Tichys Einblick
Zeit für eine kühle Kosten-Nutzen-Rechnung

Betrug und Selbstbetrug der Sanktionen gegen Russland

Annalena Baerbock hat noch nicht verstanden: Es ist nicht die Zeit, sich erhabene Gefühle zu verschaffen. Es ist die Zeit, im deutschen Interesse zu handeln. Eines dürfte klar sein: Die Russen werden die Sanktionen länger aushalten als die Deutschen.

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock beim Krisenstab des Auswärtigen Amts, Berlin, 24.02.2022

IMAGO / photothek

Deutsche Politiker wie Annalena Baerbock haben noch immer nicht verstanden, dass sie nicht zu einer Parteiversammlung der Grünen, in dessen mittleren Reihen Waldimir Putin sitzt, sprechen, sondern, dass sie sich auf einer weltpolitischen Bühne befinden. Vielleicht lernt die deutsche Außenministerin es irgendwann noch einmal, dass es oftmals nicht einmal den Tisch interessiert, wenn man mit der Faust auf selbigen schlägt. Diplomatie ist nicht der Ort von Sonntagsreden, sondern ein Feld der Auseinandersetzung, sodass auch Sonntagsreden Teil der Auseinandersetzung werden können.

Wenn Annalena Baerbock behauptet, dass Deutschland bereit sei, einen hohen Preis zu zahlen, dann weiß jeder, dass diesen die Bürger bezahlen werden, er aber Annalena Baerbock nichts kostet. Sie steht nicht in der Haftung für ihre Politik. Aber warum Futur – wir zahlen jetzt schon einen hohen Preis, den Preis, für eine Regierung, die sich Deutschland nach der desaströsen Merkel-Zeit nicht leisten kann. Kann Annalena Baerbock eine Drohung von einem Bluff unterscheiden, weiß sie, dass Bluffen ein Zeichen von Schwäche ist? Weiß sie überhaupt, dass sie blufft? Es ist nicht die Zeit für markige Worte, nicht die Zeit, sich erhabene Gefühle zu verschaffen. Es ist die Zeit, kühl eine Kosten-Nutzen-Rechnung zu erstellen – und im deutschen Interesse zu handeln.

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Im Kopf des anderen zu denken, gehört zum strategischen Kalkül. Die Amerikaner haben es in dieser Disziplin nicht sehr weit gebracht – und die Biden-Administration scheint nicht einmal zu wissen, dass diese Disziplin existiert, wie sie der Welt in Afghanistan demonstriert hat. Man könnte den überstürzten Abzug der amerikanischen Truppen aus Afghanistan, den man fast schon eine Flucht nennen kann, auch als Zeichen für Putin verstehen, dass nun die Zeit gekommen ist, seine Ambitionen zu verwirklichen, auf deren Realisation er strategisch jahrelang hingearbeitet hat. Die Dekadenz des Westens ist Putins Stärke. Der Westen hat zu wenig bedacht, dass Russland sich als gedemütigte Großmacht fühlt.

Dass Wladimir Putin die Sowjetunion oder das russische Zarenreich wieder herzustellen beabsichtigt, ist seit Langem bekannt, auch konnte man die Schritte beobachten, die er auf dem Weg zu diesem Ziel ging. In all den Jahren hatte Angela Merkel, die wohl auch mit Deutschland nichts anzufangen wusste, außer es step by step zu demontieren, geflissentlich weggeschaut und die Bundeswehr, weil wir ja von Freunden umgeben seien, ruiniert. Natürlich könnten wir zur Abschreckung eine knallharte Loveparade Unter den Linden stattfinden lassen. Putin wird das sicher beeindrucken. Vielleicht verlegen wir auch ein paar NGOs an die polnisch-ukrainische Grenze unter dem Kommando des Grünen Erik Marquardt. Die Amadeu Antonio Stiftung würde sich als Politabteilung bestimmt bewähren.

In der Stunde, in der die Kriegsgefahr sich immer mehr zur Gewissheit des Ausbruchs des Krieges verdichtete, diskutierte der Deutsche Bundestag darüber, ob ein Abgeordneter, der eine Perücke aufsetzte und ein Kleid anzog, eine Frau sei, weil er sich so fühlte, oder nicht. Putin, wenn er sich die Debatte angeschaut hätte, hätte geglaubt, die heute-show eingeschaltet zu haben.

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Um nicht missverstanden zu werden: Als wir 1989 zu demonstrieren begannen, saß der junge KGB-Offizier Wladimir Putin in Dresden. Möglicherweise hätte er, wenn er die Befehlsgewalt besessen hätte, auf uns schießen lassen, auch begann die Freiheit für mich erst an dem Tag, als die russische Armee Deutschland verlassen hatte – und nicht vorher. Sympathien hege ich für Wladimir Putin bestimmt nicht. Aber es geht nicht um Sympathien, nicht um Gefühle, sondern um reale Politik. Glaubt die deutsche Politik, glauben Politiker in Europa wirklich, sie könnten Putin mit Sanktionen erschrecken, meinen sie wirklich, dass die Strategen im Kreml nicht längst die Sanktionsmöglichkeiten des Westens durchgerechnet haben? Dass sie irgendjemand in Moskau mit Sanktionen überraschen könnten? Gehen sie von sich aus, von ihrer situationistischen Politik? Von ihrem Okkasionalismus, von ihrer Gelegenheitspolitik?

Versteht die selbst erklärte Weltinnenpolitikerin Baerbock, was eine strategisch, um das böse Wort zu nennen, geostrategisch angelegte Politik ist, die Putin mindestens seit 2007 verfolgt? An die Stelle strategischen Denkens sind in Deutschland Ideologien, der Feminismus und die Klimapolitik, getreten. Eines dürfte klar sein, die Russen werden die Sanktionen länger aushalten als die Deutschen. Und am Rande bemerkt führt die deutsche Politik kraftmeiernder Worte dazu, dass die Energiepreise in Deutschland explodieren werden, auch dank unserer amerikanischen Freunde, dank der amerikanischen Firmen, die uns Fracking-Gas zu dann marktüblichen Preisen, also zu Preisen, die die Not diktiert, verkaufen werden, dank auch der deutschen Regierung, die über diverse Steuern an jeder Preiserhöhung mitverdient. Die Politik der erneuerbaren Energie ist die dreisteste Umverteilung, die wir seit 1945 in Deutschland hatten.

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Robert Habeck, der die KfW-Förderung für Häuslebauer aus dem Blauen heraus streicht, der den Bürgern des Landes, mit dem auch er nichts anzufangen weiß, mit Zumutungen droht, sieht die Ukraine-Krise als große Chance, um den totalen Ausbau der erneuerbaren Energien voranzutreiben. Bei Maischbereger sagte er: „Ich erwarte einen föderalen Konsens, dass wir jetzt ernst machen und nicht über Verfahren reden, um Stromnetze, Kraftwerke oder erneuerbare Energien auszubauen.“ Verfahren sind das Herz des Rechtsstaates. Reden wir also nicht mehr über den Rechtsstaat. So schnell fallen Hemmungen. Während Wladimir Putin die Ukraine mit Krieg überzieht, will der deutsche Vizekanzler Robert Habeck den Rechtsstaat auflösen, denn nicht mehr über Verfahren zu reden, bedeutet im Klartext, Recht und Gesetz auszuhebeln. Wer nicht mehr über Verfahren reden will, will diktieren, will anweisen, will durchstellen, will Notverordnungen.

Robert Habeck meinte, die Bundesregierung ist bereit, dafür hohe Kosten in Kauf zu nehmen. Spendet Robert Habeck sein Ministergehalt, entlässt er die kürzlich eingestellten Mitarbeiter? Oder wird der Bundestag proportional zum Wahlergebnis um die Hälfte verringert? Werden die Sonderleistungen und Privilegien für Abgeordnete abgeschafft? Ist der Staat bereit, durch Entbürokratisierung Geld einzusparen für Habecks „hohe Kosten“?

Natürlich nichts von alldem, der Bürger wird es tragen müssen über Steuern und Schulden. Habecks Satz lautet in Wahrheit also, dass die Bundesregierung kein Problem damit hat, den Bürgern hohe Kosten in Rechnung zu stellen. In diesem Zusammenhang zeigt der Wirtschaftsminister, dass er nicht einmal weiß, was das ist, Wirtschaft. Denn schließlich wird dort, wo die Steuermittel nicht ausreichen, einfach Geld gedruckt und werden Schulden gemacht: „Dann nehmen wir Geld auf. Am Ende ist es nur Geld. Hier geht es um die nationale Sicherheit. Wenn die Situation es erfordert, werden die nötigen Geldmittel lose gemacht“, verkündet Habeck. Man lasse sich den lax formulierten Satz auf der Zunge vergehen: „Am Ende ist es nur Geld.“ Stimmt, es ist nur das Geld der anderen, der Bürger.

Sein Versagen als Wirtschaftsminister als Frage der nationalen Sicherheit hinzustellen, beweist einen Realismus, der ihm nicht bewusst sein dürfte, seine Wirtschaftspolitik ist in der Tat ein Angriff auf die nationale Sicherheit, auf die Energiesicherheit, auf die sich unsere Existenz gründet. Dass die Grünen den Krieg Putins gegen die Ukraine als Argument für die Durchsetzung des Ausbaus der erneuerbaren Energien unter Einschränkung der Bürgerrechte missbrauchen, ist zynisch den Ukrainern, als auch den Polen und den Balten, als auch den Deutschen gegenüber. Auch in der größten Krise geht den Grünen der Ausbau der erneuerbaren Energien, der Transformation Deutschlands in eine Klima-Diktatur über alles, in der es keine Verfahren, sondern nur noch Anweisungen gibt.

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