Die Wiederholung der vermurksten und manipulierten Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus ist ein mühsam erkämpfter Triumph der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit über die Parteien und Fraktionen: Der Senat von Berlin und das Berliner Verfassungsgericht verzögerten die Wahlwiederholung. Erst der Nachweis der massiven Fälschung durch TE brachte Bewegung ins Spiel. Dann klagten mehrere Abgeordnete, nicht zuletzt der FDP, sogar gegen die Wahlwiederholung: Zu Recht fürchten die Freien Demokraten um ihre Mandate. Die Klage war erfolglos.
Aber was ist zu tun, damit die Wiederholung nicht ebenso manipuliert wird wie die ursprüngliche Abstimmung?
Schutz vor lästigen Bürgern
Auf der Website des Landeswahlleiters für Berlin findet sich nach längerem Suchen etwas über die Öffentlichkeit der Wahl:
Die Öffentlichkeit der Wahl ist ein wichtiges Wahlrechtsprinzip. Deshalb sehen die Regelungen im Bundeswahlecht vor, dass die Wahlhandlung und die Auszählung der Wahl transparent ablaufen müssen. Es besteht für jedermann die Möglichkeit, sich von der ordnungsgemäßen Durchführung der Wahl im Wahllokal und von der Auszählung der Briefwahlergebnisse ein Bild zu machen.
Das klingt zunächst vielversprechend. Allerdings: Von Kontrolle keine Spur, der Bürger kann sich allenfalls „ein Bild“ machen. Das Versprechen wird kleiner. Und immer noch kleiner. Denn der Text geht weiter:
Diese Möglichkeit ist auf die Beobachtung beschränkt.
Wähler dürfen also nur zuschauen. Einfluss nehmen? Keine Spur. Wer nun glaubt, damit sei der Kontrolle Genüge getan, täuscht sich. Denn die Hoffnung platzt beim Weiterlesen:
Grundsätzlich gilt: Die Mitglieder des Wahlvorstands sind nicht verpflichtet, mit beobachtenden Dritten in Kontakt oder Diskussionen zu treten. Soweit möglich, sollten sie sich aber für Fragen offen zeigen. Gegebenenfalls können Missverständnisse im – kurzen – Gespräch leicht aufgeklärt werden. Das Verhalten beobachtender Dritter unterliegt Grenzen, die nicht überschritten werden dürfen.
Öffentlichkeit und Kontrolle der Wahl sind also so geregelt, dass sich der Bürger nur von der korrekten Auszählung der Stimmen überzeugen kann. Sieht er Fehler, wird er im Zweifel nicht angehört, und der Landeswahlleiter klärt darüber auf, wie der Wahlvorstand im Wahllokal mit solchen Bürger-Ansinnen umgehen kann: nicht anhören oder abbügeln. Die Wahlleiter werden vor lästigen Bürgern geschützt – nicht die Bürger vor Wahlbetrug.
Briefwahl – das schwarze Loch im Wahlrecht
Der Schreibfehler Bundeswahlecht könnte zu Interpretationen einladen, aber das lassen wir hier. Und auch diese kleine Wahrheit ist nur die Hälfte des Geschehens. Rund die Hälfte der Stimmen werden per Briefwahl abgegeben. Das war vom Gesetzgeber und vom Bundesverfassungsgericht so nicht vorgesehen; Briefwahl sollte auf Einzelfälle beschränkt werden. Zuletzt lag der Briefwahlanteil in Berlin bei 47 Prozent der abgegebenen Stimmen – ist die Auszählung aber korrekt? Der Verfassungsrechtler Ulrich Vosgerau klagt dagegen – denn wenn der Einzelfall, kaum kontrolliert, weil unbedeutend in der Menge, zum Regelfall wird, müsste die Kontrolle verbessert werden. Für freiwillige Beobachter und besorgte Bürger besteht also keine Chance, die fragliche Hälfte der Briefabstimmung zu kontrollieren.
Wie macht sich der Bürger von der ordnungsgemäßen Durchführung der Wahl im Wahllokal und von der Auszählung der Briefwahlergebnisse ein Bild, wenn diese Möglichkeit auf die Beobachtung beschränkt ist? Dem Bürger gibt der Landeswahlleiter keine Information, wie er sich in der Wirklichkeit von der ordnungsgemäßen Durchführung der Wahl im Wahllokal und von der Auszählung der Briefwahlergebnisse überzeugen kann.
Dem Wahlvorstand gibt er vielmehr eine Generalvollmacht zur Verhinderung mit den Sätzen:
- Diese Möglichkeit ist auf die Beobachtung beschränkt.
- Die Mitglieder des Wahlvorstands sind nicht verpflichtet, mit beobachtenden Dritten in Kontakt oder Diskussionen zu treten.
- Das Verhalten beobachtender Dritter unterliegt Grenzen, die nicht überschritten werden dürfen.
Die Beobachtung der „Auszählung“ beginnt am Wahltag nach den Erfahrungen unseres langjährigen Experten bei der Urnenwahl ab 18.00 Uhr und der Briefwahl etwa ab 15.00 Uhr. Die Wahlvorstände bereiten die Auszählung der Briefwahlstimmen vor, um sie dann nach 18.00 Uhr in gleicher Besetzung auszuzählen. Wie das in jedem der 78 Berliner Wahlbezirke (Stimmbezirke) organisiert wird, kann jeder Bürger beim Bezirksamt erfragen. Ob die räumlichen Gegebenheiten und die Praxis der Wahlvorstände dort so sind, dass eine Beobachtung der Auszählung möglich ist, wäre die erste Information an TE.
Ob die Mitglieder des Wahlvorstands Fragen beantworteten, auf Einwände eingingen, ob es und zu welchen Auffälligkeiten kam, wären die nächsten Informationen an TE.
TE wird allen Einwänden nachgehen.
Schon jetzt sind Zweifel an der ordnungsgemäßen Durchführung der Wahl gegeben.
So schreibt uns ein Leser: Hallo Herr Tichy, gestern Abend in gemütlicher Runde haben zwei Freunde erzählt, dass sie ihre Berliner Wahlbenachrichtigung 2x erhalten haben. Als Wähler der Grünen haben sie bereits Briefwahl gemacht und reden davon, (vermutlich) mit der 2. Benachrichtigung am Wahltag ins Wahlbüro zu gehen. Sie wohnen in einem Schöneberger Gründerzeitbau und sind in dem Haus sicher nicht die einzigen, mit diesem Behördenversagen.
Das wäre nun ein dreistes Vorgehen. Aber einfacher wäre eine Manipulation beim Auszählen der brieflich eingegangenen Stimmen. Bereits 2018 äußerte Professor Jochen Renz in einer langen und ausführlichen, vierteiligen Beitragsserie Bedenken wegen mangelnder Transparenz bei der Auszählung. Dabei analysierte er auch seltsame Anomalien bei den Ergebnissen mehrer Wahlen. Bleibt ein betrübliches Fazit: Eine Überprüfung, ob die Wahlen ordnungsgemäß durchgeführt werden, ist unmöglich – weder bei der Urnenwahl noch bei der Briefwahl.
In eigener Sache: Roland Tichy, Herausgeber von TE, hat eine Initiative gegründet, um die Wiederholung der Bundestagswahl in allen Berliner Bezirken einzuklagen. Die Klage vor dem Bundesverfassungsgericht wird von Verfassungsrechtler Ulrich Vosgerau im Namen von zwei Tichys-Einblick-Lesern geführt. Die Finanzierung hat „Atlas – Initiative für Recht und Freiheit“ übernommen.
Die von TE eingereichte Wahlprüfungsbeschwerde ist dem Bundesverfassungsgericht am 5. Januar per Fax und am 7. Januar per Brief zugegangen. Am Donnerstag, dem 26. Januar, hat das Gericht den fristgerechten Eingang bestätigt und der Beschwerde ein Aktenzeichen (2 BvC 15/23) gegeben.
Unterstützen Sie bitte die Öffentlichkeitsarbeit dieses Vorhabens: Für Spenden haben wir bei der Commerzbank Köln das Konto mit der IBAN DE14 3704 0044 0543 2000 02 eingerichtet (Empfänger: TE Sonderkonto Rechtsstreitigkeiten).