Wenn auf etwas Verlass ist, dann, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk unbelehrbar bleibt. Rückschau: Ende Januar beschäftigt sich das sog. „Satiremagazin“ des Bayerischen Rundfunks „quer“ mit dem Coronavirus. Obwohl damals bereits die Bilder aus Wuhan um die Welt gingen, die andeuteten, dass dies alles, aber keine normale Epidemie sein würde – Millionen Menschen isoliert, Desinfektionsmittel auf den Straßen versprüht, Intensivstationen am Rande des Kollaps – beschäftigte sich quer lieber mit der angeblichen Massenhysterie. Das Virus war fern, das Lachen blieb nicht im Halse stecken.
Die Sendung vom 30. Januar – hier ab 6:50 – bestand aus einigen Glanzstücken. Bestandsaufnahmen wurden sofort zum Aufruf zur Panik stilisiert. So wie noch vor wenigen Tagen gab es eben nur zwei Optionen: völlige Indifferenz oder absolute Hysterie. So suggeriert es jedenfalls Christoph Süß, wenn er den überbesorgten Bürger mimt. Man erbaue sich eben gerne an „kollektiver Hypochondrie“. Und die nächste Suggestion: „Ieeh, das Chinesenvirus“ – daran können ja nur Rassisten glauben.
Dass die eigentlichen Suprematisten aber nicht vor den Schirmen sitzen, sondern eher dahinter stolzieren – sieht man an der merkwürdigen Diskrepanz zwischen Bild und Ton wenige Sekunden zuvor. Sind in Wuhan nicht Millionen eingesperrt? Ist die Metropole keine Geisterstadt? Wann in der jüngeren Geschichte haben wir solche dramatischen Bilder gesehen? Das eigene Weltbild muss eine ordentliche Portion arroganten Chauvinismus beinhalten, wenn man der Meinung ist, das habe irgendwie nichts mit uns zu tun. Der Verweis auf den einen Patienten in Bayern hilft da nicht weiter: wir leben in einer vernetzten Welt. Gerade das sagen uns die etablierten Medien immer wieder. Die Schlüsse daraus ziehen können sie offensichtlich nicht.
Lieber wird es auf einen „Pandemiegrusel“ zurückgeführt. Das mag sogar stimmen: unser Kulturgedächtnis hat sich die Erinnerung an solche Ereignisse bewahrt. Zum Glück! Nur offensichtlich funktioniert dieser Reflex bei einigen Menschen besser, bei anderen schlechter. Und noch offensichtlicher gehört das quer-Team zu letzterer Gruppe, das vor lauter selbstauferlegter Aufklärung die Herangehensweise eines Dodos hat, der noch nie einen Fressfeind zu Gesicht bekam. Bilder wie diese wecken Schaulust. Sie wecken aber auch ein tiefes, unheimliches Gefühl. Es ist ein Schutzreflex.
Das Argument, dass jedes Jahr „Tausende“ an der Grippe stürben, darf übrigens in das Reich der Fake News eingeordnet werden. Es sind eher hunderte. Dieses Jahr sind es bisher keine 300, in der Saison 2015/2016 waren es 161, in der Saison 2014/2015 waren es 202. Die Zahl von 25.000 Toten in der Saison 2017/2018 ist mehrfach kritisiert worden; einige Medien sind so ehrlich und erwähnen, dass es eine außergewöhnliche Saison war, wie man sie in 30 Jahren nicht kannte. Während das Argument wochenlang als goldener Ausweis eigener Vernunft gehandelt wurde, blasen viele Medien mittlerweile zum Rückmarsch. „Ein Vergleich mit Grippetoten ist also ein logischer Fehlschluss, der nichts zu der eigentlichen Debatte beiträgt. Genauso gut könnte man über die 3.000 Verkehrstoten oder die 1.200 Drogentoten in Deutschland sprechen. Wenn das aber jemand als Argument gegen die Vorsichtsmaßnahmen für das Coronavirus benutzte, würde er bestenfalls belächelt werden.“ – Liest man mittlerweile beim RBB.
Anschließend macht quer klar, um was es wirklich geht. Denn es gebe ja die, welche „immer erregt“ sein wollten. Kurz: weil Martin Sellner von der Identitären Bewegung sagt, dass das Wuhan-Virus sich schnell verbreite, und man die Grenzen schließen müsse, ist dieses Argument sofort verfault. Merke: wer Grenzschließungen will, um das Land vor Krankheiten zu schützen, ist „Rechtsextremist“. Das Dogma der offenen Grenze steht sogar über dem Menschenleben. Kassandra soll zum Schweigen gebracht werden, weil sie Meinungen vertritt, die unangenehm sind. Hat schon immer funktioniert.
Quer bedient sich eines Reflexes, der in den letzten anderthalb Monaten häufig zum Einsatz kam: Häme gegen Warner und Mahner, die entweder Panikmacher, Hysteriker, Aluhüte oder Rechtsextreme sind. Der Bayerische Rundfunk steht hier stellvertretend für eine ganze Reihe von Medien, welche unbequeme Stimmen mundtot machten – obwohl man zu dem Zeitpunkt bereits in englischsprachigen Medien lesen konnte, dass das, was in Wuhan geschah, ganz anders war als SARS oder Ebola. Ähnlich wie 2015 wurden diejenigen stigmatisiert, die vor möglichen Verwerfungen warnten, die für Deutschlands Zustand unangenehme Nebenwirkungen haben könnten. Dieselben Mechanismen, dieselben Taktiken. Es ist dabei völlig unerheblich, ob es Martin Sellner oder Jupp Schmitz sagt. Nach dieser Psychologie wäre auch Kasimir der Große, der Polen größtenteils vor der Pest bewahrte, weil er das Königreich radikal und frühzeitig abschottete, nichts weiter als ein AfD-Sympathisant des 14. Jahrhunderts. Jeder Laienhistoriker weiß, dass die Quarantäne die effektivste Methode war und ist, um Verbreitungen zu verhindern oder wenigstens zu verlangsamen.
Es ist dann auch völlig klar, dass quer den Fall ausschlachtet, um die wirrste aller Verschwörungstheorien einzusetzen, nämlich, dass die Panikmache auf rechte Kreise und Fakenews zurückzuführen sei, die im Netz kursierten. Man wisse zu wenig über das Virus, und was fremd ist, macht Angst – so als ob eine Krankheit, welche die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt in die Knie zwingt, ein eingebildetes Gespenst sei. Nach der Theorie von quer wollen die Chinesen Klickraten generieren. Und andere Staaten destabilisieren. Man fragte sich bereits damals, wie dieser Unfug publiziert werden konnte. Die damalige Kritik wurde wie die heutige abgeschmettert, Warnungen, dass Videos wie diese schlecht altern würden, wurden in den Wind geschlagen. Noch am 11. März, nur zwei Tage nach dem kompletten „lockdown“ Italiens antwortet quer auf die Frage, ob man mittlerweile das Video bereue: nein.
Doch im Laufe der letzten Woche erodiert das Selbstvertrauen im Zeitraffer. Irgendwann zwischen dem 11. und dem 14. März verschwindet das Video spurlos, welches die Gefahr durch das Coronavirus fahrlässig herunterspielt und es zu einer Verschwörungstheorie macht, die rechte Politik beflügeln soll. Dem Internet bleibt das nicht verborgen. Quer hatte die Woche ein neues Video herausgebracht, warnte nun vor Verharmlosung von COVID-19. Welch ironische Wendung. Alte Fehler will man nicht zugeben. Nicht einmal eine Entschuldigung. Eine Stellungnahme gibt es vorerst nicht, denn der „Ton“ sei auf Twitter zu rau. Man könne nicht mit Fairness rechnen. Am 14. folgt eine Stellungnahme. Allerdings eine, die alles andere als das ist, was man als hintergangener Gebührenzahler erwartet.
Es ist ein Dokument der Halbwahrheiten und des Haltungsjournalismus, garniert mit einem eingeschnapptem Ton, der die eigene, sakrosankte Position beleidigt sieht. Ausschnitt:
„quer hat Ende Januar in einem Video den zu diesem Zeitpunkt wuchernden Verschwörungstheorien über das Corona-Virus („Alles ist viel schlimmer als die Regierung zugibt“, „Sofort alle Grenzen schließen“) die damals bekannte Faktenlage entgegengestellt. Viele dieser Verschwörungstheorien wurden von einschlägigen, meist rechten Trollen im Netz verbreitet. Die gleichen Akteure nehmen jetzt für sich in Anspruch, durch die Corona-Pandemie sei bewiesen, dass sie von Beginn an richtig gelegen hätten. (…) Dennoch haben wir das Video gelöscht, nicht heimlich, sondern im Rahmen unserer normalen journalistischen Sorgfalt. Der Grund: Die Faktenlage hat sich geändert. Handlungsempfehlungen, die zum Zeitpunkt der Entstehung des Kommentars richtig waren, sind heute nicht mehr richtig.“
Quer muss sich mal entscheiden: denn offensichtlich hat sich nicht die Faktenlage geändert, sondern quer massiv danebengelegen und die „rechten Trolle“ hatten offensichtlich von Anfang an recht. Was quer hier versucht, ist ihre eigenen, „alternativen Fakten“ als Wechselbalg darzustellen. Aber Fakten sind nun einmal Fakten, oder sie sind es nicht. Meinungen können sich ändern, aber nicht objektive Umstände. Dass die Lage schlimmer ist, als alle wahrhaben wollten, ist bestätigt. Dass Länder mit rigiden Maßnahmen wie Singapur und Taiwan besser fahren als Deutschland, das bis zuletzt nichts tat, ebenfalls. Und offensichtlich hatte sich die „Faktenlage“ noch am 11. März nicht geändert, obwohl Europa da zum neuen Epizentrum der Epidemie geworden war. Eine dreiste Lüge, die den Zuschauer verschaukeln will, ist zudem die Behauptung, man habe das Video nicht heimlich gelöscht. Wenn ein Video an einem Tag da ist, am anderen nicht, und es dazu keine Äußerung für Tage gibt, dann ist das eine heimliche Löschung per definitionem.
Im Übrigen: die Handlungsempfehlungen waren nie richtig. Das sehen wir spätestens heute. Wie kann man glauben, dass die Epidemie eine rein chinesische Sache gewesen wäre? Und wie konnte man dergleichen behaupten, als in Italien bereits der Notstand herrschte? Quer macht sich mitschuldig, am mangelnden Krisenbewusstsein in Deutschland schuldig gewesen zu sein. Es hat mit seiner Berichterstattung daran gehindert, dass die Deutschen wirklich wissen, was auf sie zurollt. Warner wurden als rechte Hetzer geframed. Und weil quer nicht zugeben kann, dass sein Journalismus gegen manche Laieninformation ein einziger Totalausfall war, muss es diejenigen, die Recht haben, weiterhin als unglaubwürdige Trolle darstellen. Das Vertuschen eigenen journalistischen Versagens als „journalistische Sorgfalt“ zu tarnen ist unterste Schublade. Quer darf hier pars pro toto der deutschen Medienvertreter sien, die das Virus nicht einmal ernstnahmen, als sie in Italien vor Land ging.
Die Causa hätte ad acta gelegt werden können.* Aber die Stellungnahme ist ein heftigeres und arroganteres Stück als das gelöschte Video. Es spricht eine immense Verachtung für das eigene Publikum aus den Zeilen. Die Wahrheit hat quer gepachtet, und quer legt fest, wann Fakten richtig, wann diese falsch sind. „Das angebliche quer- „Skandalvideo“ ist nichts anderes, als ein normaler, journalistisch gut begründeter, auf den damals bekannten Fakten aufbauender Kommentar.“ Nein, das ist es nicht. Genauso wenig, wie „Pandemiegrusel“, „rechte Trolle“ und „kollektive Hypochondrie“ journalistisch seriös sind. Quer hat die Frechheit, „Fairness“ einzufordern, behandelt aber Gebührenzahler wie Dreck und macht sich über sie lustig – um sie zuletzt als ideologisch verquere Idioten zu brandmarken. Der ÖRR sieht seine Fehler nicht ein, er bildet sich noch darauf ein, man würde die gewaltige Arroganz gütlich zur Kenntnis nehmen. 80 Cent mehr für diesen Verein. Es reicht. Endgültig.
*Tatsächlich meinte ich noch, die Causa sei für mich erledigt. Nach mehrmaligem Lesen der Stellungnahme fühle ich mich allerdings als jemand, der von Anfang an gewarnt hat und das Video bereits am 30. Januar kritisierte, als einer jener „rechten Trolle“ diffamiert, die BR quer hier so genüsslich vorführt.