Tichys Einblick
Farewell

„Bento“ ist nicht mehr – Trauerrede auf eine tapfere Kämpferin für Gerechtigkeit

Das Magazin des Spiegel-Verlages für junge Leser brachte es fertig, selbst dort Krisen zu bewältigen, wo keine waren. Es hatte nur wenige Leser, aber unsere Autorin gehörte dazu. Denn Bento gab als Inbegriff der linken Verwirrtheit politische Orientierung...

Dass der Spiegel im Juni bekannt gab, sein Nachwuchs-Onlinemagazin Bento im Herbst einzustellen, dürfte schon bekannt sein. Ich bekenne hier: Ich habe Bento – diesen Inbegriff der linken Verwirrtheit – geliebt. Das Magazin hatte als große Schwester von „Dein Spiegel“, dem Magazin für Kinder, den Auftrag, Journalismus für junge Erwachsene zu machen – Zielgruppe vom Teenageralter bis in die Dreißiger. Während der Spiegel sonst sehr bedacht ist auf ein seriöses Image, hat die Bento das von vornherein abgelegt, das schwarze Schaf der Familie also. Der Misserfolg von Bento zeigt nun, dass der Bedarf an Plädoyers für die Polygamie  und an Erfahrungsberichten über Alltagsrassimus oder -sexismus doch geringer ist, als man im Spiegel-Verlag dachte.

Während die meisten meiner Leser die Bento vermutlich nur beiläufig aus Schilderung und Verrissen kennen, habe ich eine etwas längere und innigere Beziehung zu ihr. Im Grunde ist meine ganze Karriere als Nachwuchshetzerin von ihr gezeichnet. Deshalb, liebe Trauergemeinde, erlaube ich es mir, eine kleine Trauerrede zu halten – heute, wenige Tage nach dem tatsächlichen Ableben am 28.09.2020. Auch wenn die schlechte Verfassung der inzwischen Verblichenen nun schon einige Monate bekannt war, und ich diesen Tag habe kommen sehen, kann ich noch nicht ganz realisieren, was passiert ist, und was das für die Zukunft bedeutet.

Ich habe die Bento kennengelernt, bevor ich überhaupt politisch und journalistisch aktiv war. Damals war ich in der 10. Klasse und in der ersten Stunde Politik und Wirtschaft mit einem neuen Lehrer. Der kündigte an, dass er eine Liste rumgehen lassen würde, auf die wir alle unsere E-Mail Adressen schreiben sollen. Das tat er, damit er uns jederzeit, wenn die Bento einen politisch interessanten Artikel veröffentlicht, darauf hinweisen könnte. In der nächsten Stunde würde er uns über unsere Bento-Kenntnisse abfragen, um sicherzugehen, dass wir den Artikel auch wirklich gelesen und verinnerlicht hatten. Als ich hörte, dass die Bento sowas wie der Spiegel nur “cooler und jugendlicher” wäre, vergaß ich meine E-Mail-Adresse leider ganz spontan und so musste der Bento-Verteiler unserer Klasse wohl oder übel ohne mich auskommen.

Zeit zum Lesen
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Mein Politiklehrer – dessen vegane Tochter übrigens Gender Studies studiert (kein Scherz) – zeigte Verständnis, ich solle mir die Infos einfach von meinen Klassenkameraden holen. Auch das tat ich nie. Trotzdem konnte ich alle Fragen meines Lehrers beantworten, meist sogar besser und ausführlicher als die anderen. Was da drin steht, weiß man einfach, ohne es gelesen zu haben. Es gab also von Anfang an eine Verbindung, unsere Art zu denken scheint sich ergänzt zu haben. Seelenverwandtschaft könnte man es nennen.

Das nächste und wahrscheinlich wichtigste zentrale Erlebnis, das die Bento und mich näher zusammengebracht hat, war mein allererster Artikel. Damals suchte ich nach einem Thema, das für mich besonders wichtig ist, und nach einer Möglichkeit, meinen Standpunkt möglichst klar zum Ausdruck zu bringen. Dass das Thema Feminismus werden würde, war mir schnell klar, doch wie sollte ich das Ganze aufziehen? Was sollte der aktuelle Bezug meines Artikels werden? Feminismus ist ein weites, umfassendes Thema, und um nicht im „Was-ich-immer-schon-mal-sagen-wollte-bla bla bla-dieser-Text-hat-10.000-Wörter-und-das-ist-erst-Teil 1“-Stil zu enden, brauchte ich ein konkretes Beispiel. Dann hallten die weisen Worte meines Politiklehrers in meinem Kopf wider, und ich versuchte mein Glück bei der Bento. Und ohne groß suchen zu müssen, wurde ich schnell fündig. In dem Artikel „Ist es schlimm, als Frau über sexistische Witze zu lachen?“ wurden Frauen damals aufgefordert, vor dem Lachen über Machowitze doch mal über gesellschaftliche Strukturen nachzudenken, um sich nicht selbst zu diskriminieren. Das war die Bento, wie sie in Erinnerung bleiben wird, und für mich war klar, dass das Schicksal uns zusammengeführt haben muss.

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Von da an las ich die Bento regelmäßig. Das, was zwischen uns war, war etwas ganz Besonderes, eine Freundschaft wie keine zweite. Immer, wenn mir nichts neues für einen Artikel eingefallen ist, habe ich bei ihr zuverlässig Inspiration gefunden. Wenn ich mal an meiner politischen Einstellung gezweifelt habe, brachte sie mich wieder auf Kurs. Bei Unterhaltungen konnte ich unangenehme Stille vermeiden, weil es zu jedem Thema einen passenden Bento-Artikel gab, mit dem man die Stimmung heben konnte. Mit meinen Bento-Kenntnissen konnte ich sogar schon einmal Henryk M. Broder zum Lachen bringen.

Bento verstand es einfach, Menschen ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern. Wo sie war, da war Lachen zu vernehmen. Außerdem wusste sie in jeglicher Situation, was zu tun ist. In Krisensituationen konnte man sich darauf verlassen: Die Bento weiß, worauf es jetzt wirklich ankommt. So zum Beispiel am Anfang der Corona-Krise im Frühjahr. Das Land war gespalten, in Panik vor der Krankheit und Panik vor den Maßnahmen, Toilettenpapier war ausverkauft, die Dosensuppenindustrie boomte, ein ganzes Land war lahm gelegt. In dieser Stunde der Not, des Chaos und der Verwirrtheit, wandte ich mich an die Bento. Und ihre Antwort war: Das Schicksal der Prostituierten hat jetzt Priorität. Mehrere investigative Artikel über das Leben von Prostituierten zu Coronazeiten waren ihre erste Herzensangelegenheit. Damit und mit Artikeln wie „Küssen nur bei Sympathie“ beweist sie – weise wie nur sie es konnte – dass Liebe, auch wenn sie gekauft ist, mächtiger ist als der Tod.

Diese Weisheit ist typisch für die Bento. Nicht nur zu Grundsatzthemen, die uns alle betreffen, wie die Forderung nach einer geschlechtergemischten Fußball WM. Sie hatte auch ein Talent dafür, diese Weisheit auf den ganz normalen Alltag anzuwenden. Sie hatte eine wahre Gabe dafür, auf unterschiedlichste Weisen zu kommunizieren. So war sie es, die mich über die unglaublichen Ausmaße des Alltagsrassismus aufgeklärt hat – über das Format „Mic Drop“. Das sind kleine Videos, in denen Bento-Autoren mal richtig ihre Meinung sagen und am Ende dann ein Mikrofon fallen lassen, so wie Barack Obama es einmal nach einer Rede getan hat. Das zeigte wieder mal, wie cool und hip die Bento war.

So lernte ich zum Beispiel in dem vierminütigen Video „Finger weg von meinem Afro“, dass die Frage an Menschen mit Afro, ob man mal die Haare anfassen dürfe (weil man sie so toll findet), rassistisch ist. Über diesen Alltagsrassismus war ich mir vorher gar nicht im Klaren. Ich bin seit meiner Kindergartenzeit immer die mit dem längsten Haar gewesen, und daher bin ich es seit jeher gewöhnt, dass andere meine Haare anfassen, verwuscheln oder flechten wollen und das auch teilweise ungefragt tun. Nur habe ich glattes Haar und bin europäischer Abstammung, daher ist das nicht der Rede wert. Wenn es mich stört, werde ich das wohl einfach zum Ausdruck bringen. Bei Menschen mit afrikanischen Wurzeln dagegen wird es zum rassistischen Problem. Sowas lernt man nur von der Bento. Und nicht nur Artikel und Videos gehörten zu ihrem Programm. Sie verstand sich sogar auf das Erstellen von Quizzen. So entstand zum Beispiel das Quiz „Welcher Bürgerkrieg bist du?“
Bento hatte einfach die Gabe, die wirklich wichtigen Fragen im Leben zu stellen.

Und doch musste sie von uns scheiden und kehrt nun in die Arme ihres Schöpfers – also des Spiegels – zurück. Ich hatte am Ende den Eindruck, dass mein Politiklehrer, seine Schüler und ich die Bento als letzte Leser noch am Leben gehalten haben. Und da mein Lehrer nun in Rente ist … Ganz ohne Leser geht es eben auch für ein freies Magazin, das sich gegen die bösen Wirkungen der Marktwirtschaft und des Profits wehrt, nicht.

Und nun ist es vorbei. Die Maschinen sind abgestellt, Autoren und Redakteure haben sich zum Spiegel gerettet. Zurück bleibt nur die Erinnerung an eine tapfere Kriegerin für die Gerechtigkeit, die selbst dort Krisen bewältigte, wo keine waren. Und mir bleibt wohl nichts anderes übrig, als mir ein neues Stammjugendmagazin zu suchen, über das ich schamlos herziehen kann. Die ze.tt zum Beispiel steht mit Texten wie „Rassismus in deutschen Behörden: Warum Fotoautomaten keine Schwarzen Menschen fotografieren können“ und „Lipödem, Schweißgeruch, Behaarung: Worüber ihr euch im Sommer viel zu viele Gedanken macht“ ganz oben auf meiner Liste. Aber das wird einfach nie das Gleiche sein. Also, lebe wohl, meine geliebte Bento, mein Lieblings-Elite-Journalismus. Für mich wirst du immer etwas ganz Besonderes bleiben.


Elisa David, 19 Jahre, Chefin vom Dienst bei Apollo-News

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