In dem sich seit nunmehr schon mehr als zwei Monaten hinziehenden Hauptverfahren vor der Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Stuttgart gegen Michael Ballweg kommt häppchenweise immer mehr Licht in das Dunkel eines undurchsichtigen Finanzgeschehens rund um die Zahlungen von mehr als einer Million Spendengeldern an ihn zur Unterstützung von Querdenken711 und der damit verbundenen staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen. Das ist hauptsächlich der akribischen Vernehmung der bislang geladenen Zeugen durch die Kammervorsitzende und den ersten Berichterstatter der Kammer zu verdanken. Bei ihm handelt es sich um denjenigen Richter des Landgerichts, der zunächst die Klage gegen Ballweg als unbegründet zurückgewiesen hat, bevor das Oberlandesgericht sie zuließ. Hinzu kommen Ballwegs Anwälte und Ballweg selbst, der als Angeklagter ausgiebig von seinem Recht auf Zeugenvernehmung Gebrauch macht.
Auch Beamte fürchten die Folgen
Befragt wurden an den inzwischen elf Sitzungstagen vorrangig mehrere mit den Ermittlungen gegen ihn von der Staatsanwaltschaft beauftragte Kriminalbeamte und Steuerfahnder sowie der Leiter der Justizvollzugsanstalt Stuttgart-Stammheim, in der Ballweg neun Monate als Untersuchungshäftling verbrachte. Hinzu kommen mehrere Mitarbeiter der Oberfinanzdirektion Karlsruhe, der vorgesetzten Behörde des für Ballweg zuständigen Finanzamtes und die für Ballwegs persönliche Steuern zuständige Sachbearbeiterin des Finanzamtes Stuttgart. Diese hat schon vor dem strittigen Jahr 2020 seine abgegebenen Steuererklärungen ohne nennenswerte Beanstandungen bearbeitet.
Laut Staatsanwaltschaft hat Ballweg die Steuererklärungen für seine Firma wie auch für sich selbst für das Jahr 2020 nicht fristgerecht abgegeben, weil er beabsichtigt haben soll, für dieses Jahr überhaupt keine Steuern zu entrichten. Dem steht Ballwegs Aussage gegenüber, er habe seine Steuererklärungen gar nicht fristgerecht abgeben können, da er im Juni 2022 inhaftiert worden ist und in diesem Zusammenhang nicht nur seine gesamten Finanzunterlagen beschlagnahmt worden sind, sondern er auch keinerlei Möglichkeit gehabt habe, vom Gefängnis aus Steuererklärungen abzugeben. Wie in all den Jahren davor habe er vorgehabt, sowohl seine geschäftlichen wie auch privaten Steuererklärungen rechtzeitig einzureichen, sei aber aufgrund der zeitlich immer stärkeren Inanspruchnahme durch seine Querdenker-Aktionen nicht in der Lage gewesen, dies schon vor seiner Inhaftierung zu tun. In der Haft sei es ihm dann aufgrund drastisch veränderter Umstände nicht mehr möglich gewesen, seiner Steuererklärungspflicht innerhalb von nur noch knapp zwei Monaten Zeit bis zum Ablauf der Abgabefrist nachzukommen.
Auch das Finanzamt steht vor Gericht
In den Zeugenbefragungen ging es vor diesem Hintergrund im Kern um die Beantwortung folgender Fragen: Warum wurde gegen Ballweg wegen Steuerhinterziehung schon zu einer Zeit ermittelt, als die wegen Corona mehrfach verlängerte Abgabefrist für seine Steuererklärungen noch gar nicht abgelaufen war? Warum wurde schon sechs Tage nach Ablauf der Abgabefrist Anklage erhoben, obwohl Ballweg aus der Haft heraus einen Antrag auf Fristverlängerung gestellt hatte? Warum wurde dieser Antrag abgelehnt, sodass es zu keiner Rücknahme der Anklage wegen Steuerhinterziehung kommen konnte? Und warum wurden noch weitere Anträge von ihm abgelehnt, die er während seiner Haft beim Finanzamt Stuttgart eingereicht hat? Das sind allerdings Fragen, die im Rechtsstaat beantwortet werden müssen will man sich nicht dem Vorwurf aussetzen, das Steuerrecht sei nur Mittel zum Zweck der Eliminierung kritischer Bürger.
Die mit der Prüfung dieser Anzeigen befasste Ermittlerin des Finanzamtes betonte, dass angesichts einer solchen Vielzahl von Anzeigen ihre Behörde gezwungen gewesen sei, Ermittlungen einzuleiten. Diese haben im Ergebnis dann zwar schnell dazu geführt, dass dem erhobenen Vorwurf der vorsätzlichen Hinterziehung von Umsatzsteuern nicht weiter nachgegangen wurde, dafür aber dem Vorwurf der vorsätzlichen Hinterziehung von betrieblichen Ertragssteuern sowie von Einkommenssteuer. Solche Ermittlungen habe ihre Behörde auch durchzuführen, wenn der begründete Verdacht auf eine geplante Steuerhinterziehung besteht, die noch nicht vollzogen wurde.
Diesem Verdacht gingen daraufhin mehrere Ermittler weiter nach, die sich angesichts der Menge und Komplexität der zu ermittelnden Sachverhalte ihre diesbezügliche Arbeit aufteilten. So befasste sich ein Ermittler mit den Zahlungsvorgängen von Ballwegs IT-Firma, im Zusammenhang mit seinen Querdenker-Aktivitäten. Seine Zeugenbefragung steht im Januar erst noch an. Ein weiterer Ermittler ging gleichzeitig Ballwegs zahlreichen privaten Geld- und Finanzströmen nach, die im Zusammenhang mit Querdenken711 standen. Dabei kam er zu dem Ergebnis, dass Ballweg mit seiner Bewegung ein privates Gewerbe eröffnet habe, mit dem er im Jahr 2020 einen nicht versteuerten Gewinn von rund 460.000 Euro erwirtschaftet haben soll. Doch auch diese Zahl wird von Ballweg mit guten Argumenten angezweifelt; eine einfache Überschußrechnung reicht dafür nicht.
Diese Erklärung wurde allerdings erst erstellt, nachdem Ballweg in seiner Untersuchungshaft zusätzlich zur Anklage wegen versuchtem Spendenbetrug auch noch die Anklage wegen Steuerhinterziehung zuging. Warum er seine Steuererklärungen nicht fristgerecht abgegeben hat, bleibt rätselhaft, zumal der als Zeuge befragte Leiter der Justizvollzugsanstalt Stuttgart-Stammheim wie auch die zuständige Sachbearbeiterin des Finanzamtes versicherten, dass die Erstellung von Steuererklärung aus einem Gefängnis heraus zwar erschwert, aber machbar ist. Überdies habe für Ballweg jederzeit die Möglichkeit bestanden, mit Verweis auf seine Haft beim zuständigen Finanzamt eine Fristverlängerung zu beantragen. Eine solche Verlängerung beantragte er laut der Zeugin allerdings erst, nachdem wegen der Fristüberschreitung bereits Anklage gegen ihn erhoben worden sei.
Welche Rolle in diesem Zusammenhang sein Steuerberater spielte, muss in dem Prozess weitgehend im Dunkeln bleiben, da dieser aufgrund seiner Schweigepflicht im Verfahren nicht mehr als Zeuge vernommen werden darf, nachdem er während der Ermittlungen gegen Ballweg noch als Zeuge zur Verfügung stand. Eine ursprünglich von Ballweg dafür erteilte Befreiung von dessen Schweigepflicht wurde von ihm, aus welchen Gründen auch immer, inzwischen wieder zurückgenommen. Überdies wurde das Mandat Ende 2022 beendet und Anfang 2023 einem anderen Steuerberater übertragen.
Von daher liegt die Vermutung nahe, dass Ballweg beim Thema Steuerhinterziehung Opfer seines eigenen Chaos-Managements im Umgang mit Spendengeldern geworden ist, die er als Unterstützung von Protestaktionen erhielt, deren Planung und Durchführung ihm offenkundig schon bald völlig über den Kopf gewachsen sind. Hinzu kommen private Probleme wie die Scheidung von seiner Frau, die nicht damit einverstanden war, dass er in erheblichem Umfang private wie auch geschäftliche Finanzmittel für Querdenken711 einsetzte. Sie beendete deswegen für das Jahr 2020 die bislang gemeinsame Steuerveranlagung mit ihm und gab stattdessen beim Finanzamt eine eigene Steuererklärung ab.
Was auch immer die Gründe und Motive für Ballwegs Nicht-Abgabe seiner Steuererklärungen gewesen sein mögen, ändern sie nichts daran, dass ihm als erfahrenen Unternehmer spätestens nach seiner Inhaftierung und den sich anschließenden Vernehmungen in der Untersuchungshaft hätte dämmern müssen, dass er dringend seine geschäftlichen wie privaten Einkommensverhältnisse für das Jahr 2020 steuerlich zu erklären hatte. Die Zeit für die Beantragung einer Fristverlängerung über seinen Steuerberater vor und nicht erst nach dem Ablauf seiner Abgabefrist erscheint zudem ausreichend. Warum es dazu letztlich nicht kam, obwohl er mit ihm während seiner Haft in Kontakt stand, blieb bislang ebenso im Dunkeln, wie die Antwort auf die Frage, ob für die Nicht-Abgabe seiner Steuererklärungen eine angeblich geplante Flucht nach Costa Rica eine Rolle gespielt hat, wie die Staatsanwaltschaft mutmaßt. Ob und wie diese Fragen im weiteren Verfahren noch beantwortet werden, wird man sehen.
Wie dem auch sei: Durch die rechtzeitige Abgabe seiner Steuererklärungen oder eine rechtzeitige Beantragung einer Fristverlängerung hätte Ballweg jedenfalls vermeiden können, nicht noch mehr in die Fänge einer Staatsanwaltschaft zu gelangen, die nach wie vor der Meinung ist, einem schwerkriminellen Finanzbetrüger auf die Spur gekommen zu sein. Sie verweigert sich jeder Erwägung, dass Ballweg als Idealist und politischer Aktivist gehandelt hat sondern bleibt blind bei der Annahme eines „Demonstrationsunternehmers“, der Spenden ausschließlich in die eigene Tasche habe stecken wollen und erkennt insoweit kaum Ausgaben an. Dass sie zwar die Zahl von 9450 Betrugsfällen nennt aber keiner der „Betroffenen“ sich als solche sieht ist Teil des fiktionalen Drehbuchs. Diese Verdachts-Fiktion eines bereits vorverurteilten Steuerhinterziehers und damit Straftäters führte zu einer Anklage wegen Steuerhinterziehung schon sechs Tage nach Ablauf der vom zuständigen Finanzamt gesetzten Frist. Sein daraufhin eingereichter Antrag auf Fristverlängerung wurde von der Sachbearbeiterin des Finanzamts aus formalen Gründen anschließend abgelehnt
Gab es Weisungen der Politik – oder Erwartungen?
Ob bei all diesen Entscheidungen politische Weisungen aus der Landesregierung oder politische Vorurteile eine Rolle spielten, wie Ballwegs Anhänger meinen, versuchten seine Anwälte in ihren Zeugenbefragungen mehrfach zu eruieren. Sie liefen damit bislang aber durchweg ins Leere. Die bislang befragten Zeugen versuchten glaubhaft machen, dass sie gemäß geltender Gesetze und Verfahrensregeln steuerliche Sachverhalte prüften und anhand ihrer Ergebnisse sachgemäße Entscheidungen getroffen haben, soweit sie überhaupt entscheidungsbefugt waren. Möglicherweise haben sie auch von sich aus versucht, offenkundigen Erwartungen gerecht zu werden.
Dass zur Vernehmung manche Beamte einen eigenen Rechtsanwalt hinzugezogen haben zeigt: So ganz sicher können sie sich der Rechtmäßigkeit ihres Handels nicht sein. Der Vorwurf von rechtsmißbräulichem Handeln steht im Raum.
Die tatsächliche Steuerlast lag aufgrund hoher Vorauszahlungen bei der Einkommensteuer bei lediglich 234.000 Euro, ein Betrag, der durch den von der Beamtin vorgelegten Steuerbescheid klar wurde .
Ballwegs Rechtsanwalt Ralf Ludwig äußerte sich dazu:
„Die Staatsanwaltschaft hat ohne belastbare Zahlen und gegen jede fachliche Expertise eine Anklage erhoben. Dieses Vorgehen ist nicht nur unprofessionell, sondern gefährdet die Rechtsstaatlichkeit.“
Das Finanzamt klammert sich an seine Fiktion des „betrügerischen Demo-Unternehmers“, dem das Handwerk gelegt gehört. Nun möchte man meinen, eine Gewinnermittlung ist kein Hexenwerk und könnte von einem Wirtschaftsprüfer beantwortet werden.
Immer noch wird ermittelt und ermittelt und ermittelt
Unabhängig hiervon ermittelt das Finanzamt Stuttgart nun erneut, wie hoch Ballwegs persönliche Steuerschuld für das Jahr 2020 tatsächlich ist. Bis wann ein wasserdichtes Ergebnis vorliegt, kann die Sachbearbeiterin des Finanzamtes Stuttgart derzeit nicht sagen. Plötzlich laufen die Mühlen dieses Amts sehr langsam. Weil es den Beschuldigten entlasten könnte? Die Kammer muss daher unter Umständen ein Urteil über Ballwegs Steuerschuld treffen, ohne dass seitens des Finanzamtes ein Steuerbescheid erging, der hinreichend verlässlich ist. Vielleicht ist dies einer der Gründe, warum das Landgericht die Klage der Staatsanwaltschaft gegen Ballweg zunächst abgewiesen hat und sich erst durch das Oberlandesgericht gezwungen sah, nun ebenso mühsam wie aufwändig ein Ermittlungsverfahren zum Verdacht auf Steuerhinterziehung zu konstruieren, der auf recht wackligen Beinen steht. Man will Recht behalten und versteift sich auf die eigene Fiktion als Grundtatbestand.
Dabei entsteht zusehends der Eindruck, dass es sich bei dem Angeklagten Ballweg weder um den mit hoher krimineller Energie ausgestatteten Finanzbetrüger handelt, den Teile der Medien und die Staatsanwaltschaft in ihrer Anklageschrift aus ihm machen, noch um das Opfer einer politisch gesteuerten Justiz, das seine Mitstreiter und Anhänger in ihm sehen. Vor Gericht scheint vielmehr ein ebenso unbescholtener wie erfolgreicher, dann jedoch in eine Midlife-Crisis geratener IT-Unternehmer zu stehen, der gänzlich ungeplant über Nacht zu einem umstrittenen medialen Politstar wurde. Nicht nur sein privates, sondern auch sein geschäftliches Leben lief daraufhin wirtschaftlich so sehr aus dem Ruder, dass es seinen politischen Gegnern ein Leichtes war, die komplexen Mühlen staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen gegen ihn in Gang zu setzen, die, sind sie einmal in Gang gesetzt, nur schwer zu stoppen sind. Doch genau das darf im Rechststaat nicht geschehen: Dass Behörden versuchen, mit allen Mitteln ihre ursprünglich eingenommene Positionen gegen jede Einsicht zu verteidigen und einen Schuldigen produzieren. Die Ämter geben ihre Opfer nicht gern her. Wie Ballweg während des Verfahrens selbst einmal sagte, stehen Unternehmer gerade in Steuerfragen immer mit einem Bein im Gefängnis. Sie sind im heraufdämmernden sozialistischen Staat einem Generalverdacht ausgesetzt, der mit allen Mitteln durchgesetzten soll.