Tichys Einblick
Populistisch und gefährlich

Baden-Württemberg: CDU will bewaffnete Corona-Hilfspolizisten

Um den Freiwilligendienst fit zu machen, will die CDU die Männer und Frauen eine Grundausbildung von gerade einmal 84 Stunden und 18 Stunden jährlich geben. Die Laientruppe soll Uniformen und scharfe Schusswaffen erhalten.

imago Imago

Die CDU in Baden-Württemberg möchte 670 Kräfte aus dem Freiwilligen Polizeidienst als Corona-Kontrolleure einsetzen. Die Ehrenamtler hatten in den Jahren zuvor bei Volksfesten den Verkehr geregelt, Polizeigebäude gesichert oder Flyer verteilt.

Der innenpolitische Sprecher von der CDU-Fraktion, Thomas Blenke:
Polizeifreiwillige könnten vor Ort auf den Straßen und Plätzen auf die Menschen zugehen und sie von der Notwendigkeit der neuen Corona-Kontaktbeschränkungen überzeugen. Natürlich ist auch ein obligatorisches Eigenlob dabei:

Auf Maskenpflicht und Abstand aufmerksam machen – für solch niederschwellige Aufgaben seien die Polizeifreiwilligen wie gemacht, betont Blenke. Das würde die strapazierte Polizei entlasten. Ein verstärkter Einsatz der Ehrenämtler werde zudem zeigen, «wie vernünftig eine von der CDU gewünschte Weiterentwicklung des Freiwilligen Polizeidienstes» sei.

Um den Freiwilligendienst fit zu machen, erhalten die Männer und Frauen eine Grundausbildung von gerade einmal 84 Stunden und 18 Stunden jährlich. Die Laientruppe erhält eine Uniform und eine scharfe Schusswaffe.

Mit diesen schmächtigen Grundlagen werden sie auf die brodelnde Bürgerschaft losgelassen. Dass bei Corona-Kontrollen eine Schusswaffe notwendig wäre, möchte ich mehr als nur in Frage stellen. Die Freiwilligenpolizisten könnten vielmehr andere sinnvollere Aufgaben, zum Beispiel die oben genannten Verkehrsregelungen bei großen Menschenansammlungen gut wahrnehmen oder nachts im Wohngebiet gemeinsam Streife laufen. Corona-Kontrollen zähle ich jedoch aus mehreren Gründen nicht dazu.

Halbfertigkeiten sind lebensgefährliche Unfertigkeiten

Bei dieser Form des hilfspolizeilichen Corona-Einsatzes könnte es recht schnell zur nicht absehbaren Eskalation kommen, wie nicht nur Videosequenzen im Internet veranschaulichen. Mit Anlernkräften? Wenn jemand eine Waffe trägt und in der Handhabung, in der einsatzbegleitenden Kommunikation, Stressbewältigung und dem Eingriffsrecht unsicher ist, kann es schnell tödlich enden. Denn solche Personen setzen ihre Schusswaffe nachweislich schnell und ungerechtfertigt ein.

Es ist unter Experten eine Binsenweisheit, dass Einsatzkräfte, die ein hervorragendes Fachwissen haben, die über ein autoritatives (nicht „autoritäres“) Auftreten verfügen, die an der Waffe sehr gut ausgebildet sind, Schusswaffen deutlich weniger zur Anwendung bringen, als ihre Kollegen, auf die diese Zuschreibungen weniger oder nicht zutreffen. Das trifft erst recht auf Laien zu, die eine unfaire Schnellbesohlung erhalten, selbst wenn ich davon ausgehe, dass diese Freiwilligen über ein persönlich ausgezeichnetes Engagement verfügen.

Letzteres sollte jedoch kein Grund sein, sich als billiges Kanonenfutter zur Verfügung zu stellen, nur weil man über ein hohes Pflichtbewusstsein verfügt. Diese Energien kann man gern anderweitig sinnvoll nutzen. Es gehörte einst zur Fürsorgepflicht, dass der Dienstherr nur Personen in den Einsatz schickt, die über ein ausreichendes Potential für die befohlenen Aufgaben verfügen. Ein Grundsatz, der heutzutage an allen Einsatzfronten verletzt wird. Die Fürsorgeverletzungen treffen auch gegenüber ausgebildeten Soldaten, Feuerwehrleuten, Polizisten u.a. Berufsgruppen zu.

Ich selbst habe 15 Jahre Polizeibeamte auch an der Waffe trainiert und kenne die enormen qualitativen Unterschiede im Umgang und der Handhabungssicherheit. Polizisten müssen darüber hinaus innerhalb von Zehntelsekunden entscheiden, ob der Schusswaffengebrauch gerechtfertigt ist oder nicht. Eine zweite Chance gibt es nicht. Die vorgefundenen Niveauunterschiede sind nicht immer vollumfänglich nur den betreffenden Polizisten anzulasten. Zu wenig Personal auf der Straße bedeutet immer einen rapiden Rückgang der Ausbildungsstunden, denn irgendjemand muss die täglichen Einsätze bewältigen.

Gesellschaftliche Polarisierung ist nichts für Hobbypolizisten

Seit Jahren gibt es in unserem Gemeinwesen enorme Spaltungstendenzen, denken wir an die durchgewunkene Flüchtlingskrise oder an die schwerwiegenden Grundrechtseingriffe durch die am Parlament vorbei beschlossenen Corona-Maßnahmen. Die Verwaltungsgerichte haben alle Hände voll zu tun, unverhältnismäßige Verbote wieder aufzuheben.

Hinzugekommen sind mediale und politische Anfeindungen unserer Polizei, die unter den Generalverdacht des Rassismus und der illegitimen Gewaltanwendung gekommen ist. Viele Polizisten sehen sich inzwischen als die Müllmänner der Nation, die einen gesellschaftlichen Brand nach dem nächsten löschen sollen. Polizisten sind jedoch keine Sozialingenieure und dafür nicht ausgebildet.

In diesem Umfeld zu bestehen, erfordert von jedem einzelnen Polizisten ein Höchstmaß an Konzentration, Ausbildung- und Fortbildung sowie notwendige individuelle Voraussetzungen. Dazu kommen jede Menge innerdienstlich hausgemachte Probleme durch eine mangelhafte Führungsarbeit. Menschen werden beliebig wie Schachfiguren auf einem Holzbrett hin- und hergeschoben. Suizide (allein in Brandenburg erschossen sich in den letzten Monaten drei junge bzw. jüngere Polizisten mit ihrer eigenen Dienstwaffe), hohe Krankenstände und eine verkürzte Lebenserwartung sind die Folge.

In dieses gesellschaftliche Haifischbecken will eine Landes-CDU angelernte Hilfskräfte schicken, die an der Peripherie der potentiellen Eskalationen ihren Mann bzw. ihre Frau stehen sollen. Das halte ich für außerordentlich leichtfertig, allzu phantasiereich und vor allem unpassend. Übernimmt Thomas Blenke auch die Verantwortung, falls eine Kontrolle aus dem Ruder läuft und ein Unschuldiger schwer verletzt oder erschossen wird? Wohl kaum. Besser wäre hingegen, wenn die gleichen Politiker, die jetzt über zu wenig verfügbare professionelle Einsatzkräfte klagen, weniger Probleme durch ihre politischen Entscheidungen schaffen würden. Aber es gilt das Motto: „Wir machen die Probleme, andere lösen sie. Hannemann geh du voran.“

Eine Billigpolizei ist kein adäquater Ersatz für ein geschaffenes Zuviel an Problemen und ein Zuwenig an Polizisten. Solche Vorschläge sind populistisch und untauglich.


Steffen Meltzer, Autor von Ratgeber Gefahrenabwehr: So schützen Sie sich vor Kriminalität – Ein Polizeitrainer klärt auf

Die mobile Version verlassen