Tichys Einblick

Beispiel von der Leyen: Die Gründe für eine Abberufung häufen sich

„Lame duck“ Merkel: Für Personalpolitik hat sie keine Kraft mehr.

Tobias Schwarz/AFP/Getty Images

Kanzlerin Merkel kriegt personalpolitisch nichts mehr gebacken. Die einstige „Königin von Europa“ und angeblich „Mächtigste Frau der Welt“ muss auf EU-Ebene zusehen, wie andere den Ton abgeben. Aber das ist gar nicht mal so neu. Merkel hat es in 14 Jahren Kanzlerschaft nicht geschafft, auch nur einen einzigen international herausgehobenen Posten mit einem/einer Deutschen zu besetzen: Es gab für Deutschland keinen führenden Job in der EU-Kommission, im EU-Rat, in der EZB, im Internationalen Währungsfonds, in der Weltbank, im Gerichtshof der EU.

Erneut Rüge des Bundesrechnungshofs
Von der Leyen vergab rechtswidrig millionenschwere Beraterverträge
Nicht einmal für notwendige und längst überfällige Umbildungen im eigenen Kabinett hat Merkel noch die Kraft. Ausfälle, wohin man schaut, weil die wenigsten CDU/CSU-Minister auf die Reihe kriegen (auf die Ministerien mit SPD-Besetzung hat sie keinen Einfluss), was ihr Job wäre: siehe Bildungsministerium, Wirtschaftsministerium, Verkehrsministerium, Innenministerium, Landwirtschaftsministerium.

Besonders deutlich wird dies an der Spitze des Bundesministeriums der Verteidigung. Dabei wollen wir noch nicht einmal von einem Parlamentarischen Staatssekretär namens Peter Tauber (CDU) sprechen, der sich in Gedankenspielen gefällt, „Rechten“ bürgerliche Grundrechte abzuerkennen. Aber Tauber dürfte nach dem Geschmack seiner Kanzlerin sein, seit er gepostet hat: „Wer gegen Merkel ist, ist ein Arschloch.“

Bleiben wir beim Bundesministerium der Verteidigung (BMVg): Seit nunmehr fünfeinhalb Jahren ist Ursula von der Leyen nun an der Spitze dort. Da müsste doch endlich Schluss sein mit der Ausrede, für den materiell, personell und strukturell desaströsen Zustand der Bundeswehr seien ihre Amtsvorgänger verantwortlich. Siehe das Geleitwort des früheren Verteidigungsministers Rupert Scholz zum aktuellen Buch von Kraus und Drexl in der TE-Edition.

Irrlichternde Merkel-„Botschaft“
"Bundeswehr viele Jahre nicht ausreichend versorgt"
Nein, man macht es sich im Bendlerblock, im Kanzleramt und in der CDU-Zentrale zu einfach. Denn vorwärts gebracht hat Frau von der Leyen die Bundeswehr keineswegs. Die Mängel sind und bleiben greifbar (Stand Ende 2018): Zeitweise war keines der sechs U-Boote der 212A-Klasse fahrbereit; beim ADAC mussten 6.500 Flugstunden angemietet werden, um Fluglizenzen von Bundeswehrpiloten zu erhalten; von den 128 Eurofightern waren kaum mehr als vier ohne jede Einschränkung einsatzfähig; von 68 Hubschraubern des Typs Tiger waren nur 12 voll einsatzfähig; von den Transporthubschraubern CH-53 waren nur 16 von 72, von den Transporthubschraubern NH 90 nur 13 von 58, vom (neuen!) Transportflieger A400M gerade mal 3 von 15, von den Fregatten 5 von 13 und von den Leopard II-Panzern 105 von 244 „fit“. Von der Flugbereitschaft der Luftwaffe ganz zu schweigen; sie begleitete die Kanzlerin zuletzt mit einem zweiten Ersatzflugzeug nach Japan – für den Fall, dass wieder mal …

Frau von der Leyen hat auch kaum ein Fettnäpfchen ausgelassen. Der Truppe hat sie ein Haltungsproblem attestiert, Kasernen wurden – wörtlich! – „Säuberungen“ unterzogen, denen unter anderem im vorauseilenden Gehorsam an der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr in Hamburg ein Bild des jungen Helmut Schmidt in Wehrmachtsuniform zum Opfer fiel. Von Gerichten oder Staatsanwälten musste sich die Ministerin im Fall des Oberleutnants Marco A. und nach dem unzutreffenden Vorwurf angeblicher sexuell-sadistischer Praktiken in der Staufer-Kaserne in Pfullendorf stoppen lassen.

Nicht einmal bedingt abwehrbereit
In die Bundeswehr muss wieder massiv investiert werden
Nun freilich musste sie endgültig auf einem heißen Stuhl, ja auf einem Schleudersitz Platz nehmen. Seit einem halben Jahr tagt der Bundestagsausschuss zur Untersuchung der Affäre um rechtswidrige Millionenaufträge durch das Verteidigungsministerium an externe Beraterfirmen. Was bislang zu Tage gefördert wurde, lässt erschaudern. Um mehr als 200 Millionen teure, oft intransparent vergebene Beraterversträge mit Tagessätzen von 1.700 Euro geht es. Von der Leyens vormalige Staatssekretärin Katrin Suder spielt eine Rolle. Die Begriffe „Kungeleien“, „Korruption“ und „Bananenrepublik“ machen die Runde.

Ein ntv-Kommentator beschreibt die Lage im Ausschuss zutreffend wie folgt: „Dass wir all das wissen, ist dem Untersuchungsausschuss zu verdanken, in dem die SPD auf die Koalitionsdisziplin pfeift, die Opposition eine starke Figur abgibt und selbst die Union ihre Haltung aufgegeben hat, Zeugen, die Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) gefährlich werden können, wie Angeklagte zu behandeln. Angenehm ist auch, dass die AfD-Vertreter vernünftig mitmachen und auf alle verbalen Übertreibungen oder Attacken auf ‚das System‘ verzichten.“

Niemand will alle Probleme der Ministerin ankreiden. Aber sie kriegt nichts nicht in den Griff. Also stellt sich die Frage: Wird von der Leyen das politisch überleben? Eigentlich kann sie es gar nicht überleben, wenn Maßstäbe angelegt werden, nach denen früher ein Bundesminister den Hut nahm, indem er – ohne sich selbst schuldig gemacht zu haben – die politische Verantwortung übernahm. Siehe Rudolf Seiters (CDU), der im Falle einer am 27. Juni 1993 missglückten Festnahme von zwei RAF-Terroristen in Bad Kleinen sieben Tage später zurücktrat.

Das Problem heißt allerdings aus zwei Gründen auch Merkel: Sie hat nicht mehr die Kraft für einen personalpolitischen Befreiungsschlag. Und zweitens: Die Bundeswehr war ihr in 14 Jahren Kanzlerschaft (seitdem wurde die Bundeswehr beschleunigt zur Reformruine) ziemlich egal. In diesen 14 Jahren gab es vier Verteidigungsminister der Union, aber nur eine einzige Kanzlerin, die im Kriegsfall übrigens Oberbefehlshaberin wäre.


Josef Kraus / Richard Drexl, Nicht einmal bedingt abwehrbereit. Die Bundeswehr zwischen Elitetruppe und Reformruine. FBV, 240 Seiten, 22,99 €

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