»Ein Mohr schwärzt den andern nicht.« Wer weiß schon noch, was das bedeutet? Das Sprichwort, das sich in zahlreichen Sammlungen findet, besitzt manchmal auch Ergänzungen wie: »… sagte die Nonne zum Pater« oder auch »… sagte die Nonne, da saß sie in des Mönches Kutte«. Es geht also nicht um das äußerliche Schwarz, sondern um das innere Dunkel der geteilten (und dadurch halbierten) Sünde. In alten Sprichwörtern zeigt sich, wie selbstverständlich man einst im Deutschen von »Mohren« sprach.
Auch der Dichter Christoph Martin Wieland wusste: Wollte man versuchen die Menschen ganz vernünftig zu machen, dann »wäre dieß ungefähr so viel, als wenn einer unternehmen wollte Mohren zu bleichen, oder Schnee an der Sonne zu trocknen«. Im Buch Jeremia (13, 23) heißt es lapidar: »Kann auch ein Mohr seine Haut wandeln, oder ein Parder seine Flecken?«
Versunkenes Kulturgut, möchte man sagen – auch wenn der »Mohr von Venedig«, der eifersüchtige Othello, auf internationalen Bühnen und Filmsets der letzten Jahrzehnte noch wohlgelitten war. Inzwischen dürfte seine Rolle exklusiv für die Denzel Washingtons unserer Tage (oder nicht doch eher für einen maghrebinischen Typ?) reserviert sein. Sogar die Metropolitan Opera in New York hat sich 2015 in dieser und Aidas Sache vom »blackfacing« verabschiedet – dem alten Theaterbrauch, Figuren ein passendes, halbwegs realistisches Kostüm zu geben.
»Ein rundes biscuitgebäck mit chocoladengusz« aus Thüringen und Obersachsen
Das Wort »Mohr«, das heute für so viel Anstoß in der postkolonialen Gemeinde sorgt, war ursprünglich die Selbstbezeichnung eines Berbervolkes in Nordafrika, von dem auch das Königreich Mauretanien seinen Namen erhielt. Die Römer machten aus dem Gebiet zwei Provinzen, die etwa dem heutigen Algerien und Marokko entsprechen. Die nach Spanien eingedrungenen Mauren waren dasselbe Volk, nachdem es islamisiert und arabisiert worden war. Und noch die etwas weiter südlich gelegene Islamische Republik Mauretanien leitet ihren Namen vom selben Berberstamm ab. Man weiß nicht, ob das Land seinen Namen behalten darf oder will. Man hat noch nichts Gegenteiliges gehört.
Daneben ist aus Grimms Wörterbuch zu lernen, dass es »in Düringen und Obersachsen ein rundes biscuitgebäck mit chocoladengusz« namens »mohrenkopf« gab – und dies schon 1885, als der entsprechende Band erschien. Der war vom Grimm-Nachfolger Moritz Heyne bearbeitet worden, dessen Name (von lateinisch Mauritius, also schon wieder »Mohr«!) wohl auch bald vergessen sein muss. Der Berliner Moritzplatz oder sein Augsburger Pendant könnten die nächsten Opfer einer Umbenennung werden.
Was geschieht mit der Insel Mauritius, die nach dem niederländischen Prinzen Moritz von Oranje benannt wurde? Und was ist mit den Mohren-Apotheken, die sich auf merkwürdige Weise in fast allen deutschen Städten finden? Die Kunden scheinen sie jedenfalls zu mögen.
Die Posse vertieft sich
Unterdessen weitet sich die von fast allen erkannte Posse um die Berliner Mohrenstraße aus. Wirtschaftssenatorin Ramona Pop von den Grünen, zugleich Aufsichtsratsvorsitzende bei der Berliner Verkehrsgesellschaft (BVG), hatte die Umbenennung des U-Bahnhofs von Mohrenstraße in Glinkastraße umgehend als »ein klares Zeichen gegen Diskriminierung« begrüßt. Auch von Franziska Giffey, der Familienministerin und Ehren-Wieder-Berlinerin, kam bald der handelsübliche Limerick: »Ein großartiges Zeichen der BVG gegen Rassismus, Hass und Hetze.«
Doch dann folgte die Kritik der Jüdischen Allgemeinen, die kurz darauf Michael Wolffsohn in der Bild bekräftigte: Der Komponist Glinka, der sogenannte »Vater der russischen Musik« und 1836 Schöpfer der ersten russischen Oper, sei ein Antisemit gewesen. So verfasste Glinka eine Bühnenmusik für den befreundeten Dichter Nestor Kukolnik. Das romantisch verklärte Historiendrama Fürst Cholmskij handelt von einer vollständig erfundenen jüdischen Verschwörung, die angeblich das russische Heer im Kampf mit deutschen Ordensrittern destabilisieren wollte.
Glinka komponierte die acht Stücke, die er dem Werk hinzufügte, in nur vier Wochen. Schauspiel und Musik waren bald vergessen. Daneben erinnert die Jüdische Allgemeine an antisemitische Ausfälle des Komponisten, vor allem gegen seinen Konkurrenten Anton Rubinstein. Den berühmten Komponisten und gebürtigen Berliner Giacomo Meyerbeer scheint Glinka dagegen geschätzt zu haben. Übrigens könnte ebendieser Meyerbeer durchaus eine Straße in Berlins Mitte vertragen, wo immerhin sein Elternhaus stand. Die Glinkastraße hieß übrigens bis 1951 Kanonierstraße. Der Austausch dieses vermutlich zu militaristischen Namens durch die SED-Kamarilla war offenbar auch eine Huldigung an den »großen Bruder« im Osten.
Zielgenau vom Regen in die Traufe – die Grünen
Die BVG war jedenfalls düpiert und stand laut Spiegel »hart in der Kritik«. Karin Prien vom Jüdischen Forum der CDU warf den Verkehrsbetrieben »Doppelmoral« vor. Inzwischen gilt der Name »U-Bhf Glinkastraße« laut BVG-Sprecherin nur noch als »eine mögliche Alternative«, die vielleicht in Wahrheit schon ganz aus dem Rennen ist.
Auch Ramona Pop weiß es inzwischen besser: »Schnellschüsse sind in solchen Angelegenheiten wirklich nicht angebracht.« (Gratulation zum schnellen Lernerfolg!) Die Hauptstadt-Grünen freuen sich folglich nicht mehr über einen Stationsnamen im Zeichen der Sozialistischen Internationalen, sondern auf ein »offenes Verfahren unter Einbeziehung […] der dekolonialen Verbände und Vereine und der Anrainer und Anrainerinnen«. Die Grünen wissen eben zu allen Zeiten zielgenau, wie sie eine Debatte vom Regen in die Traufe führen.
Nun sollen also postkoloniale Verbände über einen Berliner Traditionsnamen entscheiden. Ist denn von der Stadt immer noch zu viel übrig? Und der Bezirk Mitte prüft angeblich eine Umbenennung auch der Straße selbst, was Aktivisten bekanntlich seit Jahren fordern. Vorschläge waren unter anderem die Königin von Saba, Nelson Mandela oder der Philosoph Anton Wilhelm Amo.
Dabei war die Bezeichnung »Mohr« – wie Michael Wolffsohn richtigerweise festhielt – nie rassistisch, immer nur beschreibend: »Auch ohne Schulwissen kommt man beim Denken darauf: Rassisten benennen keine Straße nach jemandem oder etwas, den oder das sie verachten.« Der Historiker Götz Aly sprach sogar von einem Beispiel für den wertschätzenden Umgang der alten preußischen Hauptstadt mit Fremden im Hugenottenviertel. In unmittelbarer Nähe liegen die Französische Straße mit der reformierten Kirche. Auch Gideon Joffe, der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, ist gegen jede Umbenennung, vielmehr solle man »durch Zusatzinformationen Sensibilität bei Passanten erzeugen – ähnlich wie die Stolpersteine uns jetzt zeigen, wo in Berlin Juden gelebt haben«. Seit langem gegen eine Umbenennung ist die Bürger- und Anwohnerinitiative »Pro Mohrenstraße«.
Und kann man nicht einfach festhalten, dass die Mohrenstraße an ein Kapitel der brandenburgisch-berlinerischen Geschichte erinnert, das wir vielleicht nicht ganz vergessen sollten? Der Name ist jedenfalls untrüglich das Produkt des Berliner Volksmunds, müsste also schon insofern unter Denkmalschutz stehen (genauso übrigens wie die herrlichen Mohrenkolonnaden, die inzwischen den Eingang zum Justizministerium bilden).
Mohren- oder Maurenstraße?
Was ist also diese Geschichte, die diese Mohrenstraße erzählt? Eine von Gewalt und Sklaverei, wie Historiker des Kolonialismus meinen? Nicht unbedingt. Laut der zugänglichen Forschung kommt die Geschichte in zwei Varianten daher, wird dadurch aber eigentlich nur noch interessanter und birgt zweifellos Stoff für Diskussionen. Der »(weiße) Historikers« Christian Kopp, der für den eingetragenen Verein »Berlin Postkolonial« arbeitet, erzählt beide Geschichten zur Namensentstehung und bewertet sie kritisch. (»Berlin Postkolonial« hat übrigens auch eine Geschichte mit der Mohrenstraße und Dieter Hallervorden, wie man hier nachlesen kann.)
Nach einer Version bekam die Straße ihren Namen »nach den hier einquartierten Mohren«, die ein preußischer König aus den Niederlanden als Geschenk bekommen habe und »zu Militärmusikern ausbilden ließ«. Zwar stimmen nicht alle Details der Geschichte, aber in Berlin gab es wirklich schon früh Musiker afrikanischer Herkunft.
Und so lebten schon Ende des 17. Jahrhunderts einige Afrikaner im frühkolonialen Berlin, darunter »Friedrich de Coussy, der 1681–87 zum Kunstmaler ausgebildet wurde; der 1683 angelernte Heerespauker Ludwig Besemann; Friedrich Wilhelm, seit 1686 Lakai, später Kammerdiener und ab 1706 Besitzer einer ›Bude‹ vor dem Spandauer Tor«. Das Leben in Brandenburg war für die eingeführten Schwarzen also keineswegs immer perspektivlos. Sie erlernten Berufe, besaßen später sogar Eigentum, etwa ein kleines Geschäft am Stadtrand. Natürlich waren sie aber zunächst Kammerdiener und Lakaien, wie es auch das Ölgemälde Tabakskollegium Friedrichs I. (um 1710) von Paul Carl Leygebe zeigt.
Der Benennungsanlass für die Mohrenstraße war daher wohl eine Unterkunft und Ausbildungsstätte für Musiker aus Afrika und dem Nahen Osten, die als preußische Janitscharen bekannt gewesen seien. Die gab es laut Kopp spätestens unter dem »Soldatenkönig«. Tatsächlich soll der Vater Friedrichs II. eine Schwäche für die von Pauken und Becken begleitete Musik gehabt haben, die sein kunstsinniger Sohn eher barbarisch fand. Waren es also eher braungebrannte Maghrebiner und Orientalen, auf die sich der Name der Mohren- oder dann Maurenstraße zurückführen lässt?
Ist noch Raum für Geschichte bei uns?
Eine andere, noch etwas farbigere Erklärung für den Straßennamen behauptet, dass um 1684 der Häuptling eines ghanaischen Stammes aus dem Umfeld der brandenburgischen Kolonie Groß Friedrichsburg nach Berlin kam, um dem preußischen König seine Aufwartung zu machen oder – wie andere schreiben – sich ihm zu unterwerfen. Wiederum hätte der Häuptling Janke in der Straße selbst oder ihrer Nähe gelebt.
Kann man aus einer der beiden Geschichten, von denen vielleicht die erste etwas plausibler wirkt, auf ein rassistisches Benennungsmotiv schließen? Wohnt der Rassismus dem Begriff des Mohren an sich inne? Wäre es weniger rassistisch, die jetzige Mohrenstraße nach einem einzelnen Afrikaner zu benennen, der sich um Berlin oder was auch immer verdient gemacht hat? Oder ist es nicht eigentlich schön, dass man die gewissermaßen weltoffene Geschichte Brandenburg-Preußens über so lange Zeit in Erinnerung behalten hat und der Name »Mohrenstraße« seit 1706 zu keinem Zeitpunkt zur Diskussion stand, auch nicht in den zwölf Jahren zwischen 1933 und 1945?
Die zentrale Frage wird sein, ob wir unsere eigene Vergangenheit noch ertragen können und wollen. Vielleicht kann der Straßenname – und mit ihm der des U-Bahnhofs – ja doch noch gerettet werden. Der Senat hatte eigentlich schon vor Jahren die Entwicklung eines »Lern- und Erinnerungsortes« an der Mohrenstraße geplant. Anders als im sogenannten Afrikanischen Viertel, wo man in den letzten Jahren flott Namen aus der deutschen Kolonialgeschichte getilgt hat, kam dieses konstruktive Vorhaben anscheinend nicht von der Stelle. Eine Tafel würde vielleicht schon genügen für alle, die sie lesen wollen.
Tatsächlich war Brandenburg über seine Kolonie Groß Friedrichsburg auch selbst für einige Jahre am transatlantischen Sklavenhandel beteiligt und transportierte angeblich knapp 20.000 Sklaven nach Amerika. Diese Geschichte wäre in der Tat aufzuarbeiten, vielleicht sogar in einer kleinen Gedenkstätte. Aber vielleicht bleibt daneben ja trotzdem auch für die echten, authentischen Zeugnisse der Geschichte noch etwas Raum auf den Straßen Berlins. Zu hoffen wäre es.