Tichys Einblick
Zum 125. Geburtstag

Bertolt Brecht wäre heute ein Klimakleber

Bertolt Brecht wurde heute vor 125 Jahren geboren. Er gilt als kommunistischer Autor. Doch sein Engagement war Sinnstiftung geschuldet und Zeitgeist – so wie heute das Engagement der Klimakleber.

Büste von Bertolt Brecht vor einem Spielplan am Berliner Ensemble in Berlin

IMAGO / Steinach

Drei Mal hat Petrus Jesus verraten. Vor den Toren des Hohen Rates. Vor dem „Komitee unamerikanische Umtriebe“ hat Bertolt Brecht den Kommunismus verraten. Drei Mal – hat er den konservativen amerikanischen Hardlinern geschworen: „Ich war nie Mitglied der Kommunistischen Partei.“ Der Mann, der in seinen Gedichten das Lob auf die Partei anstimmte oder das Lob auf die Moskauer U-Bahn. Der in seinem Stück „Der Jasager. Der Neinsager.“ den Mord an einem Genossen rechtfertigt, der nicht hilfreich genug für die Partei war. Jener Partei, der Bert Brecht nie angehört hat – wie er gegenüber amerikanischen Kapitalisten schwor.

Politisch war Brecht ein Leichtgewicht – als Literat hingegen ein Schwergewicht. Der Reichtum seines Werks kann gar nicht überschätzt werden. Da sind allen voran seine Stücke. Mit der Entwicklung des Epischen Theaters war Brecht ein Vorreiter, der heute, 125 Jahre nach seiner Geburt, immer noch die Erzählformen der Gegenwart beeinflusst. Da sind aber auch seine Erzählungen. Meisterwerke. Etwa „Cäsar und sein Legionär“. Die Geschichte erzählt vom Sturz des römischen Feldherrn und Usurpators. Die beklommene Atmosphäre im Palast – in der Nacht vor dem Mord. Das Schicksal von Cäsars wenigen echten Getreuen. All das verschafft ein Leseerlebnis, welches nicht vergisst, der es einmal gespürt hat.

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Am echtesten ist Brecht aber in seinen Gedichten. Sicher nicht in denen, in denen es um „Lob auf irgendeinen Quatsch“ geht. Sondern in denen der Lebemann Brecht etwas von sich verarbeitet. Von seiner Liebe zu schönen Frauen, zu vielen schönen Frauen. Von seinem Hang zum Alkohol. Oder von der Melancholie, die der Autor des Jasagers eigentlich empfunden hat: „Als die Kerze ausgebrannt war / blieb uns nur ein kalter Stumpen / als der Weg zuend gerannt war / schimpften wir uns wie die Lumpen.“

Die letzte größere Debatte, die Brecht ausgelöst hat, handelte von seinen Frauen. Sie hätten eigentlich seine Stücke geschrieben, lautete die These seiner Kritiker. Ja. Sie haben die Drecksarbeit für ihn gemacht. Aber es wären Werke geblieben, die heute längst vergessen wären – ohne das Genie, das Brecht eingebracht hat. Das Genie, das Brecht war. Doch das war ein Pakt mit dem Teufel. Nicht dass er Frauen für seine Arbeit ausgebeutet hat. Große Kunst ist kein Raum für nette Menschen. Sondern das Genie, das Brecht in die Arbeit einbrachte.

Denn es war nicht nur Talent. Auch. Schon mit seinen ersten Arbeiten zeigte Brecht dem deutschen Theater, was in ihm steckte: „Baal“ oder „Trommeln in der Nacht“ waren von einem neuen Puls geprägt, dem Puls des Industriezeitalters. Mit seinen beleuchteten und motorisierten Städten. Von einem Spiel der Sprache, das bis dahin unerhört war. Doch es waren Stücke ohne Aussage. Ausdruck einer Zeit – Expressionismus –, aber ohne Idee, wo das alles hinführen sollte.

In der Romantischen Schule lobt Heinrich Heine den Dichterfürsten Johann Wolfgang von Goethe für dessen Sprachkraft: Seine Worte seien schön wie Statuen, die einen Garten zieren. „Man kann sich darin verlieben, aber sie sind unfruchtbar.“ Die Dichtung Goethes habe keine Tat hervorgebracht. Sie seien kinderlos. „Das ist der Fluch alles dessen, was bloß durch die Kunst entstanden ist.“

Es ist anzunehmen, dass Brecht diesen Standardtext Heines gekannt hat. Sicher ist aber, dass er ähnlich gedacht hat. Baal oder sogar die „Dreigroschenoper“ waren herausragende Theatererfolge, die Brecht hinter sich hatte, als er gerade mal 30 Jahre alt war. Was Brecht jetzt suchte, war indes Sinnstiftung. Jene historische Mission, die sein Werk nachhallen lässt. Nicht nur künstlerisch. Sondern auch gesellschaftlich. Es war der Moment, in dem Brecht das Bündnis mit dem Kommunismus einging.

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Durchaus nicht untypisch für die späten 20er und frühen 30er Jahre. In seinem engeren Umfeld war Brecht weniger ein Revolutionär als ein Zeitgeist-Ritter. Einer, der nach dem Sinn des Lebens suchte – aber dabei gleichzeitig unter seinen Freunden keinen fundamentalen Unfrieden haben wollte. Heute wäre Bertolt Brecht ein Klimakleber: einer, der sich als Weltenretter versteht und verstanden wissen will – aber letztlich nur das sagt, was alle um ihn herum sagen. Einer, der sich engagiert und von seinen Engagements gut leben kann. Die Frauen, der Alkohol und so weiter.

Doch dann kommt der Nationalsozialismus und ändert alles. Brecht flieht. Aber nicht in die Sowjetunion, sondern nach Dänemark. Dort bleibt er, bis die Deutschen einmarschieren. Dann flieht er weiter – über Finnland letztlich in die UdSSR. Der Autor des Lobs der Partei ist in der Heimat der Partei angekommen. Happyend. Abspann. Nicht so schnell. Brecht bleibt nur wenige Wochen im Arbeiterparadies. Dann zieht es ihn weiter. In die USA. Heimat des Kapitalismus. Der Kommunist in Kalifornien. Dort bleibt er. Schimpft über seine neue Heimat und lässt es sich in ihr gut ergehen. An den Taten sollt ihr sie erkennen.

Nicht der Verbündete Kommunismus beschert seinem Werk das, was Brecht gesucht hat: Tiefe. Es ist der Feind. Der Nationalsozialismus. Dessen Weltkrieg und dessen Menschheitsverbrechen sind es, die Brecht seine unvergessenen, unvergesslichen Werke schreiben lässt: „Mutter Courage und ihre Kinder“, „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“ und „Das Leben des Galilei“. Es ist ein Pakt mit dem Teufel. Das unbegreifbare Leid, das über die Menschen kommt einerseits – und die große Kunst andererseits, die aus dem Versuch erwächst, dem Leid Begriffe zu geben.

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Als nach dem Krieg ein sozialistischer Staat in Deutschland entsteht, kehrt Brecht sofort zurück, um diesen mit aufzubauen. Möchte man meinen. Doch ganz so ist es nicht gekommen. Brecht bleibt in den USA, der bösen Heimat des Kapitalismus. Zwei Jahre. Bis er vor dem „Komitee unamerikanische Umtriebe“ den Kommunismus verrät – aber nicht glaubwürdig genug. Dann erst reist Brecht mit Zwischenstation Schweiz in die DDR.

Die Kommunisten dort heißen ihn willkommen als Gesicht ihres Kulturbetriebs. Der Begründer des Epischen Theaters erhält alle Möglichkeiten, die das Theater der DDR zu bieten hat. Der Revolutionäre könnte nun revolutionäres Theater entwickeln, die sozialistische Überlegenheit im modernen Kunstbetrieb beweisen. Doch es kommt wieder anders. Die Oberen der DDR entscheiden sich für die deutsche Klassik. Die deutsche Vergangenheit soll die Kultur des deutschen Zukunftsstaates prägen. Gerne stellen sich Walter Ulbricht und Co Goethe als Statue in den Garten. Dass dessen Worte keine Kinder hervorbringen, ist ihnen – an der Macht angekommen – gerade recht.

Bertolt Brecht verkümmert in der DDR. Buchstäblich. Kein großes Werk fließt mehr aus seiner Feder. Keine Kunst, die Epoche macht. Nur selten blüht sein Sprachgenie auf, etwa nach dem Aufstand vom 17. Juni 1953, als Brecht meint, die Regierung habe alles Recht, vom Volk enttäuscht zu sein. Es dürfe sich nun ein neues Volk wählen. Mit 58 Jahren stirbt Brecht früh. Jetzt kann ihn die DDR-Führung endlich ohne jeden Widerspruch auf einen Sockel heben und sich als Statue in ihren Garten stellen. Den großen Autor, der seine Seele mehr als einmal verkauft hat. Der aber im Gegenzug große Kunst produziert hat. So ganz nebenbei den schönsten Abgesang, der je auf eine untergangenene Liebe gesungen wurde:

„Alle Himmel aufzureißen / Nur dem Hass wurd’s zum Gewinne / Hinz und Kunz die großen Weisen / wussten dies von Anbeginne.“

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