Sprechen wir es offen aus: Wenn man ein Grüner ist, muss man in Deutschland weder einen Berufsabschluss noch ein abgeschlossenes Studium haben, man muss keinerlei Fachkenntnisse besitzen, die Vertrautheit mit der grünen Phraseologie genügt vollkommen, man muss weder bei seinem Lebenslauf sich streng an die Wahrheit halten, noch es allzu genau mit dem Urheberrecht nehmen, man kann die Physik umdichten, indem man das Netz zum Speicher erklärt.
Man kann sich servil vor Selenskyj in den Staub werfen und eine Ergebenheitsadresse derart formulieren, dass man der Ukraine liefern will, was sie braucht, unabhängig davon, was die eigenen Wähler darüber denken, und schließlich darf man auch noch Deutschland so mal eben nebenbei zur Kriegspartei erklären – und dennoch Außenministerin bleiben. Ideologiesicherheit ersetzt Kompetenz, Medienkumpanei kritischen Journalismus. Kompetenz ist inzwischen alt, reaktionär und rechts, eine schlechte Angewohnheit aus den überwundenen Zeiten des Realismus.
Sollte eine Äußerung grüner Politiker dennoch für Stirnrunzeln sorgen, werden eilig willige Politiker und willige „Experten“ herbeigerufen, die dem erstaunten Volk erklären, dass beispielsweise Außenministerin Annalena Baerbock zwar am Dienstag bei der Parlamentarischen Versammlung des Europarats in Straßburg gesagt hat: „We are fighting a war against Russia and not against each other“ („Wir führen einen Krieg gegen Russland und nicht gegeneinander“), aber sie natürlich nicht gemeint habe, dass wir einen Krieg gegen Russland führen, sondern dass diejenigen, die behaupten, dass Annalena Baerbock gesagt habe, dass wir einen „Krieg gegen Russland führen“ Annalena Baerbock böswillig missverstehen würden. Linguistik ist eben böse. So wurde beispielsweise getwittert: „Die @ABaerbock hat natürlich nicht gemeint, was man jetzt unterstellt, und das wissen auch alle, die es jetzt unterstellen. Aber dass man ihr die unglückliche Formulierung um die Ohren haut, kann in ihrer exponierten Stellung nicht überraschen. Berufsrisiko.“
Baerbocks Satz ist nicht verschachtelt, er ist einfach, ein einfacher Satz, mit einer einfachen, nicht metaphorischen Äußerung. Nein, Annalena Baerbock hat genau das gesagt, was sie gesagt hat. Die Sprache ist eindeutig. Allerdings dürfte sie nicht gewusst haben, was sie damit gesagt hat. Was die Frage erhebt: Können wir uns in Zeiten, in denen wir am Rande eines großen Krieges balancieren, eine Außenministerin leisten, die nicht weiß, was sie sagt?
Wenn man sich allerdings Baerbocks Äußerungen zu Russland anschaut, die markigen, zuweilen dreisten Sätze, die sie so sehr liebt, die einem Oppositionsführer zustehen, nicht aber einer Außenministerin, so kommt der leise Verdacht auf, ob sie sich nicht in Wahrheit mental im Krieg mit Russland befindet – und ihr deshalb der Satz entfleuchte. Parallel zur umstrittenen Entscheidung der Ukraine, Leopard-Panzer zur Verfügung zu stellen, wo es auf diplomatische Millimeterarbeit ankommt, der Bundeskanzler alle Register zieht, um die Sorge zu minimieren, dass Deutschland dadurch Kriegspartei wird, verkündet die Außenministerin frank und frei auf noch dazu großer Bühne: „Wir führen einen Krieg gegen Russland und nicht gegeneinander.“
Wir sprechen von keinem poetischen Text, nicht von Sätzen, die von James Joyce oder Franz Kafka stammen, sondern über einen einfachen, nicht anspruchsvollen Satz der deutschen Außenministerin. Es mag für deutsche Politiker und deutsche Journalisten unverständlich sein, aber außerhalb der deutschen Grenzen nimmt man die Statements der deutschen Regierung zur Kenntnis, nicht die mehr oder weniger geschickten Interpretationshilfen aus deutschen Redaktionsstuben. Was in Deutschland erledigt zu sein scheint, ist es deshalb in der Welt noch lange nicht. Dass Annalena Baerbock ohne Not Wladimir Putin ein großes Propaganda-Geschenk gemacht hat, dürfte selbst ihr klar sein.
In Prag hatte Baerbock unmissverständlich gesagt: „Egal, was meine Wähler in Deutschland darüber denken, aber ich will den Menschen in der Ukraine gegenüber liefern.“ Nach der Äußerung erklärten Heerscharen von Baerbock-Fans in den Medien auch damals schon, dass Baerbock etwas anderes gemeint habe. Man entwickelt langsam eine Routine im Wegframen von Baerbock-Äußerungen. Seitdem sind immer diejenigen schuld und rechts und damit verdammungswürdig, die einfache deutsche Sätze so verstehen, wie sie gesagt worden sind. Und natürlich hat Baerbock geliefert. Am 22. Januar 2023 hat Baerbock klargestellt, dass, wenn Deutschland gefragt werden würde, es nicht den Export von „Leopard-2“-Panzern von Drittstaaten an die Ukraine blockieren würde, Baerbock wörtlich gegenüber dem französischen Sender LCI: „Im Moment ist die Frage noch nicht gestellt worden, aber wenn wir gefragt würden, würden wir nicht im Weg stehen.”
Mit Drittländern ist Polen gemeint. Italien – im Worte sehr an der Seite der Ukraine – will irgendwelche Waffensysteme schicken, von Panzern scheint nicht die Rede zu sein, und Frankreich kann sich zwar grundsätzlich die Lieferung von französischen Panzern vorstellen, doch tatsächlich sprechen konkret Gründe dagegen, so zum Beispiel, dass die Lieferung von Panzern zur Eskalation des Kriegsgeschehens führe und die eigene Armee geschwächt werden könnte.
Der Vorsitzende des Bundeswehrverbands, André Wüstner, sagte am Mittwoch im ZDF-„Morgenmagazin“, die Lieferung sei „gut für die Ukraine einerseits, schlecht für die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr andererseits“. Weiter sagte Wüstner: „In den letzten Monaten wurde zum Ausdruck gebracht, dass wir nur noch bedingt abwehrbereit sind – wenn überhaupt.“ Und: „Die Wahrheit ist: Seit Februar geben wir weiterhin Waffengeräte und Munition ab. Wir sind immer noch im freien Fall, wir haben immer noch keine Wende mit Blick auf die eigene Verteidigungsfähigkeit.“
Unterdessen twitterte der ukrainische Vize-Außenminister Andrij Melnyk: „Der Countdown läuft. Da bin ich gespannt, wie lange noch die #Ampel die Lieferung von ??Kampfjets & Raketen ablehnen kann. Auch wenn die Mehrheit noch skeptisch ist, unterstützen – immerhin – schon heute 26% diesen Schritt??Das ist viel. Wir schaffen das.“
Ganz gleich, wie man zu der Panzerlieferung steht, die Lage ist kompliziert und komplex zugleich. In dieser Situation sind Klugheit, Besonnenheit, Rationalität, Klarheit über die deutsche Interessen, Selbstbeherrschung, Erfahrung und kühles Kalkül gefragt – alles Eigenschaften, über die Annalena Baerbock nicht verfügt. Im Interesse Deutschlands muss Olaf Scholz sie abberufen, es wäre allerdings schon einiges erreicht, wenn sie das Reden anderen überlässt. Die Welt ist kein grüner Parteitag. Deutschland braucht einen Walther Rathenau, einen Gustav Stresemann oder einen Otto von Bismarck, aber weiß Gott keine Annalena Baerbock.