Man muss nicht intimer Kenner der Verhältnisse innerhalb der Bundesregierung sein, um zu wissen, dass das Auge des Olaf Scholz in besonders aufmerksamer Weise auf seiner Außenministerin Annalena Baerbock ruht. Schneller als gedacht, ist die Außen- und Sicherheitspolitik in den Fokus gerückt. Während das Hin und Her der Corona-Politik die Köpfe und Herzen der meisten Deutschen bewegt, dürften im Augenblick der Ukraine-Konflikt und das Drängen der USA auf einen Boykott der olympischen Winterspiele im kommenden Februar in China die Agenda im Kanzleramt bestimmen.
Immer dringender wird sich die noch jungfräuliche Regierung in Berlin zu einer unliebsamen Entscheidung gezwungen sehen. Sowohl Russland als auch China gegenüber möchte Scholz den zurückhaltenden und eher sanften Kurs der Merkel-Ära aufrechterhalten. Gleichzeitig ist da die Rücksichtnahme auf die Interessen der Partner in der NATO und der EU. Bekanntlich ist Deutschland in beiden Bündnissen, jeweils neben den USA und Frankreich, ein bestimmender Faktor. Unübersehbar hat der Seiltanz schon begonnen. Die forsche Grüne im Auswärtigen Amt, die die Einhaltung der Menschenrechte zum obersten Maßstab für die Beziehungen zu Moskau und Peking machen möchte, bekommt schon gleich am Anfang die Richtlinienkompetenz des Kanzlers zu spüren.
Schwieriger wird das Lavieren um klare Reaktionen auf einen möglichen Einmarsch russischer Streitkräfte in die Ukraine werden. Denn hier hat sich Scholz schon mehr oder weniger auf Seiten der Amerikaner festgelegt. Der Zwiespalt, in dem Deutschland steckt, ist offenkundig. Einer Mehrheit der Deutschen dürfte das Schicksal der Ukraine ziemlich gleichgültig sein. Die Interessen der deutschen Wirtschaft sprechen sowieso gegen jede Abkühlung im Verhältnis zum Kreml.
Auf der anderen Seite ist es für die Bundesregierung zu heikel oder auch nur noch zu früh, sich aus dem Westen zu verabschieden. Denn auf nichts anderes liefe das Abrücken von Washington hinaus, was gleichzeitig eine Akzeptanz russischer imperialer Absichten bedeuten würde. Ein Angriff auf die Ukraine wäre das sichere Aus für die Pipeline „Nord Stream 2“. Der russische Unterhändler und Ex-Kanzler Gerhard Schröder war sicher nicht nur zur Inthronisierung seines Genossen Scholz in Berlin angereist. Es gab auch viel zu besprechen. „Nord Stream 2″ dürfte wohl auch Grund für das im Protokoll nicht vorgesehene zehnminütige Vier-Augen-Gespräch zwischen Bundespräsident Steinmeier und Scholz vor dessen Ernennung zum Bundeskanzler im Schloss Bellevue gewesen sein.
Bündnis- und Sicherheitspolitik: Erste große Herausforderungen für Ampel
Nur ein Naivling kann glauben, dass Deutschland ohne die amerikanische Schutzgarantie im Rücken auch weiterhin ein so hoch geschätzter Gesprächspartner wäre. Das gilt übrigens in gleicher Weise für Peking. Bezeichnend für diese Haltung ist ein Ausspruch des in Russland wieder hoch verehrten Diktators und Massenmörders Josef Stalin, der seinem Außenminister Molotow, als dieser ihn auf die Bedeutung des Katholizismus in der Welt hinwies, auflachend entgegnete: „Wie viele Divisionen hat der Papst?“
Ganz davon abgesehen: Zu diesem Zeitpunkt existierten sowohl noch die Sowjetunion als auch der Warschauer Pakt. Nicht mal im Traum hätte der Westen derartige Ansprüche formulieren können und schon gar nicht einen Verzicht darauf als Versprechen abgegeben. Es lohnt sich, dieses Geschehen vor immerhin 30 Jahren noch einmal Revue passieren zu lassen.
Unter innenpolitischen Aspekten kommt es jetzt vor allem auf die Grünen an, ob sie um den Preis der Machtteilhabe ihre Überzeugungen kippen. Für die FDP dürften im Zweifel die Interessen der deutschen Wirtschaft im Vordergrund stehen – wer weiß? Ein Großteil der Sozialdemokraten indes hat sich spätestens seit den Auseinandersetzungen um die Nachrüstung der NATO als Antwort auf die sowjetischen SS-20 Raketen in den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts im Herzen von der „Transatlantischen Achse“ verabschiedet – der Rest sind Lippenbekenntnissen mit begrenzter Halbwertszeit.
US-Präsident Joe Biden wird sich von all dem nicht abhalten lassen, weiterhin Pläne für ein Werte-Bündnis des Westens gegen die totalitären Ansprüche Chinas und Russlands zu schmieden. Der gestrige Videogipfel mit 110 Staaten ist nur ein Beispiel dafür. Auch Deutschland wird sich in absehbarer Zeit entscheiden müssen.