Tichys Einblick
Toleranz, unser Lüftungsschacht

Baizuo: Weiße Linke, die für »Toleranz« ihre Werte aufgeben.

Marktleiter will, dass Verkäuferin weltanschaulich neutral auftritt – man macht ihn fertig. Ministerium engagiert Vizechefin des Zentralrats der Muslime. – Chinesen haben ein Wort für uns: Baizuo. Dumme weiße Linke, die für »Toleranz« ihre Werte aufgeben.

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Stellen wir uns für einen Augenblick vor, in einem streng islamischen Land würde eine Frau vor Gericht ziehen, weil sie nicht zwangsweise ein Kopftuch anziehen wollte! Vielleicht würde die Klägerin argumentieren, der Staat habe nicht das Recht, ihr religiöse Äußerungen vorzuschreiben – sie würde das Gericht wohl kaum als freie Frau verlassen, und die einzig offene Frage bliebe, wie viel zusätzliche Strafe sie bekäme für potentielle Gesundheitsschäden der Richter als Folge deren heftigen Lachens.

Vielleicht würde die Klägerin argumentieren, durch das Tragen des Kopftuches würde sie an alle anderen Frauen das Signal aussenden, sie betrachte diese als »unverhüllt« (um unhöflichere Worte zu vermeiden), und das erschiene ihr nicht angemessen, da ihr Land doch eine offene und tolerante Gesellschaft sein solle – es wäre ein spannendes Argument.

Vielleicht würde die Klägerin argumentieren, sie sei nicht ein zu verhüllendes Objekt, sondern den Männern gleichwertig – wir möchten uns lieber nicht ausmalen, was eine solche Behauptung für Konsequenzen nach sich ziehen würde.

Nein, wenn einer jener guten Freunde des Merkel-Apparats sich darin versuchen wollte, als »Ungläubiger« das Recht zu seinen Gunsten zu drehen, dann könnte es ihm ergehen wie Herrn Khashoggi im Konsulat oder der Regierungskritik im deutschen Staatsfunk – formulieren wir es so: Wollte er kurzfristig eine Lebensversicherung abschließen, wäre diese nicht ganz billig.

Vor Social-Media- und anderen Gerichten

Eine junge Dame sagt, dass sie sich als Ferienjob-Verkäuferin bei Edeka beworben hat, und dass sie am Probetag vom Marktleiter aufgefordert wurde, ihr Kopftuch abzulegen (so berichtet welt.de, 23.7.2020).

Eigentlich ist es noch immer offen, ob ein Arbeitgeber in der EU eine Person ablehnen darf, weil sie öffentlich ihre Religion betont (siehe tagesschau.de, 30.1.2019). Soll ein Unternehmer wirklich Angestellte einstellen müssen, wenn deren öffentlich geäußerte Religionsbekundungen seiner Einschätzung nach seinen Umsätzen schaden? Im linken Paralleluniversum fällt es natürlich unter »Rassismus«, von seinen Angestellten zu fordern, ihre Religion privat zu betreiben, statt sie offen an jeden einzelnen Kunden zu kommunizieren (taz.de, 23.7.2020).

Das Kopftuch gilt vielen informierten Bürgern erstens als Symbol des Patriarchats und zweitens der Trennung zwischen sich, den »Gläubigen«, und den anderen, den »Ungläubigen«. Wenn Behörden, Gerichte oder Schulen das Recht – oder sogar die Pflicht – haben, von ihren Angestellten zu verlangen, dem Publikum weltanschaulich neutral gegenüberzutreten, warum sollten Unternehmen das nicht ebenso fordern dürfen?

Wie es bald üblich ist, bringt die Dame ihre Angelegenheit als Video vor das inoffizielle Instagram-Gericht (instagram.com) – und man droht außerdem, mittels Anwalt, mit juristischen Schritten vor richtigen deutschen Gerichten. Man liest, Edeka habe sich mit der jungen Dame »außergerichtlich geeinigt«. Man hört von einem fünfstelligen Betrag (mopo.de, 23.7.2020) – der wohl »ungläubige« Marktleiter dagegen verliert, so erfahren wir, seine Filiale.

Solle es wirklich illegal in Deutschland sein, von Mitarbeitern zu fordern, ihren Kunden weltanschaulich neutral gegenüberzutreten? Nehmen wir an, eine Religion tritt traditionell sehr ablehnend und negative gegen Schwule auf – hätte ein Unternehmer nicht etwa das Recht, zugunsten seiner schwulen Kunden von Arbeitnehmern zu fordern, diese Religion nicht deutlich und unübersehbar jedem einzelnen Augen gegenüber zu bekunden?

Natürlich sind nicht alle Nachrichten, in denen Menschen aus muslimischen Kulturkreisen erwähnt werden, gleich gelagert. Die junge Dame in Hamburg besteht darauf, im Supermarkt zu arbeiten und dabei ein visuell deutliches Zeichen zu tragen, das der Welt kommuniziert, ob gewollt oder ungewollt, dass sie eben keine »Ungläubige« ist – und in Deutschland fällt das wohl unter jene Verhaltensweisen, die im Namen der »Toleranz« zu akzeptieren sind.

Etwas anders gelagert ist die »Partyszene« in Städten wie Stuttgart. Seit Wochen versammeln sich regelmäßig junge Männer mit »Migrationshintergrund« und liefern sich »Spaßkämpfe« mit der deutschen Polizei. Bürgermeister schreiben »Brandbriefe« (welt.de, 23.7.2020), man spürt teils die berechtigte Panik um die Zukunft ihrer Städte – und dann eine zweite Panik, das Offensichtliche zuzugeben: Dass man es mit Menschen aus Kulturen zu tun hat, in denen nicht wenige zwar westlichen Gratis-Wohlstand schätzen, aber seine Werte verachten und verspotten. Man liest es ginge um »junge Männer, die Integration nicht wollen« (bild.de, 20.7.2020). Seufzend frage ich mich, was ich schon 2018 bezüglich der Nachrichten über Gündoğan und Özil fragte: Wie soll man sich integrieren in ein Land, das nicht Heimat sein darf?

Von Hamburg und Stuttgart nach Berlin: Das Außenministerium hat sich die Dienste von Nurhan Soykan als Beraterin im Referat »Religion und Außenpolitik« gesichert (so welt.de, 24.7.2020). Frau Soykan trägt Kopftuch (was geht eigentlich in ihrem Kopf vor, wenn sie der zumindest kopftuchlosen Frau Merkel die Hand schüttelt?), vor allem aber ist Soykan auch Vize-Vorsitzende des Zentralrats der Muslime – und damit eines Vereins, dessen größter Mitgliedsverband »Atib« vom Verfassungsschutz zu den türkischen Rechtsextremen »graue Wölfe« gezählt wird. Soykan kritisierte die Armenien-Resolution des Bundestages (taz.de, 3.7.2016), diese habe das »Vertrauen vieler türkischstämmiger Menschen in die deutsche Politik« geschwächt – erklärt sie wirklich einen wesentliche Teil deutscher Türken kollektiv zu Leugnern des Genozids an den Armeniern (siehe Wikipedia)? (Randnotiz: Es hilft der Bekämpfung echter, gefährlicher Extremisten nicht, wenn der aktuelle CDU-Mann an der Spitze des Verfassungsschutzes nicht unbedingt von jedem Bürger als vollständig unparteiisch empfunden wird.)

Wir sind wenig überrascht, wenn das Ministerium, dessen aktueller Chef Deutschlands peinlichster Minister ist, sich die beratenden Dienste einer Frau Soykan einholt – es ist ein »Zeichen der Zeit« – und wir fragen uns, ob auch das ein Zeichen der »Islamisierung« ist.

Bitte um Bitte

Im Essay mit dem kurzen Titel »Islamisierung« (6.6.2018) habe ich dargelegt, dass und inwiefern wir nach praktisch jeder plausiblen Definition von »Islamisierung« mitten in genau jener stecken. Islamisierung zu bestreiten wäre heute lächerlich (was natürlich nicht heißt, dass das Bestreiten des Offensichtlichen nicht betrieben wird, dafür zahlen die Deutschen ja ihre inzwischen 9 Milliarden Euro Zwangsgebühr, dazu diverse Vereine und bald die direkte Finanzierung von Zeitungen).

Im Text »Sollte die Regierung wirklich Moscheegemeinden fördern?« (16.11.2019) erzählte ich das Gleichnis vom Kamel, das Bitte um Bitte das Zelt des Reisenden übernimmt. Deutschland scheint wenig Probleme damit zu haben, wenn Muslime als Einzelne oder als Gruppe westliche Kultur ablehnen; selbst das Ablehnen der Demokratie kann bald unter »Meinungsfreiheit« verbucht werden, so es nur im Namen einer Religion geschieht – umgekehrt aber muss jemand, der es ablehnt, als »Kuffar« und damit als geringerwertiger Mensch betrachtet zu werden, mit der Härte des deutschen Staatsapparats rechnen. (Man verzeihe mir: Spätestens wenn man dafür bestraft wird, dass man sich unwohl dabei fühlt, als »Kuffar« und damit als Mensch zweiter Klasse betrachtet und behandelt zu werden, fällt es mir schwer, die Strafen ganz automatisch unter »Rechtsstaat« einzuordnen.)

Liefern gern und fleißig

In der Einleitung des Essays »Die Asymmetrie unserer Spielregeln« (13.7.2020) schrieb und fragte ich:

Wir werden beschimpft, dürfen aber nicht einmal kritisieren. Wir werden angegriffen, dürfen uns aber nicht wehren. Die Regeln, nach denen wir spielen sollen, sind ungerecht und asymmetrisch – warum spielen wir das Spiel mit?

Im Text sprach ich etwa vom asymmetrischen Verhältnis zu China. Westliche Bürger liefern gern und fleißig mobile Daten an Chinas politiknahe Konzerne, motiviert unter anderem vom Deutschen Staatsfunk, der aktuell mit deutschen Zwangsgebühren finanzierte Inhalte an »TikTok« zur Weiterverbreitung liefert (tiktok.com/@tagesschau) – gleichzeitig sperrt China die größten westlichen Online-Dienste (siehe Wikipedia).

Auch die Islamisierung des Westens ist eindeutig asymmetrisch. Was in Deutschland mit Behörden- und Propagandagewalt durchgesetzt wird, würde im christlichen Gegenzug in nicht wenigen islamischen Ländern furios und gnadenlos bekämpft werden. Islamische Staaten und Institutionen bauen Moscheen in Deutschland und anderen westlichen Ländern – anders herum kaum vorstellbar.

Bis auf einen Lüftungsschacht

Moderne, weltgereiste Chinesen benutzen gelegentlich das Wort »Baizuo« (白左), und es steht für einen wenig freundlichen Begriff.

Wörtlich bedeutet Baizuo »Weiße Linke«. Das »Urban Dictionary« erklärt Baizuo so:

Baizuo (ausgesprochen „bye-tswaw“) ist ein chinesisches Schimpfwort, das naive, westlich gebildete Person bedeutet, die sich für Frieden und Gleichheit einsetzt, um ihr eigenes Gefühl moralischer Überlegenheit zu befriedigen. Ein Baizuo sorgt sich nur um Themen wie Einwanderung, Minderheiten, LGBT und Umwelt, während er von politischer Korrektheit besessen ist, so dass er im Dienst des Multikulturalismus sogar veraltete islamische Werte importiert. (urbandictionary.com zu »Baizuo«, Übertragung aus dem Englischen)

China lacht über »weiße Linke«, welche unsere Debatte und Teile unserer Politik bestimmen. Was wir »Toleranz« nennen, nennen sie verrückt. Der Baizuo ist der dumme Fußabtreter, der sich für den erleuchteten Erlöser der Welt hält. Die Essenz des Baizuo ist es, seine politischen Meinungen von wenig durchdachten Gefühlen leiten zu lassen.

Star-Wars-Fans kennen den »ersten Todesstern«, dieses mondgroße Raumschiff, das praktisch unverwundbar zu sein scheint (siehe Wikipedia) – bis auf einen Lüftungsschacht, in den man hineinfliegen und das High-Tech-Ungetüm mit einem Durchmesser von 160 Kilometer (manche Quelle: 120 Kilometer) von innen zerstören kann. (Filmfans störten sich 40 Jahre lang an der Unlogik dieses Konstruktionsfehlers; inzwischen wurde eine Erklärung nachgeliefert; siehe etwa de.ign.com, 22.12.2016.) – Was dem Todesstern der Lüftungsschacht, das ist dem Westen der Toleranzwahn.

Wenn ich eine ausländische Macht wäre, die den Westen langfristig in die Knie zwingen wollte, die uns zur Rückabwicklung der Aufklärung und zur schrittweisen Aufgabe der Demokratie bewegen wollte, ich würde in Hunderte von Vereinen zur propagandistischen Durchsetzung sogenannter »Toleranz« und »Weltoffenheit« investieren.

Gern und gutgelaunt

Ich denke nicht, dass die Islamisierung unsere letzte Verwandlung sein wird. Ich würde immer eher auf die Zukunft derer wetten, deren Denken in Pragmatismus, Logik, Erfahrung und bewährten Werten verwurzelt ist – eine »charismatische Begründung der Wahrheit« trägt immer nur so-und-so weit.

Stellen wir uns vor, in einem streng muslimischen Land klagte eine Frau vor Gericht gegen die Kopftuchpflicht, und sie gewinnt, und man zahlt ihr Schadensersatz, und man bittet sie um Entschuldigung – Oder stellen wir uns vor, Deutschland wird klug, bevor andere Nationen uns das Klugwerden abnehmen – ich weiß nicht, was wahrscheinlicher ist.

Ich hoffe es mit ganzem Herzen, und ich kämpfe mit all meiner Kraft dafür, dass wir endlich klüger werden!


Dieser Beitrag erschien zuerst auf dushanwegner.com

Dushan Wegner (geb. 1974 in Tschechien, Mag. Philosophie 2008 in Köln) pendelt als Publizist zwischen Berlin, Bayern und den Kanaren. In seinem Buch „Relevante Strukturen“ erklärt Wegner, wie er ethische Vorhersagen trifft und warum Glück immer Ordnung braucht.

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