Die evangelische Kirche in Deutschland hat es vorgemacht, die römisch-katholische zieht nun nach: Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, hat in einer Predigt Verständnis für die als Aktionen getarnten Sabotageakte der „Letzten Generation“ geäußert. „Man kann zu diesen Leuten und ihren Aktionen stehen, wie man will, aber irgendwie wurden sie aus der Lethargie geweckt, die noch viel zu viele von uns entspannt in die Zukunft blicken lässt“, sagte der Limburger Bischof. Die Webseite katholisch.de zitierte Bätzing so:
„Die überwiegend jungen Leute verstünden sich angesichts drohender Kipp-Punkte im Klimasystem der Erde als letzte Generation, die noch in der Lage sei, einen Klimakollaps aufzuhalten. Das Lebensgefühl dieser Aktivisten ähnele dem der frühen Christen in der Urkirche, die sich als letzte Generation vor dem Anbruch des Reiches Gottes verstanden hätten, sagte Bätzing. Zugleich gebe es Unterschiede. Christen seien nicht von Zukunftsängsten geleitet, sondern lebten aus der Zuversicht und Hoffnung aus dem Glauben. ‚Wir beschönigen nichts‘, sagte Bätzing. ‚Wir sehen die Risiken und werden der Verantwortung leider Gottes oft genug nicht gerecht, die uns aufgetragen ist.‘“
Zugleich geht der Vergleich nicht auf. Denn wenn das apokalyptische Verständnis der Urchristen als „letzte Generation“ dem der heute wütenden „Letzten Generation“ ähnelte, dann muss es eben jene Zukunftsängste beinhalten, die die Klima-Extremisten wie eine Monstranz vor sich hertragen. Oder andersherum: Auch Christen müssten heute mit Zuversicht in die Zukunft sehen, trotz „Klimakollaps“; schließlich war es ja eben nicht die Absicht der Urchristen, Kipp-Punkte zu verhindern, sondern auf das kommende Reich Gottes hinzuarbeiten.
Sympathie mit Klima-Extremisten: ein Thema, um von internen Missständen abzulenken?
Sympathien für die Sabotageakte gegen Straßenverkehr und Flughäfen erfreuen sich derzeit allgemeiner Beliebtheit; auch Kardinal Reinhard Marx hatte sein Verständnis für den „Aktivismus“ der „Letzten Generation“ ausgedrückt. Dabei handelt es sich um nichts weiter als ein Ablenkungsmanöver.
Denn dass Bätzing gerade mit diesem aktuellen Aufregerthema nach Aufmerksamkeit heischt, dürfte tiefere Gründe als eine Sympathie mit den selbsternannten Klimarettern haben. Bätzing steht nämlich derzeit das Wasser schlichtweg bis zum Hals. Zwei Fälle belasten den Bischof massiv.
Zuerst ist da der Selbstmord des Regens und Bischofsvikars Christof May. May galt ab dem Mittag des 8. Juni 2022 als vermisst und wurde tags darauf tot aufgefunden. Kurz vor dem Verschwinden Mays hatten er und Bätzing ein persönliches Gespräch geführt. Das Bistum teilte später mit, May sei wegen „Vorwürfen übergriffigen Verhaltens“ angehört worden. Bätzing stellte May daraufhin von allen Ämtern frei, um diese Vorwürfe prüfen zu können.
Die Causa May ist letzte Woche zurückgekehrt. Der Hessische Rundfunk berichtete, dass sich mittlerweile eine interne unabhängige Aufarbeitungskommission mit dem Fall befasse. Dabei sei festgestellt worden, dass schon in der Zeit der Sedisvakanz des Bistums Limburg (2014–2016) ein Gespräch mit May stattgefunden habe, weil es Vorwürfe gegen ihn gab.
Gleich zwei Fälle im Bistum belasten Bätzing schwer
Dennoch ernannte Bischof Bätzing May im Jahr 2018 zum Regens. Bätzing will von den Vorwürfen nichts gewusst haben, über das damalige Gespräch existieren keine Protokolle. Pikant: Laut Informationen des Hessischen Rundfunks sollen die Ergebnisse der Aufarbeitungskommission nicht voll veröffentlicht werden.
Es ist nicht die einzige Hypothek, die Bätzing direkt belastet. Nur eine Woche vor dem Suizid des Regens kochte eine ebenso unangenehme Affäre auf. 2020 beförderte Bätzing den Pfarrer Winfried Roth zum Dekan – obwohl das Bistum von Belästigungsvorwürfen gegen Roth wusste. Im Mai 2022 machte eine ehemalige Gemeindereferentin in Ausbildung ihre Erfahrungen in Christ und Welt publik. Roth habe sie 2006 und 2007 belästigt. Roth trat darauf von seinem Amt zurück.
Die Hessenschau packte in diesem Zusammenhang die ganze, unangenehme Geschichte neuerlich aus. Die UKO stellte zudem fest: Der Vorfall sei von Roth und dem Bistum bagatellisiert worden, es habe eine Täter-Opfer-Umkehr stattgefunden. Bätzing entschuldigte sich im Sommer 2022 für seine Entscheidung, Roth zu befördern, die er 2020 noch für richtig befunden hatte – damals beließ es der Bischof bei einem kanonischen Tadel wegen seines Verhaltens Frauen gegenüber.
Bätzings Umgang mit May und Roth offenbart, dass auch die „Reformkreise“ in der Kirche vertuschten und sich nicht um Aufarbeitung kümmerten
Die beiden Fälle konterkarieren gleich mehrere Narrative, die der von Bätzing geleitete „Reformkurs“ des sogenannten „Synodalen Weges“ für sich vereinnahmt. Dazu gehört, dass der sexuelle Missbrauch in der Kirche auf dem Zölibat und anderer systemischer Fehler fuße; und dass sich die Kirche mehr gegenüber Homosexuellen oder Transsexuellen in ihrer Lehre öffnen müsse. Der Umgang Bätzings mit den Fällen May oder Roth entlarvt jedoch auch die vermeintlich progressive Reformagenda als politischen Schall und Rauch, der sich dem Zeitgeist anbiedern möchte und so PR-mäßig besser dasteht, in Wirklichkeit aber mit denselben Problemen zu kämpfen hat, die man dem konservativeren Lager unterstellt – nämlich Vertuschung und Machtmissbrauch.
Zugleich finden sich die deutschen Bischöfe mit ihrem Sonderweg im Allgemeinen, und Bätzing im Besonderen völlig isoliert in der Weltkirche wieder. Erst am Freitag hatte der Limburger Bischof eine stärkere Rolle von Frauen zum „zentralen Zukunftsthema“ der Kirche erklärt. „Wir müssen unsere Anliegen aus Deutschland kraftvoll verteidigen“, sagte er – und erinnerte damit frappierend an manche Politiker, die für Deutschland ebenfalls eine Vorreiterrolle auserkoren haben. Bätzing hält öffentlich an der Frauenordination fest, obwohl die deutsche Delegation in Rom erst Mitte November beim Besuch in Rom deutlich abgewatscht worden war: Weibliche Priester sind auch unter Papst Franziskus kein verhandelbares Thema.
Die deutschen Bischöfe sind in der Weltkirche isoliert
Dieser „Ad-Limina-Besuch“ in Rom war für einige deutsche Bischöfe zum Canossa-Gang geworden. Der seit Jahren laufende Synodale Weg, der neben der Katholischen Kirche in Deutschland vor allem von den mächtigen Verbänden und Gestalten aus Politik und „Zivilgesellschaft“ getragen wird, bekam keinen Segen. Stattdessen machte man deutlich, dass es keine Zugeständnisse geben würde, weil die Teutonen neuerlich gegen die römische Lehre aufbegehren. Bätzing selbst hatte es so gesagt: Man wolle katholisch, aber anders katholisch sein. Folgerichtig kehrte man mit gebücktem Haupt aus der Ewigen Stadt zurück.
Dass Bätzing nun in Sachen „Letzte Generation“ vorprescht, ist also vermutlich dem Umstand geschuldet, dass er an der Wand steht. Kirchenpolitisch, ob in persönlichen, bischöflichen, nationalkirchlichen oder weltkirchlichen Belangen, türmen sich die Probleme. Da nützt es, laut zu schreien, um die Bezichtigungen zu übertönen. Persönliche und kirchenpolitische Befindlichkeiten haben Priorität vor der eigentlichen Aufgabe Christi. Damit degradiert Bätzing die Kirche zu einer NGO, die laut ruft, der aber keiner mehr zuhört.