Berlin bekämpft die öffentliche Vermüllung mit reinlichen Appellen
Matthias Nikolaidis
In Berlin ist das Müllproblem nun staatlich anerkannt. Nur: Eine Lösung gibt es nicht, stattdessen Aufrufe an den Bürger. Teils versucht man, das „komplexe Problem“ schlicht einzuzäunen. Der Stadt fehlt es an Geld – und Ideen.
Das neue Ideal unserer Zeit ist die Reinheit – gerade ja auch bei Linken und „fortschrittlich“ gesonnenen Menschen. Nicht nur die Hals- und Nasenabstriche sollten möglichst virenrein sein, auch die Zeitungskolumnen und Online-Portale sollen ohne beschmutzende Zweifel an öffentlichen Gesundheitsmaßnahmen auskommen, und schließlich sollten auch die Talkshow-Sessel frei von Kritikern eben dieser Politik sein. Erst dann, wenn all das erfüllt ist, ist auch die Bundesrepublik auf dem Weg zu einem „fortschrittlichen“ Staat.
Wir laufen – polemisch ausgedrückt – auf eine rote, grüne, vielleicht auch gelbe Gesundheitsleitung ohne Antworten und (eventuell) Zuständigkeiten zu. Das zeigen zuerst die neuen Bundesminister, die sich mit Auskünften an Presse und Parlamentarier bewusst zurückhalten. Klarheit kann auch beunruhigen, gerade wenn eine zweifellos „fortschrittliche“ Äußerungsform vielleicht doch etwas „schmutzelt“ – wie die antifaschistischen Namensbeiträge einer Innenministerin. Oder schlicht nicht wahr war, wie beim Gesundheitsminister.
Doch wir kommen vom Thema ab: Es geht um Sauberkeit allerorten für die neue Berliner Republik. Wie steht die Hauptstadt selbst eigentlich in dieser Disziplin da? Nicht so gut, wie man es sich wünschen würde, vor allem, wo es nicht um ideologische, sondern real existierende Reinlichkeit geht. Lange vorbei sind die Zeiten, da man auf Berliner Straßen noch einen wirklichen Frühjahrsputz beobachten konnte.
Inzwischen pfeifen es die Spatzen von den Dächern: Berlin versinkt abseits einiger schöner Boulevards in seiner Mitte in Müll und Schmutz, weil immer weniger Geld für das Straßenbild da und immer weniger Anstrengung zu erkennen ist, es zu erhalten. Anstatt Bürgersteige so zu pflastern, wie es in der Gründerzeit und darüber hinaus üblich war, wird heute großflächig Asphalt verteilt. Lose Platten und Steine sind keine Seltenheit. In Berlin kommt an solche Wege ein „Vorsicht, Straßenschäden“-Zeichen. Mancherorts bildet sich wohl schon Muttererde über dem Mosaikpflaster.
Bezirksamt ruft zur freudigen Kraftanstrengung
Besonders aufgefallen war der Müll der Stadt, als die ersten Corona-Maßnahmen einsetzten und sich Jugendliche und andere mangels Alternativen in Parks die Zeit vertrieben. Das gestiegene Müllaufkommen fasste bald kein Mülleimer mehr (aktueller Werbespruch „Eimer liebt dich“). Dreckecken um die Eimer herum waren die Folge. Inzwischen hat sich dieser Zustand im Grunde verstetigt und zum gewohnten Bild verfestigt – auch weil sich das Hauptstadtland schwertut mit der Ermutigung eines normalen Ausgehverhaltens. Der Tourismus wurde gern verantwortlich gemacht – allerdings hielt die Vermüllung auch während der coronabedingten Tourismus-Flaute an. Damals wunderte sich Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann, wie schmutzig ihre Kreuzberger doch geworden waren.
Da es also nicht gut steht um die Leitung des Landes, scheint eines geraten: Verteidigung, am besten die nach vorne. So beschwert sich heute der Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf über die zunehmende „Vermüllung“ des eigenen Zuständigkeitsbereichs. Vor allem Parks und Grünanlagen seien betroffen. Auf den Schulhöfen ist das Bild eher schon „dramatisch“. Und das gehe am Ende „zu Lasten der Qualität der Anlagen“ und hat natürlich auch „sichtbare und spürbare Auswirkungen“ für die Bürger. Im Klartext: Bänke und Mülleimer werden nicht mehr repariert. Man hat auch an anderen Stellen den Eindruck, dass das Stadtmobiliar schon bessere Zeiten gesehen hat.
Das Bezirksamt ruft unterdessen zu einer „gemeinsamen Kraftanstrengung“ auf, und da Senat und Bezirke ja irgendwie schon getan haben, was sie konnten, kann sich dieser Appell nur an die Bürger selbst richten, die eben etwas besser aufpassen sollten, wo sie ihre Pizzakartons hinterlassen. Ein Pfandsystem wird ins Gespräch gebracht – aber was sollte das eigentlich bringen? Dabei hatte man doch schon im letzten Sommer allerlei Einwegverpackungen verboten. Irgendwie sind sie immer noch da.
„Müll ist hochgradig komplex“, aber einfach zu umzingeln
Könnte es sein, dass den gewählten Politikern schlicht die Ideen ausgehen, wie man eine derart florierende Start-up-Metropole regiert? Der Bezirk Mitte hatte nun eine Idee: Ein Pixi-Buch übers Ordnungsamt soll dessen Aufgaben erklären und vor allem allen, die es bisher nicht wussten, den Unterschied von Ordnungsamtlern und Polizisten erklären. Das Büchlein ist mit den kindlichen Titelfiguren „Lotta und Amir“ ordnungsgemäß bunt-divers. Milieutypisch nimmt sich auch das Problem der Kleinen aus: Sie würden gern ein Seifenkistenrennen veranstalten, aber ein Auto steht im Weg und muss abgeschleppt werden. Wertvolle Wirtschaftsgüter stören in dieser Stadt offenbar nur beim Gleichsein.
Doch viele erkennen vor allem ein mangelndes Verantwortungsgefühl für das Gemeinwesen als Grundzug und suchen die Ursachen auch bei der wachsenden und gewollten Diversität der Stadt. Nein, hier geht es nicht einfach nur um „Ausländer“ oder „illegale Zuwanderung“, vielmehr um die gewollte Fragmentarisierung, den zentrifugalen Charakter eines Gemeinwesens, der sich vermutlich in keiner deutschen Kommune deutlicher zeigt als in Berlin.
Inzwischen hat zumindest ein Bezirk eine Lösung gefunden: die Umzäunung des Mülls. Was sich nicht wegräumen lässt, wird so eben ordnungsamtlich umzingelt. Es geht um Bauschutt, für den sich die stadteigene Straßenreinigung (BSR) nicht zuständig sieht. Doch auch der mutmaßliche Verursacher bestreitet jede Schuld. Im Januar war die zuständige Stadträtin Annika Gerold (Grüne) der Meinung, dass der Müll weggeräumt sei. Wieder so eine Selbsttäuschung bei der Kreuzberger Regierungspartei … Die Bezirkssprecherin für Friedrichshain-Kreuzberg, Sara Lühmann, wusste dagegen: „Die Sache mit dem Müll ist wirklich sehr kompliziert.“ Manchmal sei Müll „eben hochgradig komplex“.
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