Tichys Einblick

Zwischen friedlichen Bürgern, genervten Polizisten und Irrläufern der Geschichte

Georg Gafron war unterwegs in Berlin und hat sich auf den Demonstrationen Unter den Linden / Friedrichstraße und an der Straße des 17. Juni umgesehen. Hier seine Beschreibung des gestrigen Tages:

imago Images/Stefan Zeitz

Nach einigem Hin und Her um das durch Berlins Innensenator Geisel (SPD) verhängte Verbot von Demonstration und Kundgebung der Bürgerbewegung gegen die Corona-Maßnahmen der Bundesregierung und der Länder, initiiert durch die Stuttgarter Initiative aus Unternehmern, Ärzten und Rechtsanwälten „Querdenken 711“, und zweimaligem Aufheben des Verbotsdekretes durch die zuständigen Gerichte, war in Berlin das Geschehen am Sonnabend mit Spannung erwartet worden.

Wer Demokratie verteidigt und Recht
Corona-Demonstration: Was bleibt
Der unbedarfte Beobachter, der gegen 11 Uhr am Brandenburger Tor eintraf, stellte als erstes mit Verwunderung fest, dass ungeachtet der Menschenmassen, die hier bereits die Straße Unter den Linden durch das Brandenburger Tor bis nahezu zur Siegessäule füllten, bei vollständiger Missachtung des Abstandsgebotes, kein einziger uniformierter Polizeibeamter zu sehen war, abgesehen von einer Reihe von Zivilkräften, die sich an blauen oder grünen Aufklebern jeweils auf der rechten Hosentasche erkannten.

Beim Blick auf die Losungen der Transparente wurde schnell klar, dass es sich hier um keine Corona-Leute handelte. Über den Köpfen flatterten die Fahnen des Kaiserreichs, mitunter auch versehen mit dem wilheminischen Reichsadler, der die Flagge zur Kriegsfahne machte. Gefordert wurde ein sofortiger Friedensvertrag aus Sicht der Demonstranten, als dessen Ergebnis ein deutsches Reich in den Grenzen von 1914 hervorgehen sollte. Auch wurde der Abzug der Amerikaner gefordert. Nur im ersten Moment verwunderlich wirkte die hohe Zahl russischer Staatsflaggen. Unwillkürlich musste man an den Hitler-Stalin-Pakt vom August 1939 denken. Dann prangte da die Losung: „Russland, gib uns Preußen wieder – dann legen wir vor Dir die Welt in Frieden nieder“.

Ein Stück weiter, vor der US-Botschaft wurden amerikanische Fahnen geschwungen und ein Plakat hochgehalten, auf dem stand. „Präsident Trump, rette uns vor dem Sozialismus – Trump for President“. Doch diese Gruppe ging unter neben den Kaisertreuen und anderen Irrläufern der Geschichte. Doch wie schon beschrieben: Abstand hielt hier niemand, und auch keine Polizei forderte dazu auf.

In der Demo drinnen beobachtet
Unter den Demonstranten: Friedefreude, Kaiserflagge
Ein ganz anders das Bild in der Friedrichstraße, wo sich die Regierungskritiker in Sachen Corona zu ihrem geplanten Umzug in Richtung Straße des 17. Juni versammelten. Hier waren erneut galaktische Krieger in martialischer Ausrüstung aufgezogen. Indem die Polizei den Start des Demonstrationszuges blockierte, gleichzeitig aber immer mehr Teilnehmer nachströmten, wurde eine künstliche Zusammenballung erzeugt, die ein Einhalten des Abstandsgebotes nicht mehr ermöglichte.

Jetzt schlug die Stunde der Gesetzeshüter. Sie riefen zur Einhaltung des Mindestabstandes auf, nachdem sie selbst zuvor diese Möglichkeit unterbunden hatten. Man sieht Berlins Innensenator Geisel förmlich wie Rumpelstilzchen um seinen Schreibtisch herumhüpfen, und sich teuflisch über die Eingebung dieses Planes freuen. Konnte er doch auf diese Weise die Schmach seiner Sammelniederlagen vor den Gerichten zumindest für sich selbst
wettmachen. Schließlich konnte aber schlicht aufgrund der hohen Zahl von Menschen und des wiederholten Hinweises der Anwälte der Veranstalter, dass ein Unterdrücken der gerichtlich genehmigten Demonstration erhebliche juristische Konsequenzen haben werde, sich der Zug in Bewegung setzen.

Mit stundenlanger Verspätung kamen die Kritiker der Pandemie-Maßnahmen in der Straße des 17. Juni an. Hier vermischten sich erstmals Corona-Demonstranten mit Rechtsextremisten und Kaisertreuen, wobei erstere sich deutlich distanzierten. Jetzt tauchten neben themenbezogenen Forderungen auch solche an das Öffentlich-Rechtliche Fernsehen auf. Eine Losung: ARD und ZDF: „Waschen Sie Ihre Hände. Wir waschen Ihr Gehirn“. Andere beklagten eine „Gleichschaltung aller Medien“ oder die Feststellung: „Tagesschau und Heute = Aktuelle Kamera“.

Buntes Treiben
Querdenker-Demo in Berlin: Ein großes Happening mit kleinen Verstörungen
Die Absicht des Innensenators wurde spätestens jetzt deutlich: Das Hauptaugenmerk der 3000 herbeigeholten Polizisten galt nicht den Rechtsradikalen und auch nicht den linksextremistischen Gegendemonstranten der Antifa, die sich 2 km südlich des Brandenburger Tores ebenfalls zusammengerottet hatten. Hauptfeind der öffentlichen Sicherheit und Ordnung schienen aus Sicht der Politik vor allem die bürgerlichen und besorgten Demonstranten zu sein, die zum Teil mit Kind und Kegel aus der ganzen Bundesrepublik angereist waren.

Erneut wie schon am 1. August von der puren Anzahl der Demonstranten überfordert, legten die zum Teil verzweifelt dreinblickenden jungen Polizisten erstmal eine Pause ein. Gruppenführer standen etwas abseits und berieten aufgeregt die Lage.

Nur einmal kam kurzzeitig Bewegung ins Geschehen. Eine Gruppe betrunkener Reichsbürger hatte begonnen, Flaschen und Ähnliches in Richtung russische Botschaft zu werfen. Bekanntlich gehört der Schutz diplomatischer Vertretungen zu den herausgehobenen hoheitlichen Aufgaben des gastgebenden Staates. Schnell und überzeugend bereiteten Beamte aus Schleswig-Holstein dem Treiben ein Ende.

An anderer Stelle versuchte die Polizei vergeblich, Abstandsregeln durchzusetzen, und schritt nach dreimaliger Aufforderung sichtbar verunsichert zur Tat. Willkürlich wurden Personen herausgegriffen, teilweise in Handfesseln gelegt und in eine Nebenstraße abgeführt. Dort erfolgte eine erkennungsdienstliche Behandlung sowie die Aufnahme einer Anzeige wegen einer Ordnungswidrigkeit nach dem Versammlungsrecht. Ein Polizist raunte einem seiner Kollegen zu: „Und wegen solchen Menschen holt man uns nach Berlin, nicht zu fassen.“ Antwort: „Wir haben ja sonst nichts zu tun.“ An dieser Stelle ist hervorzuheben, dass sich die Beamten hier außerordentlich korrekt verhielten und die Menschen angemessen behandelten.

Hamburg 2017 vs Berlin 2020
Corona-Demonstration versus linke Demos: Messen mit zweierlei Maß
Mit Beginn des Sonnenuntergangs verlagerte sich der Schwerpunkt endgültig zur Siegessäule und den angrenzenden Straßen. Die Rechtsradikalen hatten sich vor dem Gelände um den Reichstag versammelt, deutlich getrennt davon breitete sich unter den meisten Teilnehmern des Demonstrationsgeschehens so etwas wie Party und Picknickstimmung aus. Einer Bitte des Veranstalters, die Reihen durch Sichentfernen auszudünnen, wurde nachgekommen. Neben vielem Ungereimtem und teilweise Wirrem, was da an altbekannten antikapitalistischen und revolutionärem Geraune von der Bühne schwappte, verdient die Bitte, doch einmal mit den Verantwortlichen in Politik und Wissenschaft in ein sachliches Gespräch kommen zu dürfen, durchaus Kenntnisnahme.

Mit Verboten und Gesprächsverweigerung vergrößert man nur die Zahl der Demonstrationsteilnehmer, möglicherweise bis hin zu einem kritischen Punkt. Die Arroganz der Macht ist eine Zumutung. Sie gipfelte in der Bezeichnung der Demonstranten als „Arschlöcher“ durch Innensenator Geisel und im wegwerfenden Benehmen der Kanzlerin, die bekanntlich das verfassungswidrige Verbot der Demonstration durch Geisel unterstützte,

Losungen wie „Frau Merkel – wir sind Menschen und nicht ihr Personal“ und „Neuwahlen jetzt – oder habt ihr Angst?“ sollten nachdenklich stimmen. Gefragt ist jetzt der Dialog. Freilich nicht mit denen, die versuchten in den Reichstag einzudringen, und auch nicht den Angehörigen der „jungen Nationalsozialisten“ (T-Shirt-Aufschrift), die den Polizisten zuriefen: „Komm’ her, dann verlierst Du neben Deiner Haube auch gleich noch den Kiefer.“ Für solche Leute ist die Polizei da – nicht für friedliche Bürger.

Ganz zum Schluss noch eine Anmerkung zu den Journalisten-Kollegen. Das Tragen von Mund-Nase-Masken auf öffentlichen Straßen und im Gelände ist nirgendwo vorgeschrieben, auch nicht bei Demonstrationen. Flächendeckend wurde dies aber in den Printmedien des Wochenendes behauptet. Liest denn da gar keiner der neunmalklugen und hochbezahlten Herren in den Chefetagen gegen? Oder lag es vielleicht daran, dass einfach nur Wochenende war.

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