfahren sollten möglichst viele Landwirte, so wünscht sich Jung, von ihrer Landwirtschaftsbehörde verlangen, bis zu einem endgültigen Urteil von der Pflicht zur Nutzung der App ausgenommen zu werden. „Dass ich ohne erkennbaren Anlass überwacht werde und dabei auch noch selber mithelfen soll, lasse ich mir jedenfalls nicht gefallen“.

Georg Etscheit.

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