Was man mit 16 Jahren bei uns nicht darf:
- Zigaretten rauchen
- nach Mitternacht in den Club gehen
- „Total Recall“ mit Arnold Schwarzenegger streamen
- ein Auto kaufen (noch nicht mal ein E-Mobil)
- heiraten.
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Wenn man nicht wüsste, dass Kai Wegner CDU-Mitglied ist: Man würde den Regierenden Bürgermeister von Berlin noch weniger für einen Christdemokraten halten als seinerzeit Angela Merkel.
Es ist unklar, ob der 50-Jährige überhaupt Überzeugungen hat und sie nur perfekt verbirgt, oder ob ihm außer inhaltsfreiem Machtgewinn und -erhalt tatsächlich alles egal ist. Jedenfalls macht der Mann, der mit einem überraschend konservativen Wahlkampf die Mehrheit holte, jetzt noch überraschender eine so linke Politik, dass selbst die Grünen daran nichts aussetzen können (außer, dass sie derzeit keinen dieser lukrativen Senatorenposten besetzen).
Und Wegner macht Tempo. Das nächste Wahnsinnsprojekt, das er im Koalitionsvertrag mit der arg gerupften Berliner SPD akzeptierte, hat der Senat jetzt auf den Weg gebracht: Das Wahlalter in der Hauptstadt soll von 18 auf 16 Jahre gesenkt werden.
Bei Wahlen zum Europaparlament und zu den Stadtteilparlamenten – den sogenannten Bezirksverordnetenversammlungen – können 16-Jährige schon abstimmen. Künftig sollen sie dann auch bei den Wahlen zum Berliner Landesparlament (dem Abgeordnetenhaus) mitmachen dürfen. Nach Baden-Württemberg, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein soll Berlin das siebte Bundesland werden, in dem Jugendliche schon ab dem vollendeten 16. Lebensjahr bei Landtagswahlen stimmberechtigt sind.
Das widerspricht diametral dem Eigeninteresse der Christdemokraten in der Hauptstadt – und dem gesunden Menschenverstand sowieso.
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Der Senat hat ausgerechnet, dass sich die Zahl der Stimmberechtigten bei Abgeordnetenhauswahlen (und damit auch bei Volksentscheiden) von zuletzt 2,44 Millionen um etwa 50.000 erhöht, wenn dann auch 16- und 17-jährige deutsche Staatsbürger mitwählen dürfen.
Was allerdings die Berliner CDU – die Wegner gerade als ihren Vorsitzenden bestätigte – davon haben sollte, bleibt völlig rätselhaft.
Bei den jüngsten Wählern lag die Union zuletzt mit einem Stimmenanteil von gerade einmal zwölf Prozent weit abgeschlagen hinter den Grünen (22 %) und der Linkspartei (18 %). Dass ausgerechnet bei den 16- und 17-Jährigen der Zuspruch für die CDU dann signifikant größer sein könnte, glaubt tatsächlich niemand.
Noch düsterer sieht es für die Union aus, wenn man ihr Erstwähler-Ergebnis bei der Bundestagswahl 2021 analysiert: Da lag die CDU mit kümmerlichen zehn Prozent nur auf Platz vier, hinter FDP und Grünen (jeweils 23 %) und der SPD (15 %).
Rein rechnerisch ist klar: Ein niedriges Wahlalter schwächt die Union und stärkt ihre Konkurrenz – im Bund wie in Berlin.
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Eklatanter als Wegners Geisterfahrt gegen die eigenen Interessen ist seine Missachtung der gesellschaftlichen Verantwortung, die erwachsene Menschen haben (in einer funktionierenden Gesellschaft jedenfalls) und die Jugendliche eben noch nicht haben. Und auch noch nicht haben sollten.
Im Alter von 14 bis 17 Jahren ist man im Auge des Gesetzgebers ein Jugendlicher, für den zum Beispiel immer Jugendstrafrecht anzuwenden ist. Die volle Strafmündigkeit eines Menschen beginnt überhaupt erst mit dessen 18. Geburtstag. Das Erwachsenenstrafrecht greift verpflichtend sogar erst ab 21.
Und das alles hat gute Gründe.
Minderjährige sind ja nicht willkürlich nicht (oder nicht voll) strafmündig bzw. geschäftsfähig und durften bisher auch noch nicht wählen. Die Entwicklung unseres präfrontalen Kortex – enorm wichtig für soziale Entscheidungsprozesse sowie für die Ich-Entwicklung – ist erst im Alter von etwa 24 Jahren abgeschlossen.
Das freilich verschweigen all die Verfechter einer Herabsetzung des Wahlalters gerne – wenn sie es denn überhaupt wissen.
Den mündigen Bürger, von dem unser Grundgesetz spricht, zeichnet unter anderem aus, dass man von ihm erwartet, bewusste Entscheidungen zu treffen und für deren Folgen geradezustehen. Dabei geht es nicht darum, dass jeder Bürger das auch tatsächlich immer TUT – sondern darum, dass ein Bürger es auch tatsächlich tun KANN.
Jugendliche – dabei ist es egal, ob sie 16 oder 17 sind – können das nicht. Biologisch, physiologisch, psychologisch: Sie können es nicht, noch nicht.
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Offenbar haben sich in der Berliner CDU noch Restbestände von gesundem Menschenverstand gehalten. Jedenfalls ist der Partei – trotz des bedenkenlosen Vorpreschens ihres Top-Mannes Kai Wegner – erkennbar nicht ganz wohl bei der ganzen Sache mit dem Wahlalter.
Um den Bedenken der Basis Rechnung zu tragen, ohne gleichzeitig den eigenen Vorturner zu beschädigen, ist der Hauptstadt-Union das eingefallen, was ihr in solchen Fällen immer einfällt: ein fauler Kompromiss.
Künftig sollen die Berliner zwar mit 16 wählen – aber, wie bisher, erst mit 18 gewählt werden dürfen.
Weshalb man für das passive Wahlrecht nun älter sein muss als für das aktive, kann überhaupt nur jemand verstehen, der mit den verschlungenen Pfaden parteiinterner Entscheidungsfindung vertraut ist. Denn außer der CDU-Macharithmetik gibt es für diese kuriose Regelung keine sachliche Begründung. Keine.
In Berlin sollen offenbar nicht nur Kinder wählen. Es sind auch schon Kinder an der Macht.
Übrigens wollen die ach so kritischen Berliner CDU-Kreise ihre Zustimmung zur Senkung des Wahlalters von einer „Initiative zur Stärkung der politischen Bildung für Jugendliche“ abhängig machen. Die sieht so aus: Schüler sollen mindestens einmal in ihrer Schulkarriere ein Parlament besucht haben. Das war’s.
Keine Pointe.
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Bisher wollen CDU und SPD die Senkung des Wahlalters mit einem Trick durch das Abgeordnetenhaus boxen, für den sie nicht auf die Stimmen der Opposition angewiesen sind. Für eine Änderung der Berliner Landesverfassung bräuchte es eine Zwei-Drittel-Mehrheit, und die haben Union und Sozialdemokraten seit den letzten Wahlen auch zusammen nicht.
Allerdings ist von den Kritikern nur die AfD gegen eine Absenkung. Grüne und „Linke“ finden die Senatspläne dagegen nicht konsequent genug.
Vor allem die beiden Co-Fraktionschefs der „Linken“, Anne Helm und Carsten Schatz, kritisieren das Wahlrechtsprojekt. Der Senat offenbare damit „eine paternalistische Herangehensweise, in der Erwachsene sich anmaßen, die Fähigkeit Jugendlicher zu beurteilen, politische Entscheidungen zu treffen.“
Wenn Sie bisher gedacht hatten, es sei die ureigene natürliche Lebensverantwortung von Erwachsenen, die Fähigkeiten von Jugendlichen zu beurteilen – falsch gedacht.
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Das Wahlrecht ist das wichtigste Bürgerrecht überhaupt. Es unterscheidet den Bürger vom Untertanen.
Zu Bürgerrechten gehören Bürgerpflichten. Man muss in der Lage sein, die volle Verantwortung für sich (und andere) zu übernehmen. Man muss den Ernst des Lebens kennen. Wer voll mitreden will, muss auch voll die Folgen tragen. Das Wahlrecht immer mehr nach vorne, aber das Jugendstrafrecht immer weiter nach hinten auszudehnen, entkoppelt Rechte von Pflichten und ist bestenfalls inkonsequent.
Schlimmstenfalls ruiniert es jedes Wertesystem.
„Jugendliche müssen ein Menschenbild entwickeln und eine Vorstellung von den Verhältnissen in der Welt, um sich – darauf aufbauend – politische Urteile anmaßen zu können. Wer den Unerfahrenen die Zeit dazu nimmt, indem er ihnen das vornehmste Recht in unserer Demokratie – das Wahlrecht – überträgt, wird sie mit der Verantwortung für die Ergebnisse überfordern.“
Das schreibt Moritz Eichhorn in der „Berliner Zeitung“. Er verbindet das mit einer unerhörten Idee: Warum nicht das Wahlalter, statt es zu senken, wieder auf 21 Jahre anheben – wie es in der Bundesrepublik bis 1972 war?
Ja, warum eigentlich nicht?