Die deutschen Korrespondenten hatten im Wahlkampf 2016 ein Lieblingswort: „Fly over States“. Als Länder, die nur dafür da seien, um von Washington nach Los Angeles darüber hinweg zu fliegen – so würde sie in den USA jeder bezeichnen – behaupteten zumindest die deutschen Korrespondenten. Aber das war Quatsch.
Die Leute in Alabama sind Patrioten, in Utah, in Minnesota oder in New Mexico ebenso. Das gilt für ihre Stadt ebenso wie für ihren Staat und die USA als Ganzes. Niemand dort würde behaupten, ihre Heimat sei nur dafür da, um darüber hinwegzufliegen. Es wäre auch nicht empfehlenswert, in einer Kneipe in Montgomery oder Sleepy Eye diese These aufzustellen. Davon würde höchstens ein Zahnarzt profitieren.
Nicht alle Amerikaner sprechen von „Fly over States“. Das tun nur die in Washington. Aber dass sich die deutschen Korrespondenten so verächtlich über Regionen äußern, die viel zum amerikanischen Wohlstand beisteuern, sagt viel über deutsche Journalisten aus. Sie nehmen Staaten wie Utah oder Minnesota nicht einmal wahr, wenn sie über diese reden. Es war genau diese Arroganz und Ignoranz, wegen derer der Sieg Trumps 2016 den deutschen Journalismus so überraschte und überfuhr.
Zuerst haben ARD, ZDF, Süddeutsche und Co versucht, die Proteste der Bauern, Spediteure und anderer Leistungsträger als rechtsextrem zu framen und zu skandalisieren. Nachdem diese Kampagne kläglich gescheitert war, pushten die entsprechenden Medien die Demos gegen die AfD nach vorne. Ausgelöst durch eine gehypte und zweifelhafte Recherche des staatlich bezuschussten linken Journalisten-Kollektivs Correctiv.
Wie der Charakter dieser Demonstrationen ist, zeigt sich aktuell auf Twitter. Seit Tagen zeigt der Account ÖRR-Blog einen Fall nach dem anderen auf, in denen ARD und ZDF in Berichten über die Demos Politiker der etablierten Parteien als neutrale Teilnehmer ausgegeben haben. Das lässt zwei Schlüsse zu. Entweder betrügen und manipulieren die Öffentlich-Rechtlichen absichtlich. Oder es sind auf den Demos einfach nur Parteivertreter unterwegs. Die Parteienfinanzierung für den Verbund von Linke, SPD, Grüne, FDP und CDU ist mittlerweile schließlich so üppig, dass der Steuerzahler den Parteien ein Heer von tausenden „wissenschaftlichen Mitarbeitern“ finanziert.
Nun hat Yvonne Magwas etwas anderes versucht. Die 44 Jahre alte Christdemokratin hat das Präsidium des Bundestags eingeladen und ist mit ihnen in ihren Wahlkreis im Vogtland gefahren. Magwas dürfte einer breiten Mehrheit nicht bekannt sein. Aber sie ist eine der kommenden Frauen der CDU. Nachdem diese im Bund aus der Regierung flog, machte die Fraktion Magwas zur Vizepräsidentin des Bundestages. Das ist der hochrangigste Posten, den eine Oppositionspartei verteilen kann. Käme die Union wieder in die Bundesregierung, wäre Magwas eine potentielle Ministerin – allzumal wegen der Frauenquote.
Magwas ist privat mit Marco Wanderwitz (CDU) zusammen. Als Angela Merkel ihn zum Ostbeauftragten gemacht hat, war die CDU noch die mit Abstand stärkste Partei zwischen Elbe und Oder. Mittlerweile ist das die AfD. Dass Wanderwitz sein Amt immer wieder nutzte, um den Osten als rechtsextrem zu framen und zu skandalisieren, dürfte seiner Partei nur wenig geholfen haben.
Nun fährt sie mit Bärbel Bas und den anderen Präsidenten ins Vogtland. Als Soziologin zum Anfassen. Die Berufspolitikerin, die ihre Wurzeln nicht vergessen hat: die als Praktikantin eines Berufspolitikers. Ungewöhnlich sind solche Besuche nicht. Meist sind sie den Hinterbänklern des Bundestages vorbehalten. Es sind Rituale. Die Politiker besuchen Firmen und Einrichtungen, die vorher tüchtig herausgeputzt werden. Sie flanieren an lächelndem Personal vorbei, das die Chefs vorher angehalten haben, freundlich zu bleiben. Sie sitzen mit Vorständen in Konferenzräumen und trinken Kaffee aus stylischen Thermokannen. Anschließend wissen die Politiker, wie es im echten Leben aussieht: Eigentlich sind die Bewschäftigten zufrieden, die Fabriken sauber und im Konferenzraum gibt es Häppchen. Vegan und glutenfrei. Sie haben also eher ein kitschiges Bild von der Wirklichkeit.
Doch Magwas‘ Reise hat einen besonderen Charakter. Die Vizepräsidentin des Bundestages kündigt die Tour als Kampf gegen die AfD an: Die Berliner Prominenz landet in den deutschen Fly over States, um dort mit hier Lebenden vegane Häppchen zu essen. Praktischerweise sind auch demonstrierende Bauern da, mit denen die Präsidenten spontan reden. Die Medien machen fleißig Bilder davon. Dass die Bauern rechtsextrem seien und jeder überlegen müsse, ob er mit ihnen demonstrieren wolle, das hat von ihnen keiner niemals nicht behauptet.
Doch das Kalkül geht nicht auf. Den Journalisten der Berliner Blase stehen ihre Arroganz und Ignoranz im Weg. Die Süddeutsche titelt: „Austausch auf dem Acker.“ Der Stern: „Demokratiebildung im Fokus.“ Es ist die Attitüde, dass es ja wohl schon reiche, wenn man sich zum Pöbel herablasse und ihm dann auch noch die Demokratie erklärt. Wenn sie dann immer noch AfD wählen, sind sie einfach nur zum Drüberwegfliegen gut.
Besonders schief geht ein Interview, das der Deutschlandfunk aus dem Studio heraus mit Magwas am Telefon führt. Der Moderator will deutlich machen, was für ein Opfer der Vizepräsidentin es ist, den Pöbel zu besuchen. Deshalb fragt der Journalist, ob der Trip für Vizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP) eine „Bildungsreise“ sei. Ob Kubicki im Vogtland Dinge lerne, die er aus Kiel nicht kenne.
Großes Tennis. Schleswig-Holstein ist schließlich für seine Urbanität bekannt. Bauern kann Kubicki dort nicht treffen. Also korrigiert Magwas ihn. Es sei keine „Bildungsreise“. Sie seien „dafür da, um zu sehen, wo den Menschen der Schuh drückt“. Es ist der Moment, in dem die Vizepräsidentin den Deutschlandfunk als Verbündeten im Versuch erkennt, sich als volksnah zu inszenieren. Aber auch als Verbündeten, der brutal wenig drauf hat.
Es gebe „eindeutige Regelungen in der Geschäftsordnung“ des Bundestages. Aber der jeweilige Kandidat werde eben nicht aus der Mitte des Parlaments heraus gewählt. „So ist das.“ Die AfD hat immer wieder Kandidaten aufgestellt für das Amt, das ihr zusteht und die Parteien haben sich dagegengestellt. „So ist das“, sagt Magwas. Die Geschäftsordnung und die Mitte des Parlaments … Da könne sie halt nichts machen. Schließlich hat sie nicht sieben Jahre Soziologie und Berufspolitiker studiert, um jetzt selbst zu entscheiden. „So ist das.“
Immerhin. Der Moderator des Deutschlandfunks ist jetzt bei sich zuhause, fühlt sich wohl. Im Studio. In der Berliner Blase. Und er will über Berliner-Blase-Themen reden: Ob es klug sei, die AfD auszugrenzen? Ob die AfD verboten werden solle? Ob man wie Hendrik Wüst (CDU) die AfD eine „Nazi-Partei“ nennen solle und wie stark „die Demokratie in Gefahr sei“? Magwas‘ volkstümliche Idee geht schief.
Der Moderator des Deutschlandfunks war nicht befriedigend für die Jungpolitikerin. Aber er war vielleicht klüger als sie. Dass die anderen Parteien – unabhängig vom Thema – wie eine einzige Partei agieren, ist ein wichtiger Punkt, den ihnen die abtrünnigen Wähler vorwerfen. Diesen als Argument für die etablierten Parteien zu nennen, ist nur klug für den, der aus der Berliner Blase heraus denkt. Dass Magwas und die anderen Mal im Vogtland waren, ist dann letztlich weniger spektakulär, als Stern und Süddeutsche hoffen. Einmal im Fly over State zu landen, ist bestenfalls ein Anfang vom Ende der Arroganz.