Tichys Einblick
Nach dem Lockdown sitzen bleiben

Berlin – auf dem Weg ins Paradies der neuen Urgemeinschaft

Das, was die 68er nicht geschafft haben, wollen ihre Nachfolger nun mithilfe der Angst vor dem Virustod und drohenden Sahara-Temperaturen doch noch erreichen: eine Art Urgemeinschaft, finanziert von bösen Reichen. Berlin ist auf dem Weg schon besonders weit.

Die Friedrichstraße in Berlin

IMAGO / Christian Spicker

Rein in den Lockdown – und die meisten Deutschen folgen willig wie immer. Dann endlich – wieder raus aus dem Lockdown. Kurze Atempause bei verhaltener Freude. Denn das Virus und seine Kindeskinder wollen einfach nicht so, wie unsere allabendlichen Fernsehgäste Wieler, Drosten, Lauterbach und immer wieder Altmaier es wollen. Doch, kokette Frage: Wollen sie es wirklich? Zu schön ist doch die Zeit der Krise, in der man stets als Retter und Weiser zugleich das Geschehen bestimmt, dazu noch ausgestattet mit nahezu unbegrenzter Macht. Wieder steigen die Zahlen und wieder geht es, koste es was es wolle, in den nächsten Lockdown. Das Spiel geht so lange, bis auch dem letzten konsumabhängigen Wesen von gestern klargeworden ist, dass doch eigentlich diese kapitalistisch-materialistische und auf Effizienz getrimmte Gesellschaft die wirkliche Bedrohung für unsere Existenz ist.

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Eine Erkenntnis, die jedem Menschen angesichts der drohenden Klimakatastrophe längst eine Selbstverständlichkeit sein müsste. Das, was die 68er nicht geschafft haben, kommt jetzt fast automatisch. Plötzlich werden die dummen Konsumidioten aus Angst vor dem Virustod und den drohenden Sahara-Temperaturen selbst zu Maschinenstürmern auf dem Weg zurück zur Urgemeinschaft. Auf die Wenigen, die es immer noch nicht begreifen wollen, kann dann wirklich keine Rücksicht mehr genommen werden. Sie müssen halt umerzogen werden, so wie es gerade die chinesischen Kommunisten mit den Uiguren so einfühlsam vormachen. Wo gehobelt wird, fallen bekanntlich auch Späne!

Wer jetzt meint, dies seien Hirngespinste eines alten weißen Mannes, den muss ich leider enttäuschen. Unser aller „Mutti“, Kanzlerin Merkel, lud erst unlängst Unterzeichner und Verfasser einer Petition unter dem Titel „#ZeroCovid: Für einen solidarischen europäischen Shutdown“ in ihre geheime und exklusive Beraterrunde ein. Das von der Crème de la crème der linken Kulturschickeria verfasste oder unterschriebene Pamphlet empfiehlt nicht weniger als die „komplette Stilllegung des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens“. Privates Eigentum und folglich Unternehmer gibt es dann nicht mehr, das Leben verläuft in einfachen, dafür aber humanitären und spielerischen Formen. Natürlich gibt es in dieser Welt keine Autos und sonstigen „Luxus“. Geld zum Finanzieren dieses paradiesischen „Narrative“, so die Verfasser*innen, sei ja genug da. Man müsse es sich nur holen. Bei wem, ist auch klar – natürlich bei den „Reichen“. Diese, so heißt es, hätten sich den angehäuften Reichtum angeeignet. Mit ihrer Kohle seien die umfassende Arbeitspause und alle solidarischen Maßnahmen problemlos finanzierbar.

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Möglicherweise war von diesen Träumen die Kanzlerrunde so fasziniert, dass sie darüber wichtige Aspekte bei der Beschaffung des Anti-Corona-Impfstoffs, wie Liefermenge und Zeitpunkt, in den Verhandlungen mit den Haien der Pharmaindustrie aus den Augen verloren hat. Aber wie entgegnen doch Merkel und Spahn jeder Kritik immer wieder: Lasst uns doch nicht über das Gestern reden, die großen Herausforderungen stehen uns noch bevor. Am Ende wird aber alles gut. Noch frisst der deutsche Michel folgsam und stoisch solche intellektuellen Selbstentblößungen, doch, wie die Umfragen zeigen, scheint er langsam nachdenklich zu werden.

Schon ein gutes Stück voran auf dem neuen Weg ist die Hauptstadt Berlin. Die wird nämlich gerade zur autofreien Stadt umgerüstet. Ein besonderer Höhepunkt muss es für die fortschrittlichen „Roten Garden“ gewesen sein, jetzt den Tod der Friedrichstraße, der legendären Showmeile der Zwanziger Jahre, endgültig zu verkünden. Bereits seit August ist der größte Teil des Boulevards vom Autoverkehr befreit. Die erwartete begeisterte Völkerwanderung der Berliner blieb allerdings aus. Die Fußgängerzone wurde vor allen Dingen von aggressiv auftretenden Bettler*innen, fahrenden und musizierenden Gesell*innen und sonstigen erkennbar nicht Kauflustigen bevölkert. Kein Wunder, dass innerhalb kurzer Zeit die meisten Nobelboutiquen die Jalousien für immer herunterließen.

Früher hieß es mal, Berlin hat drei große Prachtstraßen: den Kurfürstendamm als Kaufstraße im Westen, „Unter den Linden“ als präsentable Laufstraße in Mitte, und schließlich die Friedrichstraße im Osten als Saufstraße mit 136 Kneipen, Bars, Varietés, schnuckeligen Läden und Bordellen. Heute fühlt sich der „Metropolen-Besucher“ eher an die heruntergekommene Tristesse ehemaliger Goldgräberstädte im Westen der USA erinnert als an ein touristisches Highlight der Stadt Berlin.

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Wie weit das Großstadtgefühl herunter gekommen sein muss, zeigt sich darin, dass Berlins größte Boulevardzeitung, die bei Springer erscheinende BZ, diese Entwicklung ausdrücklich lobt und das für die Zukunft der Straße entwickelte Konzept einer Mischung von kleinen Läden, Stadt-Möbeln zum Verweilen und dies mit Produkten, die sich auch der normale Berliner leisten könne, wie z. B. „Hanf“. Sicher wird dann auch ein veganes Kochstudio, eine Kräuterstube und ein Nachhilfecenter für Gendersprache dazukommen. Oder wie wäre es, wenn man das im äußersten Westen Berlins gelegene germanische Museumsdorf Düppel auch dorthin verpflanzen würde. Da ja alle Bürger grenzenlos Freizeit besitzen, könnte man dort bei Met und gegrillten Tannenzäpfchen stundenlang über die schlimmen Zeiten des vergangenen kapitalistischen Konsumterrors palavern.

Einen Typus Mensch wird man aber dort vergeblich suchen: All die nämlich, die von Betulichkeit, Entschleunigung und Gleichheitswahn nichts halten, sondern deren Lebenssinn durch Kreativität, Leistungsbereitschaft und Individualität, verbunden mit optimistischer Lebensfreude in Freiheit definiert wird.

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