Was kann schon dabei herauskommen, wenn eine Stiftung Edith Maryon in Berlin Grundstücke erwirbt, diese an eine NGO weitergibt (CRCLR), welche einen Bauträger gründet (TRNSFRM eG), der dann mit Freiwilligen und gebrauchtem Material eine billige Öko-Unterkunft bauen möchte?
Erläutert wird das dahinterstehende Denken beim Wissenschaftsgespräch „Soup & Science“ (nach dem Gespräch wird zur Suppe geladen) mit Axel Dorloff, einer Kooperation zwischen RBB Inforadio und der Technologiestiftung Berlin. Und wie nicht anders zu erwarten, möchte man auch hier das ganz große Rad Richtung Weltenrettung drehen. Aus dem Titel der Sendung beim RBB Inforadio: „Müllteppiche im Meer, Mikroplastik in der Nahrung, Lebensmittel landen im Müll, während gleichzeitig Menschen verhungern.“
Alice Grindhammer, Geschäftsentwicklerin in der Recyclingbranche und Mitgründerin des ersten Hauses für zirkuläre Wirtschaft bzw. Kreislaufwirtschaft in Berlin, erklärt, wie sie ihre desillusionierende Erfahrung mit dem „Buzzword“ Recycling zu der Erkenntnis gebracht hat: „Unsere derzeitige Art zu wirtschaften funktioniert nicht mehr: Es ist höchste Zeit, mit vereinten Kräften an einer müllfreien Zukunft zu arbeiten.“ Man müsse „den Blick auf die Umwelt haben, Ressourcen schonen, die Natur sich regenerieren lassen … Zirkuläre Wirtschaft hat von Vornherein das Ziel, neben dem Geldverdienen auch positive soziale und ökologische Wirkung zu erzielen.“
„Zirkulär bauen“ mit „null Abfall“
Der Wachstumsbegriff müsse neu definiert, Abfall herausdesignt, Materialien rezirkuliert, so lange im Kreislauf wie möglich gehalten werden. Die Baubranche sei da spannend. Zum Einen trage die Gebäudetechnik wegen der Zementproduktion und der Wärmetechnik einen Beitrag zum CO2 …, aber zum Abfallproblem über 50 Prozent bei; daher müsse man den Gebäude-Lebenszyklus neu denken, so Alice Grindhammer. Mit der Baugenossenschaft „TRNSFRM“ errichte man aktuell zwei jeweils um die 3.000 Quadratmeter große Gebäude; dabei teste das Team, CO2 zu sparen, Abfälle zu reduzieren, das Gebäude aus Abfallmaterialien neu zu bauen.
Es gibt beeindruckendes Bildmaterial von der Baustelle. Planungsbeginn war 2015; im Jahr 2021 liegt offenbar die Betondecke, auf der die Holzetagen aufsitzen sollen. Vor diesem Hintergrund ist das tiefgründige Fazit der FAZ – „Eines der interessantesten Vorhaben der aktuellen Berliner Architektur” – auf der Website von TRNSFRM besser zu verstehen. TRNSFRM selbst über das Projekt: „Das Zusammenwirken von Wohnen, Arbeiten und gemeinschaftsorientiertem Leben ist Leitthema des CRCLR Hauses. Ziel ist ein Zero-Waste-Haus zu etablieren, in welchem Materialkreisläufe derart verbunden werden, dass die Abfallstoffe des einen als Sekundärrohstoff des anderen Nutzers fungieren. So entsteht ein Mini-Ökosystem, in welchem Bewohner und Gewerbe durch Materialkreisläufe technischer, organischer und sozialer Natur verbunden sind. Die Prinzipien der gemischten Stadt werden durch die Zusammenführung unterschiedlicher Nutzungen auf das Gesamtgebäude übertragen.“
Klarer ausgedrückt: wohl eher ein wildes Durcheinander in einer Art freigeistigen, von der Substanz zehrenden Kommune, wo fast nichts geregelt ist, aber irgendwie von Geisterhand ein Öko-Perpetuum-Mobile anlaufen soll. Das Foto der „modularen, erweiterbaren Energiezentrale“, die beide Bauvorhaben „mit erneuerbarer, größtenteils lokal erzeugter Energie versorgt“ spricht Bände. In München steht ein Hofbräuhaus, und in der Rollbergstraße in Berlin steht eine alte Brauerei: ein Glück, dass der Weg ins grüne La-La-Land von Subventionsbäumen gesäumt ist, die man schütteln kann. Wie die Sanierungszeitung Karlson #3 im Jahr 2016 berichtete, hat es die Maryon-Stiftung geschafft, 2016 mit den Projekten in ein Förderprogramm „aus dem Sondervermögen Infrastruktur der wachsenden Stadt (SIWA) mit 55.000 € pro Wohnung bzw. 22.500 € pro Wohnplatz in gemeinschaftlichen Wohnformen“ aufgenommen zu werden. „Häuser wie wir sie heute bauen, sind zu teuer und bringen zu viele ökologische Risiken mit sich.“
Und baust Du nicht willig …
Frau Grindhammer zufolge ist die einzige „Metrik“, die aktuell nachgehalten würde, die des Geldes, und daran gekoppelt Steuern. Da bräuchte es zusätzliche Metriken: die Abfallbilanz, einen CO2-Preis, der erhöht wird, um eine „Incentivierung“ zu schaffen. Es werde sicherlich in manchen Branchen „erheblichen Umbau“ mit sich bringen, zusätzliche Investitionen und Förderprogramme würden benötigt, damit sich Unternehmen auf den Weg begeben. „Wir sind zu weit vorangeschritten beim Thema Klimawandel, als dass freiwilliges Engagement ausreicht.“
Axel Dorloff fragt: „Verlieren da ganze etablierte Industrien an Daseinsberechtigung?“ Das sei eine „spannende Frage“, so Frau Grindhammer, es gebe diese ganz große Angst in Deutschland vor Verboten. Warum wolle man keine Verbote ausstoßen, wenn es doch Praktiken sind, die so einen negativen Einfluss haben auf Ziele, die wir als Gesellschaft für uns definiert haben?
Man lerne: Der VW, wie er heute ist, bringe Umweltprobleme mit sich; Häuser, so wie man sie heute baue, seien zu teuer für viele, brächten zu viele ökologische Risiken, aber besonders, wenn sie unterstützt werden durch Förderprogramme und wenn es Rahmenbedingungen gebe, traut Frau Grindhammer „unseren Unternehmen und Industrien den Umbau auch zu“. Es gebe doch alle Produkte schon in „nachhaltig“, aber es fehle, dass die größten Industrien diese nachhaltigen Ansätze flächendeckend nutzen.
Und wie kann dieser Wissenstransfer stattfinden? Es fehle uns eigentlich nicht das Wissen um das „Wie“. Aber die Gesamtindustrie wende es nicht an, das sei eine Frage des Transformationsprozesses, des Muts der Unternehmensführung, wirklich zu sagen: Wir verankern die Circular Economy, Klimaziele in der Unternehmensstrategie im Kern, wir starten den Prozess jetzt, wir fördern zirkuläres Denken von unseren Mitarbeitern und probieren, die gesamte Wertschöpfungskette danach umzubauen. Wie kann das Produkt möglichst langfristig genutzt werden und nicht fastmoving consumergood, sondern zu 100 Prozent in einem Kreislauf führbar sein und nicht Beitrag zu wachsenden Müllbergen? Dann könne sich hier auch was verändern.
Hört man da die grüne Nachtigall in Richtung Umerziehung trapsen …
Während der Baufortschritt beim „CRCLR“ nicht wirklich erkennbar ist – hier freute man sich erst einmal, ein paar alte Fenster gefunden zu haben –, versucht die Stadt Berlin, wenigstens einen Teil ihrer Kosten durch Vermietung des ollen Fasslagers als „Eventlocation“ wieder hereinzubekommen. Aber ein Publikumsmagnet scheint es dem Werbetext nach nicht zu sein. „Auf dem Gelände der Alten Kindl Brauerei wartet das Vollgutlager auf kreative Veranstalter“, wer es mag, „seine Events mit einem rauen, urbanen Flair … im typischen, leicht verschlissenen Industrie-Stil … in der flexiblen Location mit zahlreichen Gestaltungsoptionen“ durchzuführen, könne ja „die raue Atmosphäre der Location … mit Dekorationselementen verstärken oder … Kontraste durch romantische und verspielte Elemente herstellen. Besonderes Highlight ist der Zugang zur Halle durch den unterirdischen Brauerei-Gang, der von flackerndem Neonlicht beleuchtet wird.“
Geradezu wohltuend nüchtern fällt das Interview mit den zuständigen Architekten von „Hütten und Paläste“ bei CRCLR aus, denn das Ziel wird klar: Es geht in Richtung Platten-Minimalismus und „Abenteuerspielplatz“-Architektur. Obwohl ihnen ja Investoren immer wieder sagen würden, man müsse alles abreißen und neu bauen, glaube man an diese Art von Architektur und versuche daher, Materialien wiederzuverwenden. Man habe zum Beispiel alte Ziegel im Co-Working Space und Gewächshausplatten für Fenster und Wände wiederverwendet. Der Wohnteil des Gebäudes werde aus wiederverwendetem Holz bestehen. Reduktion heißt: einfach machen – weniger Technik und weniger Details. Solche Low-Budget-Projekte ermöglichten es herauszufinden, was die Essenz des Baus ist. Man habe mehrere Projekte durchgeführt, die für viele verschiedene Zwecke ausgelegt sind – zum Beispiel eine Hütte, die als Küche, Wohnzimmer und Schlafzimmer genutzt werden kann, indem man etwas im Raum leicht verändert. Das nenne man Multiprogramming und das mache die Designs auch nachhaltiger. Beispiel Küche: Dort verbringe man morgens 30 Minuten und abends 30 Minuten – was nicht sehr rund sei. Die Wohnungen am Rollberg würden so gestaltet, dass alle Zimmer die gleiche Größe haben, „sodass Sie wählen können, welches Zimmer Sie wofür nutzen möchten. Das macht es möglich, viele verschiedene Wohnformen zu integrieren“ – es sei sehr offen.
In Deutschland sei alles lizenziert, es sei sehr schwierig, nur aus Materialien zu bauen, die man findet. Es ist ein großes neues Feld und eine große Herausforderung. Bei einem ersten Treffen sei gesagt worden: Ich möchte, dass Sie ein Gebäude aus Müll entwerfen. Und wir sagten: Okay, warum nicht? Dieses Projekt befreie vom „Geld verdienen müssen“-Aspekt der Architektur. Das sei persönlich und beruflich viel interessanter und inspirierender.