Tichys Einblick
O SANCTA SIMPLICITAS!

Wie man in 96 Sekunden Europa reinwaschen kann – Wird man so neue EU-Kommissionspräsidentin?

War hier wieder einmal das Mundwerk schneller als das Denken? Sind die Leute einfach zu dumm, um Waschmittel und EU-Wahl woke-ganzheitlich zusammen zu sehen? Lernt man solche Sichtweisen nur bei einem „Völkerrechts“-Seminarschein in England?

picture alliance/dpa | Christoph Soeder

Liebe TE-Leser, sollten Sie sich noch nicht entschieden haben, wen oder was Sie am 9. Juni bei der Wahl zum EU-Parlament (nicht?) wählen, hier unsere selbstlose Hilfe. Wenn Sie sich folgende 96-Sekunden-Passage aus einer Wahlkampfrede antun, dann wissen Sie mehr. Hier die wichtigsten Auszüge transkripiert.

Kein ChatGPT, keine KI! Den Namen der Rednerin (weiblich, das verraten wir) nennen wir nicht. Sie, liebe TE-Leser sollen rätseln, Sie haben aber nur eine Antwortmöglichkeit.

„Ich sag’s mal einfach so: Wir alle waschen unsere Wäsche. Das gehört einfach zum Leben dazu wie die Freiheit und die Sicherheit. So und dann ehrlich gesagt, ja, beim Waschmittel ist das so ein Thema, auch bei uns zu Hause. Also als Grüne kaufen wir Biowaschmittel. Das gefällt aber manchmal unseren Kindern nicht so gut, weil es riecht dann nicht so gut und manches andere Handtuch bei anderen Leuten ist auch weicher als unseres. Alternative finde ich relativ teuer. Aber ehrlich gesagt, gehe ich auch nicht so oft einkaufen. Das muss dieser Tage mein Mann übernehmen. Also sich nun damit beschäftigen: Nehme ich jetzt das teurere oder nehme ich das, was Bio und Strahlkraft irgendwie und am Ende zusammenbringt … Aber niemand würde doch auf die Idee kommen und sagen: Also geh‘ ich jetzt raus aus dem Geschäft und wasche meine Wäsche nicht mehr. Weil wir verstanden haben, dann wird’s dreckig und dann stinkt’s … Und genauso ist es mit der Demokratie. Wenn wir nicht wählen, dann stinkt es, dann sind andere da und dann wird’s braun. Und das ist das, was unsere 75 Jahre Grundgesetz und 35 Jahre friedliche Revolution bedeuten …. Für unsere Demokratie einstehen auch am 9. Juni …. Herzlichen Dank und dass Sie Ihre Schwiegermutter und Ihrem Ex-Freund über meine Waschmitteltheorie informieren.“

(Anschließend Standing Ovations!)

Jetzt sind wir ratlos. War hier wieder einmal das Mundwerk schneller als das Denkzeug? Sind wir einfach zu doof, Waschmittel und EU-Wahl woke-ganzheitlich zusammen zu sehen? Lernt man solche Sichtweisen nur bei einem „Völkerrechts“-Seminarschein in England? Oder ist es die Erfahrung von Hunderttausenden von Flugkilometern? Oder hat das die pro Jahr 130.000 Steuer-Euro teure Visagistin eingeflüstert?

Oder trifft hier zu, was die lateinische Redewendung meint: „O sancta simplicitas!“ „Oh heilige Einfalt!“ Das soll der zum Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilte Reformator Jan Hus 1415 ausgerufen haben, als er sah, wie eine übereifrige Frau Holz für seinen Scheiterhaufen brachte.

Wir sind jedenfalls gespannt, ob das neue EU-Parlament reingewaschen ist und ob diese Mega-/Giga-Rede die Partei der Rednerin doch noch über die miserablen Umfragewerte liftet.

Ach ja: Es fehlt noch eine englischsprachige Version. Aber die ist sicher mit KI möglich. Und dringendst notwendig, denn diese Rednerin ist ja angeblich als neue Kommissionspräsidentin im Gespräch. Sie kauft dann bestimmt nicht mehr für Milliarden Impfstoffe, sondern Biowaschmittel! Damit die EU nicht braun wird und nicht stinkt.

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