Tichys Einblick
Aus Politik- wird Politiker-Verdrossenheit

Instinktlos: Berliner Abgeordneten-Diäten steigen 2025 um monatlich 435 Euro

Laut Parlamentsverwaltung werden die „Entschädigungen“ angepasst. Welchen Schaden haben die Berliner Abgeordneten erlitten, für den sie „ent-schädigt“ werden müssten? Oder ist hier in Orwellscher Umkehrung der Semantik gemeint, dass sie für den Schaden belohnt werden, den sie am Volk angerichtet haben?

picture alliance/dpa | Sebastian Gollnow

(Un-)Passend zum Nikolaus-Tag gönnen sich Berlins 159 (Landes-)Abgeordnete am 6. Dezember 2024 einen kräftigen Schluck aus der Pulle: Ab 2025 steigen ihre Diäten um 6 Prozent. In Euro und Cent heißt das: von monatlich 7.249 auf 7.684 Euro brutto. Die Parlamentsverwaltung schreibt dazu aktuell: „Die Entschädigungen werden an die Verdienstentwicklung angepasst. Maßstab dafür ist der auf Berlin bezogene Nominal-Lohn-Index. Dieser ist laut Mitteilung des Amts für Statistik um 6 Prozent gestiegen.“ Dieser (automatischen) Erhöhung der „Entschädigungen“ für 2025 gingen andere voraus. 2021 gab es ein Plus von 1,9 Prozent, 2022 von 3,8 Prozent, 2023 von 4,9 Prozent.

„Entschädigungen“ klingt gut. Allerdings stellt sich die Frage: Welchen Schaden haben die Abgeordneten erlitten, für den sie „ent-schädigt“ werden müssten? Oder ist hier in Orwellscher Umkehrung der Semantik gemeint, dass sie für den Schaden belohnt werden, den sie am Volk angerichtet haben?

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Auch die steuerfreie Kostenpauschale für Büro und Fahrtkosten wird an die Entwicklung der Verbraucherpreise angepasst, sie steigt um 1,4 Prozent auf 3.229 Euro. In der Summe ergibt das für Diäten + Kostenpauschale: 7.684 + 3.229 = 10.913 Euro. Die 3.229 Euro werden voll ausgezahlt, wenn ein Abgeordneter ein eigenes Wahlkreisbüro unterhält – und zwar außerhalb des Parlaments (das ist der ehemalige Preußische Landtag). Teilen sich mehrere Abgeordnete Räume, sinkt die Summe um 150 Euro. Wer kein externes Büro unterhält, bekommt 2.229 Euro/netto – also keinen Mietanteil.

Für die Mitarbeiter der Abgeordneten steigen die Gelder allerdings vorerst nicht. Es bleibt je „Mitglied des Abgeordnetenhauses“ (MdA) bei 7.325 Euro monatlich, die auf bis zu vier (Teilzeit-)Mitarbeiter aufgeteilt werden können. Die üblichen Tariferhöhungen im öffentlichen Dienst werden bei ihnen erst 2026 berücksichtigt, wenn die Tarifanpassungen im öffentlichen Dienst greifen. In der Berliner Regionalpresse ist all das natürlich ein Thema (siehe hier und hier).

Nun ja: Man könnte fragen: 435 Euro/Monat x 12 Monate x 159 Abgeordnete = 829.980 Euro. Was ist das schon in Relation zum Berliner Doppelhaushalt 2024/2025 mit einem Volumen von 39.281 Mio. Euro für 2024 und 40.506 Mio. Euro für 2025? Da machen die Diäten gerade eben 0,002 Prozent aus. Und: Das Berliner Abgeordnetenhaus streitet derzeit über 3-Milliarden-Einsparungen für 2025. Selbst daran gemessen, reduzierte sich das 3-Milliarden-Loch bei einem Verzicht auf ein „Entschädigungs“-Plus von 829.980 Euro nur um 0,03 Prozent.

Stimmt, rechnerisch. ABER: In Zeiten der Inflation, der steigenden Arbeitslosigkeit, der wachsenden Altersarmut, maroder Schulen, eines maroden Verkehrssystems usw. ist ein Plus an 829.980 Euro für Abgeordneten-„Entschädigungen“ für den Bürger „Normalo“ kein Klacks. Deshalb ist diese Erhöhung instinktlos, sie ist abgehoben. Will sagen: Die politische Elite – eigentlich der De-facto-Arbeitnehmer des Volkes – hat die Bodenhaftung verloren.

Verzicht auf Diäten-Erhöhung war nicht gewollt

Anfang November 2024 hatte die AfD (sie stellt 16 der 159 Abgeordneten) versucht, eine Mehrheit für einen Verzicht auf die Erhöhung zu finden. „In einer Zeit, in der ganz Berlin sparen muss, wäre es angebracht, ein Zeichen zu setzen“, so Fraktionschefin Kristin Brinker (52) in der Debatte. Alle anderen Parteien lehnten den Vorstoß als „Heuchelei“ ab – Demokratie koste eben auch Geld.

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Nun ja, man weiß nicht, ob der AfD-Antrag aus Selbstlosigkeit kam oder aus taktisch-populistischem Kalkül. Populistisch im positiven Sinn des Wortes war der Antrag schon. Denn „populistisch“ heißt: Am „populus“, am Volksempfinden orientiert. Und dieses kocht – oder es wendet sich von der Politik und zumal von den Politikern ab. Aus Politik-Verdrossenheit ist längst Politiker-Verdrossenheit geworden.

Letztere schlägt sich in der Wahlbeteiligung nieder. Berlin hatte bei der Wahl zum Landesparlament vom 26. September 2021 eine Wahlbeteiligung von 75,4 Prozent. Das war hoch, weil diese Wahl am gleichen Tag wie die Wahl zum Bundestag stattfand. Allerdings wurde die Wahl zum Berliner Landesparlament wegen extremer Unregelmäßigkeiten für ungültig erklärt. Vor allem TE hatte das Wahl-Desaster aufgedeckt. Die Wiederholungswahl fand am 12. Februar 2023 statt. Hier war die Wahlbeteiligung nur noch magere 63 Prozent. In Worten: Mehr als ein Drittel der Wahlberechtigten blieb der Wahl fern. Kein gutes Zeichen für eine Demokratie!

Braucht Berlin ein Landesparlament mit 159 Abgeordneten?

Man darf schon einmal fragen: Warum braucht Berlin ein Landesparlament mit 159 Abgeordneten? Berlin steht hinsichtlich Einwohnerzahl unter allen 16 deutschen Ländern mit 3,780 Millionen auf Platz 8. Neben Berlin liegen mit 4,0 Millionen Sachsen und mit 2,9 Millionen Schleswig-Holstein. Sachsen hat 120 Landtagsabgeordnete, Schleswig-Holstein 69. Und: Berlin ist hinsichtlich Einwohnerzahl zwar nur das achtgrößte der 16 deutschen Länder, aber es hat nach Bayern (203 MdL) und NRW (195 MdL) mit 159 Abgeordneten die drittmeisten. Das hinsichtlich Bevölkerung im Vergleich mit Berlin exakt dreimal größere Baden-Württemberg (11,34 Millionen) hat 154 Abgeordnete

An der Höhe der Berliner Grunddiäten liegt es nicht. Diese bewegt sich mit monatlich 7.684 Euro im Bereich des Durchschnitts der deutschen Landesparlamente. Noch einmal die drei anderen genannten deutschen Länder zum Vergleich: Die Grund-Diät in Sachsen beträgt 6.954 Euro, in Baden-Württemberg 8.878 Euro, in Schleswig-Holstein (hier werden allerdings keine weiteren Pauschalen bezahlt) 10.042 Euro.

Was bleibt? Erneut hat sich die Politik vom Volk emanzipiert. Oder wie der Kommunist Bert Brecht wenige Wochen nach dem Arbeiteraufstand vom 17. Juni 1953 in der DDR in einem Gedicht schrieb: „Das Volk hat das Vertrauen der Regierung verscherzt. Wäre es da nicht doch einfacher, die Regierung löste das Volk auf und wählte ein anderes?“


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